Diktator Assad ist geflohen, die Zukunft ungewiss, das Land nach 13 Jahren Bürgerkrieg teils zerstört: In Syrien überschlagen sich die Ereignisse. Seit vielen Monaten gilt ein Warnhinweis des Auswärtigen Amts: "Vor Reisen nach Syrien wird gewarnt. Alle Deutschen, die das Land noch nicht verlassen haben, werden zur Ausreise aus Syrien aufgefordert." Aber was bedeutet der Assad-Sturz für die syrischen Geflüchteten hierzulande? Ein Überblick.
Hat Assads Sturz schnelle Folgen für die Geflüchteten hierzulande?
"Ich rechne nicht damit, dass der Sturz von Assad in Syrien unmittelbare Konsequenzen für Menschen mit einer Aufenthaltserlaubnis hat", sagt Hannes Schammann. Er ist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Migrationspolitik an der Universität Hildesheim.
Auf BR24-Anfrage betont Schammann, dass viele Syrerinnen und Syrer inzwischen eine Niederlassungserlaubnis hätten, sich unbefristet in Deutschland aufhalten können. Über 150.000 seien eingebürgert. Zudem könne man noch nicht sagen, wie sich die Lage in Syrien entwickle: "Ob es einen dauerhaften Frieden geben wird, ob es ein gemäßigt religiös geprägtes Land wird, das ist völlig offen."
Wird Syrien jetzt ein "sicheres Herkunftsland"?
Sollte sich die aktuell optimistische Stimmung bestätigen, wäre es laut Schammann letztlich eine politische Entscheidung, ob Syrien vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) als sicheres Herkunftsland eingestuft wird. Wenn in Syrien durch ein Ende des Bürgerkriegs keine Gefahr mehr für Leib und Leben bestehe, könne der ursprüngliche Schutzgrund wegfallen.
Ob jemand dann zurück müsse, sei eine Einzelfallentscheidung – auch Christen, Kurden und Angehörige anderer Minderheiten seien in den vergangenen Jahren aus Syrien geflohen. Ob sie künftig sicher seien, könne man wohl erstmal nicht pauschal sagen.
Relevant ist laut dem Migrationsexperten mittlerweile auch die Frage, wie gut jemand integriert ist. "Seit einigen Jahren spielen leistungsorientierte Aufenthaltskriterien eine größere Rolle", sagt Schammann. "Das soll dazu führen, dass nicht diejenigen Deutschland verlassen müssen, die selbst für sich sorgen können." Bei vielen Menschen aus Syrien habe man in den vergangenen Jahren "mühsam eine Integration in den Arbeitsmarkt erreicht". Gleichzeitig lebten weiter viele von Sozialhilfe.
Wessen Schutzstatus kann überhaupt widerrufen werden?
Wer einen dauerhaften, unbefristeten Aufenthaltstitel hat, darf in Deutschland bleiben. Die Behörden könnten aber bei Menschen im Asylverfahren oder mit befristeter Aufenthaltsgenehmigung – oft mit dem subsidiären Schutzstatus – die Ausreise anordnen. Dabei geht es um mehrere hunderttausend Menschen.
Bisher gibt es direkt nach Syrien keine Abschiebungen. Seit längerem erwägt die Bundesregierung, syrische Straftäter aus Deutschland auch direkt in ihr Herkunftsland abzuschieben. Ausreisepflichtig waren Ende November laut BAMF 10.024 Menschen aus Syrien. Davon hatten 8.960 eine Duldung.
Was ist mit einer freiwilligen Rückkehr nach Syrien?
"Syrien wird eine neue geistige Elite brauchen, neue Mitarbeiter für die Verwaltung und andere wichtige Bereiche wie Medizin oder Infrastruktur", sagt Schammann. Es könne deshalb gut ausgebildete Menschen geben, die freiwillig zurück wollen. "Es gibt in Deutschland eine große syrische Community, die jetzt in Syrien beim Aufbau helfen könnte – die aber andererseits nach vielen Jahren hier auch viele Wurzeln hat, oft samt Kindern, die nur ein Leben in Deutschland kennen."
