Es ist ein Sensationsfund, den Bauarbeiter vergangene Woche südlich von München gemacht haben. Bei Bauarbeiten am Großhesseloher Wehr wurden Überreste der ehemaligen Münchner Hauptsynagoge gefunden, etwa eine Gesetzestafel aus Stein. Auf Befehl von Adolf Hitler war das Gotteshaus 1938 abgerissen worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg verschwanden auch die Trümmer.
Alte Münchner Synagoge - wie geht man mit den Steinen um?
Nicht weit vom Isarufer entfernt beugt sich jetzt eine Gruppe von Frauen und Männern in orangefarbenen Westen über Schwarzweißfotos. Sie vergleichen Abbildungen der Alten Münchner Hauptsynagoge mit tonnenschweren Trümmerteilen, die neben ihnen liegen. Es sind Steine mit Verzierungen und sogar eine Tafel mit hebräischen Schriftzeichen.
Ein Großteil der entdeckten Steine gehöre zur ehemaligen Synagoge, sagt Bernhard Purin, Leiter des Jüdischen Museums München. Aber es befänden sich auch Steine von anderen Gebäuden dazwischen.
Auch das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege ist eingeschaltet. Archäologe Walter Irlinger ist auch Tage später noch völlig begeistert von dem spektakulären Fund. "Auf einmal tauchte etwas auf, mit dem man überhaupt nicht rechnen konnte. Das ist eines der ganz spannenden Elemente in unserer Arbeit." Schon haben die Überlegungen begonnen: "Wie kommen diese Teil an diese Stelle? Wie geht man mit diesen Steinen um?"
Bauunternehmen: "Anlass, unsere eigene Geschichte weiter aufzuarbeiten"
Bernhard Purin vom Jüdischen Museum kennt die Geschichte der Alten Hauptsynagoge gut. Danach wurde das Münchner Bauunternehmen Leonhard Moll 1938 mit dem Abriss beauftragt. In den 50er Jahren dann sollte die Firma Reparaturarbeiten am Großhesseloher Isarwehr durchführen. Die Trümmerteile der Synagoge landeten als Füllmaterial in der Isar. Purin ist empört: "Die haben sie da in die Isar geschmissen. Die wussten genau, was das ist, und haben das trotzdem entsorgt."
Auf BR-Anfrage teilt die Geschäftsführung der Moll Gruppe mit, dass sie aus den Medien von dem Fund erfahren habe. "Wir wünschen uns Aufklärung über die Umstände des Baus des Großhesseloher Wehrs damals und werden diese Situation als Anlass nehmen, um unsere eigene Unternehmensgeschichte weiter aufzuarbeiten", heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme.
Charlotte Knobloch: "Hätte ich mir nie vorstellen können"
Auch Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, ist fassungslos. Als Fünfjährige hatte sie mit ihrer Großmutter die Synagoge am Münchner Lenbachplatz besucht, erlebte auch den Abriss. Nach dem Schock von 1938 jetzt der zweite: "Dass wertvolle Teile einer Synagoge irgendwo verschwunden sind beziehungsweise gelagert worden sind, für Bauschutt - das ist eine Sache, die ich mir nie hätte vorstellen können. Und ich bin wirklich entsetzt."
Knobloch, heute 90 Jahre alt, erinnert sich noch gut an die Schönheit des großen und hellen Gotteshauses. Dabei strahlt ihr Gesicht. "Ich war mit meiner Großmutter auf der Empore, durfte dann manchmal runtergehen zu den Männern, zu meinem gottseligen Vater. Das war dann für mich das Schönste, was man sich vorstellen kann, weil ich dann immer auch sehr schön angezogen war, der Synagoge entsprechend. Das habe ich immer noch in guter Erinnerung."
150 Tonnen Steinmaterial werden dokumentiert
Die Denkmalpfleger haben inzwischen mit den Recherchen über das Verschwinden der Trümmerteile nach dem Synagogenabriss begonnen. Sie müssen 150 Tonnen Steinmaterial dokumentieren und begutachten. "Das sind natürlich die Elemente, die wir jetzt intensiv recherchieren, das Umfeld: Wie ging der Abbruch vonstatten, wo wurden die Bauteile hintransportiert, wo waren sie gelagert?", sagt Irlinger.
Zeitzeugin Charlotte Knobloch wünscht sich, dass die aus der Isar aufgetauchten Trümmerteile der Synagoge sichtbar bleiben. "Dass wir die erhalten können und dass wir ihnen einen Platz geben, wo sie auch nicht verschwinden." Und nicht auszuschließen ist, dass bei den Bauarbeiten in Großhesselohe noch weitere Überreste der Synagoge gefunden werden.
- Zur Themenseite: Juden in München - Angekommen in der Mitte der Stadt
Im Video: Sensationsfund in der Isar: Überreste der ehemaligen Münchner Hauptsynagoge
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
Sie interessieren sich für Themen rund um Religion, Kirche, Spiritualität und ethische Fragestellungen? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter. Jeden Freitag die wichtigsten Meldungen der Woche direkt in Ihr Postfach. Hier geht's zur Anmeldung.