"Der Alkohol hat mir meine Mama genommen", sagt Carolin Schürmann. Die Marketingexpertin aus Heroldsberg bei Nürnberg kann heute frei darüber sprechen. Sie ist bei einer alkoholkranken Mutter aufgewachsen. Seit sie sich erinnern kann, trank ihre Mutter. Schon morgens, auch Schnaps. Die Mutter stirbt mit 54 Jahren an den Folgen ihrer Alkoholsucht.
Kindheit ohne Sicherheit
An ihre Kindheit erinnert sich Carolin Schürmann als eine Zeit, in der es für sie wenig Sicherheit und Stabilität gab. Mal überbordend fröhlich, mal traurig, mal völlig abwesend – der emotionale Zustand ihrer Mutter war nie vorherzusehen.
Eine Kindheit im Schatten der Sucht – das bedeutet oft wenig emotionale Zuwendung und Geborgenheit. Häufig kommen Gewalt, Vernachlässigung oder Missbrauch hinzu. An den Folgen tragen viele Kinder ihr Leben lang. Sie haben ein hohes Risiko, später selbst abhängig zu werden – Experten schätzen, dass etwa ein Drittel dieser Kinder Süchte entwickelt, ein weiteres Drittel psychische oder soziale Störungen.
So kommt es auch bei Carolin Schürmann: Sie wird alkoholsüchtig. Mit 13,14 Jahren trinkt sie die ersten Colaweizen im Sport-Verein. Alkohol wird ihr Tröster, vermeintlicher Problemlöser und Lückenfüller. "Mit Alkohol hat sich alles besser angefühlt", sagt sie rückblickend.
Zahl der Hilfsangebote steigt
Immer mehr Aktionen lenken den Blick auf Kinder in Suchtfamilien und bieten Unterstützung an. So gibt es immer im Februar deutschlandweit Aktionswochen, die das Thema in den Fokus rücken. Auch in Suchtambulanzen und bei Wohlfahrtsverbänden steigt die Zahl der Ansprechpartner und Angebote.
Dazu gehört in Bamberg das Projekt "Wildfang" der Caritas Bamberg-Forchheim für Kinder zwischen acht und zwölf Jahren. Es setzt auf Gesprächsangebote in Gruppen und Erlebnispädagogik: Die Kinder bauen gemeinsam ein Waldlager – als Symbol für Schutz und Sicherheit. Hier sprechen viele – oft zum ersten Mal – in einer Gruppe über ihre Erlebnisse.
Robert Scheuring, Wildkräuter- und Wildnis-Pädagoge, sagt aus Erfahrung: In der Natur entwickeln die Kinder die nötige Ruhe und Gelassenheit und bekommen Abstand zur Situation zu Hause. Bislang haben über 40 Kinder mitgemacht. Ihre Teilnahme hängt allerdings stark von der Kooperation der Eltern ab, hat Gruppenleiterin und Diplompsychologin Astrid Heyl festgestellt.
Theaterstück und Spielfilm zu Sucht im Elternhaus
Das Bamberger Theater Chapeau Claque tourt aktuell mit dem Klassenzimmerstück "Nur ein Pulli?" durch fränkische Schulen. Es richtet sich an Kinder und Jugendliche zwischen neun und 13 Jahren. Anschließend gibt es Gespräche mit den Schauspielern. Das Stück wurde im Rahmen der jährlichen Aktionswoche "Kinder aus suchtbelasteten Familien" entwickelt – zusammen mit dem Gesundheitsamt Bamberg, dem Arbeitskreis "Schulterschluss" und dem Programm "Wildfang".
Auch der Regisseur Lars Smekal will dazu beitragen, das Thema "Sucht im Elternhaus" aus der Tabu-Ecke zu holen. In seinem preisgekrönten Spielfilm "Erinnerungen einer vergessenen Kindheit" hat er eigene Erfahrungen verarbeitet. Er ist selbst in einem Elternhaus mit Alkohol und Spielsucht aufgewachsen. Lars Smekal präsentierte seinen halbstündiges Werk bei den diesjährigen "Grenzland-Filmtagen" in Selb im April und auf vielen weiteren deutschen Festivals. Er wolle den sogenannten vergessenen Kindern eine Stimme geben und ihnen Mut machen, sich anderen Menschen anzuvertrauen.
Mit Start Up gegen Alkohol
Bei Carolin Schürmann aus Heroldsberg hat sich inzwischen viel verändert. Sie ist seit Sommer 2022 trocken. Ein Entwöhnungskurs brachte für die Kommunikations- und Marketingexpertin die Wende. Nun wirbt sie als Aktivistin mit eigenem Start Up für ein alkoholfreies Leben und ein Umdenken in Sachen Trinken in der Gesellschaft. Sie ist gefragter Gast in Talkshows und Podcasts, informiert in den sozialen Medien über Suchtprävention. Carolin Schürmann will mit ihrer Lebensgeschichte zeigen, dass es auch ohne Bier und Schnaps geht – und wie gut sich das Leben ohne Alkohol anfühlen kann.
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