Bei mehr als 50 Milligramm Nitrat pro Liter Wasser an einer Messstelle ist der Grenzwert überschritten. Und zu viel Nitrat ist gesundheitsschädlich. Das ist alles, worüber Einigkeit herrscht. Über alles andere wird seit Jahren gestritten. An der tatsächlichen Nitratbelastung hat sich aber bisher nur wenig geändert. Und alle Beteiligten wollen eigentlich ein ganz neues System.
Düngeverordnung und rote Gebiete
Nitrat im Grundwasser ist zum Großteil die Folge von zu viel Stickstoffeintrag aus der Landwirtschaft. Stickstoff ist sowohl in Gülle als auch in Mineraldünger enthalten. Wo deshalb weniger gedüngt werden darf, das regeln die sogenannten roten Gebiete. Grob gesagt: Wenn die Umweltbehörden im Grundwasser einen erhöhten Nitratwert messen, entscheiden die Landwirtschaftsbehörden in einem mehrstufigen System darüber, welche Auflagen auf den umliegenden Feldern beim Düngen zu beachten sind. Für Landwirte hat das mitunter weitreichende Folgen, sie befürchten weniger Ernteerträge.
Neue Messstellen: teuer, kompliziert und ohne Garantie
Landwirte kritisieren seit Jahren die Aussagekraft der Messergebnisse. Vor allem, dass eine einzige Messstelle für ein viel zu großes Gebiet ausschlaggebend ist. Das Umweltministerium hat die Aufgabe, das Netz bis Ende nächsten Jahres auszubauen, heißt für Bayern konkret: von ehemals 130 auf 1500 Messstellen. Minister Thorsten Glauber bezeichnet das im BR-Interview als "Herkulesaufgabe": Stand jetzt fehlen noch über 800 Messstellen.
Wie langwierig es ist, eine neue Messstelle einzurichten, zeigt sich im Rottal in Niederbayern. Die vielen unterschiedlichen Bodenschichten machen die Sache kompliziert. Alfred Seibold vom Wasserwirtschaftsamt Deggendorf schätzt die Trefferquote bei 50 Prozent, wenn er einen Bohrversuch startet: "Das Rottal hat eher tiefere Grundwasserschichten, viele absperrende Schichten, viele kiesige Schichten, und das ist in jeder Region komplett anders". Die jüngste Bohrung hat das Wasserwirtschaftsamt 15.000 Euro gekostet. Immerhin hat sie funktioniert.
Genug Sauerstoff im Wasser?
Es dauert Stunden, oft sogar Tage, bis der Bohrer auf Grundwasser trifft. Darunter muss dann eine dicke Lehmschicht sein, die garantiert, dass man im richtigen, nämlich ausschließlich im oberen Grundwasserstockwerk misst. Und dann muss auch noch der Sauerstoffgehalt stimmen: Mindestens fünf Milligramm Sauerstoff pro Liter Wasser braucht es für zuverlässige Messungen, denn ohne Sauerstoff ist Nitrat nicht nachweisbar.
Gravierende Auswirkungen für die Landwirte
Auch bei Geldersheim in Unterfranken sollte eine neue Messstelle entstehen. Vor drei Jahren wurde sie gebohrt, sogar im Beisein von Umweltminister Glauber. Inzwischen hat sich herausgestellt: Es wurde zu tief gebohrt. So kann kein Nitrat gemessen werden. Zwei weitere neu gebohrte Messstellen in der Gegend sind ebenfalls unbrauchbar. Wie viele es in ganz Bayern sind? Auch der Umweltminister weiß es nicht: "Dadurch, dass es work in progress ist, kann ich aktuell nichts sagen."
Die falsch gebohrte Messstelle in Geldersheim sorgt für Unmut bei Landwirten wie Andreas Hümmer. In seinem Bullenstall fällt jede Menge Mist an. Seit diesem Jahr liegen 90 Prozent seiner Flächen in einem roten Gebiet, weshalb er weniger Dünger ausbringen darf. Um die übrige Menge zu lagern, fehlt ihm aber der Platz. Ein weiteres Güllelager würde gut 300.000 Euro kosten: "Das sind schwierige und teure Entscheidungen und Genehmigungsverfahren, Auflagen, Bauvorschriften, die da hintendran verborgen sind - alles nichts, was man schnell mal zwischendurch macht", schimpft Hümmer.
