"Bisher läuft der Machtwechsel in Syrien so, wie wir es uns erträumt haben", sagt Husam Tarabin im Gespräch mit BR24. Tarabin ist im Vorstand der Syrischen Gesellschaft für Ärzte und Apotheker in Deutschland (SyGAAD e.V.). Er kennt viele Menschen mit syrischen Wurzeln, die sich jetzt überlegen, in ihr Herkunftsland zurückzukehren. "Wir mögen unser Land", sagt Tarabin. "Eigentlich ist der Wiederaufbau eine nationale Pflicht, besonders wenn das Land viel medizinisches Personal braucht."
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Tarabin selbst arbeitet in der Urologie im Klinikum Herford in Nordrhein-Westfalen. "Viel Hoffnung und Zusammenhalt, aber auch Trauer und Ungewissheit" – so beschreibt er seinen Gefühlsmix. "Wir haben nicht nur 13 Jahre auf diesen Moment gewartet, seit der Bürgerkrieg begonnen hat. Sondern über 40 Jahre, seit Syrien unter der Herrschaft eines Diktators steht." Dann erzählt Tarabin von einer internen SyGAAD-Umfrage, nach Assads Sturz: "Ungefähr 75 Prozent haben gesagt, sie können sich eine Rückkehr vorstellen."
Berufstätige Ärzte: Rund 1,3 Prozent mit syrischem Pass
Ende 2023 gab es in Deutschland gut 428.000 berufstätige Ärztinnen und Ärzte. Das sind die aktuellsten Zahlen der Bundesärztekammer (externer Link). Davon waren 5.758 syrische Staatsbürger – rund 1,3 Prozent. Die meisten arbeiten in Krankenhäusern, knapp 5.000. Nicht erfasst sind in der Statistik Menschen mit syrischem Hintergrund, die inzwischen eingebürgert sind. Unklar ist auch, wie viele schon vor der großen Fluchtbewegung 2015 kamen.
Tarabin schätzt, dass es bundesweit 15.000 bis 20.000 Ärzte mit syrischem Hintergrund gibt – inklusive jener im Anerkennungsprozess und Eingebürgerter. Bei den SyGAAD-Gruppen in sozialen Netzwerken liege die Frauenquote bei 50 Prozent.
In Bayern lebten zuletzt 695 Ärztinnen und Ärzte aus Syrien, davon arbeiteten 540 im Krankenhaus. Diese Zahlen teilt die Bayerische Landesärztekammer auf BR24-Anfrage mit. Demnach gibt es im Freistaat sieben niedergelassene Ärzte mit syrischer Staatsangehörigkeit. "409 syrische Ärztinnen und Ärzte haben eine erste Fachsprachenprüfung abgelegt", heißt es von der Landesärztekammer.
Krankenhausgesellschaft: Weggang wäre spürbar
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) warnt vor den Folgen für die stationäre Versorgung, sollte eine größere Anzahl syrischer Ärzte wegfallen. "Ihr Weggang wäre unter den Bedingungen des anhaltenden Fachkräftemangels spürbar", betont der DKG-Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß auf BR24-Anfrage.
Demnach stellen syrische Ärztinnen und Ärzte mehr als zwei Prozent der bundesweit insgesamt 222.000 Krankenhausärzte. Vor allem in Ostdeutschland und in Krankenhäusern kleinerer Städte spielen sie eine wichtige Rolle in der Versorgung. "Dort ist die Stellenbesetzung grundsätzlich schwieriger als anderswo."
Syrien sei allerdings noch weit von geordneten und sicheren Verhältnissen entfernt, sagt Gaß. Der DKG-Vorstandsvorsitzende verweist auch auf die komplizierte emotionale Lage: "Dass viele der geflüchteten Syrer in ihre Heimat zurückkehren möchten, ist absolut verständlich. Allerdings dürften sich die meisten der hier arbeitenden Ärztinnen und Ärzte ein stabiles Leben aufgebaut haben, ihre Kinder haben den größten Teil ihres Lebens in Deutschland verbracht oder sind hier geboren."
Kassenärztliche Vereinigung Bayerns: Zu früh für Stimmungsbild
Zwar arbeitet die Mehrzahl der syrischen Ärzte in Deutschland in Krankenhäusern. Es gibt aber auch niedergelassene Ärzte mit syrischer Staatsangehörigkeit. Von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns heißt es auf BR24-Anfrage: Es sei noch zu früh für ein Stimmungsbild. Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte hätten einen Versorgungsauftrag mit bestimmten Pflichten – sie dürften sich eine mögliche Rückkehr nach Syrien besonders gut überlegen.
Bayerns Gesundheitsministerium äußert sich sehr zurückhaltend. Eine Ministeriumssprecherin teilt auf BR24-Anfrage mit: "Ausländische Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte sind ein wichtiger Faktor in der Gesundheitsversorgung. Klar ist auch: Beim Aufbau Syriens wird ebenfalls qualifiziertes Personal im Gesundheitswesen benötigt."
Tarabin: "Ewig auf diesen Moment gewartet"
Einen Zwiespalt beobachtet auch Husam Tarabin von der "Syrischen Gesellschaft für Ärzte und Apotheker in Deutschland". "Einerseits sind wir in Deutschland Teil der Gesellschaft, sprechen die Sprache ganz gut und haben sichere Berufe", sagt er. "Andererseits haben viele von uns ewig auf diesen Moment und die Chance auf ein neues Syrien gewartet." Mit SyGAAD wolle man jetzt schnell neue Kommunikationskanäle zum syrischen Gesundheitssystem etablieren.
Tarabin vermutet, dass für viele Menschen mit syrischen Wurzeln, die hier im Gesundheitssystem arbeiten, eine Rückkehr frühestens in einigen Monaten eine echte Option wird. Manche würden auch über eine Mischform nachdenken: die eine Jahreshälfte in Syrien, die andere in Deutschland. Bei Familien mit Kindern, die nur ein Leben in Deutschland kennen, sei die Entscheidung besonders kompliziert. "Am Schluss wird es eine individuelle und emotionale Entscheidung", sagt er. "Wie auch immer sie ausfällt."
Im Video: Rückkehr in die Heimat? - So blicken syrische Ärzte in Deutschland auf ihr Heimatland
Im Audio: So viele Syrer arbeiten in Deutschland
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