Der Eindruck des Migrationsexperten: "Wer älter ist und aus guten Verhältnissen in Syrien geflüchtet ist, kann sich eine freiwillige Rückkehr oft besser vorstellen als Jüngere, die als Kinder oder Jugendliche kamen." Laut BAMF ist noch nicht vorhersehbar, "welche Auswirkungen die sich verändernde Lage auf die Möglichkeiten von syrischen Flüchtlingen zur Rückkehr in ihre Heimat haben wird".
Im Video: Syrien - was kommt nach dem Sturz des Assad-Regimes?
Was passiert mit laufenden Asylverfahren?
Alle laufenden Asylverfahren von Syrerinnen und Syrern in Deutschland sind vorerst ausgesetzt. Das bestätigt ein BAMF-Sprecher auf BR24-Anfrage. Ihm zufolge gibt es erstmal keine Entscheidungen mehr. Nach dem Sturz des Assad-Regimes beobachte man, wie sich die Lage in Syrien entwickle. Syrische Geflüchtete könnten weiter Asyl beantragen. Auch die Anhörungen fänden weiter statt.
Bei der Zahl der Asylanträge waren Menschen aus Syrien in diesem Jahr erneut die stärkste Gruppe. Nach BAMF-Angaben stellten von Januar bis November fast 75.000 Syrerinnen und Syrer in Deutschland einen Asylantrag. Bei den Entscheidungen bekamen mehr als 83 Prozent einen Schutzstatus zugesprochen, oft den sogenannten subsidiären Schutz. Derzeit seien mehr als 47.000 Asylanträge von Syrerinnen und Syrern anhängig.
Wie viele Syrerinnen und Syrer leben aktuell in Deutschland?
Laut dem Bundesinnenministerium lebten zuletzt (Stand 31.10.2024) insgesamt knapp 975.000 Menschen mit syrischer Herkunft in Deutschland. Davon waren demnach 5.090 nach dem Grundgesetz anerkannte Asylbewerber. Rund 321.000 hatten den Flüchtlingsstatus und etwa 329.000 subsidiären Schutz – sie haben also weder einen Flüchtlingsschutz noch eine Asylberechtigung, ihnen droht in ihrem Heimatland aber ernsthafter Schaden. Die übrigen Personen haben den Angaben zufolge andere Aufenthaltstitel, etwa über den Familiennachzug.
Was ist mit eingebürgerten Menschen?
Für Menschen, die aus Syrien gekommen sind und inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit haben, gilt: Sie können nicht gezwungen werden, Deutschland zu verlassen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts wurden im Jahr 2023 rund 75.500 Syrerinnen und Syrer deutsche Staatsbürger. "Viele Syrerinnen und Syrer erfüllen inzwischen die Voraussetzungen für die Einbürgerung", erläutert Migrationsexperte Schammann.
Kommen jetzt keine neuen Geflüchteten aus Syrien mehr?
Schammann sagt: "Dass gar niemand mehr aus Syrien flüchtet, halte ich auch unter einer anderen Regierung Stand jetzt für unwahrscheinlich. Extrem wichtig ist, wie dieser Übergang geregelt wird – da sollte auch Deutschland dabei helfen, in Syrien für Stabilität zu sorgen."
Besonders wichtig ist laut Schammann, wie die nächste Regierung mit Vertretern der Assad-Diktatur umgeht: "Wenn es statt Amnestie Rache und Verfolgung gibt, könnten plötzlich ganz andere Menschen aus Syrien fliehen – weil sie Teil des Regimes waren." Letztlich sei auch das aber derzeit "Interpretation und Glaskugel", betont der Wissenschaftler.
Mit Informationen von Reuters, dpa und epd
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