Dritter Streitpunkt: Zuständigkeit bei zwei Ministerien
Und wer ist schuld? Der Umweltminister sagt, seine Wasserbehörden messen nur die Wasserqualität und stellen die Ergebnisse zur Verfügung. Die Ausweisung der roten Gebiete – das sei Sache des Landwirtschaftsministeriums:
"Wie letztendlich der Umgang ist mit Stickstoffdünger, mit Dünger allgemein und dem Ausbau einer Pflanze, mit Zwischenfruchtanbau, das sind alles Themen, die am Ende das zuständige Landwirtschaftsministerium erklären muss."
Solche Aussagen schaffen bei Landwirten wie Andreas Hümmer kein Vertrauen, im Gegenteil. Er müsse eine Güllegrube bauen, "weil die Herrschaften solche groben Fehler machen. Eine Behörde schiebt der anderen Behörde die Schuld hin und her", schimpft er.
Im Video: Interview mit Umweltminister Thorsten Glauber
Das Landwirtschaftsministerium verweist auf die entscheidende Rolle der Messwerte bei der Ausweisung der roten Gebiete und damit auf die Verantwortlichkeit des Umweltministeriums. Aber beide Ministerium zeigen nach Berlin, wenn es um grundlegende Änderungen im System geht.
Bauernverband: Messen löst das Problem nicht
Ein dichtes Netz an Messstellen hält auch der Bayerische Bauernverband für notwendig, damit ein Landwirt nicht einer Messstelle in 25 Kilometern Entfernung zugeordnet wird. Nur: Durch mehr Messstellen verschwinden die roten Gebiete nicht, das sei auch den Landwirten klar. Umweltreferent Andreas Puchner plädiert für neue Herangehensweisen: „Das Düngerecht ist so komplex, dass es der Landwirt kaum noch nachvollziehen kann, was da an Berechnungen alles im Hintergrund stattfindet.“ Statt vor allem auf die Messwerte zu schauen, müsste die aktuelle Landbewirtschaftung mit einbezogen werden.
Glauber und Kaniber: Verursacherprinzip wäre gerechter
Landwirtschaftsministerin Kaniber setzt sich für eine Regelung nach dem Verursacherprinzip ein, das sich an den individuellen Düngedaten eines Hofes ausrichtet. Glauber ist für eine Stickstoffbilanz, bei der ein Landwirt nur so viel Dünger ausbringen darf, wie die angebauten Pflanzen benötigen. Das sei günstiger, ehrlicher und auch der einfachere Weg. Die Bundesregierung hat entsprechende Änderungen angekündigt. Ob die am Ende das System vereinfachen ist aber fraglich.
Nitratbelastung ist seit Jahrzehnten unverändert
Ohnehin ist es schwierig, nachvollziehbare Auflagen durchzusetzen. Denn Boden und Grundwasser haben ein langes Gedächtnis: heute gemessene Nitratwerte haben ihren Ursprung vor 20 oder 30 Jahren. Es kann Jahre dauern, bis der Stickstoff im Wasser zu Nitrat wird. Veränderte Düngevorschriften gelten aber erst seit 2017.
Wie bekommen wir sauberes Wasser?
Weniger düngen und trotzdem nicht weniger ernten – das ist das Prinzip, das Professor Friedhelm Taube an der Universität in Kiel vertritt. Er sagt, die Böden in Deutschland seien weitgehend mit Stickstoff gesättigt, er hat sogar einen Überschuss von knapp hundert Kilogramm pro Hektar errechnet: "Zusätzlicher Stickstoff landet in der Umwelt und verursacht soziale Kosten". Oder anders gesagt: Deutschland produziert zu viel Fleisch, das exportiert wird - aber die Gülle bleibt hier: "Das heißt, wir müssen in jedem Fall von dem jetzigen Ausmaß der Tierhaltung deutlich herunter."
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