Wie die Zähne im Kiefer eines Fuchses ragt eine Reihe von Granitfelsen mehrere hundert Meter empor. Ihr Name daher: "Fox Jaw Cirque". Hier im Tasiilaq-Fjord an der Ostküste Grönlands wollte das Team des Expeditionskaders des Deutschen Alpenvereins (DAV) zum Abschluss der mehrjährigen Kader-Ausbildung seine Stärken im Felsklettern ausspielen. Schließlich haben viele der Frauen einen Hintergrund im Wettkampfklettern. Der Plan war eine Erstbegehung an einem der spitzen Türme des "Fox Jaw Cirques". Allerdings spielte das Wetter zunächst nicht mit.
Grönland-Expedition als Ausbildungsabschluss
Die Stimmung war wegen des schlechten Wetters dementsprechend angespannt. Dann aber klarte es auf. Kader-Teilnehmerin Amelie Kühne durfte mit der ersten Länge loslegen. Direkt vor dem Start sei man so aufgeregt, dass einem alles sehr hektisch vorkomme. "Und dann steigt man ein und mit jedem Schritt, den man mehr in der Wand hochgeht, fällt die Anspannung ab", erinnert sich Kühne. Dann gebe es nur noch den Fels und man komme in einen Flow.
Über mehrere Tage hinweg wechseln sich die Seilschaften ab. Meistens steht steile Plattenkletterei auf dem Programm, zwischendurch wird in Portaledges – quasi hängenden Biwaks – in hunderten Metern Höhe übernachtet. Schließlich fehlt nur noch eine Länge bis zum Gipfel.
"Dann standen wir endlich auf dem Gipfel, und das war ein ganz besonderer Moment für uns. Uns war das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht zu nehmen. Wir wussten, dass wir etwas geleistet hatten, das für uns ein paar Tage zuvor noch undenkbar war", sagt Amelie Kühne.
Und das musste natürlich gefeiert werden – mit einem Gipfeltanz. Der Tanz und der "Fox Jaw Cirque" gaben der neuen Route dann auch ihren Namen: "Disco Fox".
Ziel: Sicher unterwegs sein in jedem Gelände
Nun aber der Reihe nach. Mit der Ausbildung startete der Kader im Jahr 2020. Der Deutsche Alpenverein wählte sechs junge Nachwuchstalente aus: Luisa Deubzer, Lea Luithle, Caro Neukam, Janina Reichstein, Rosa Windelband und Amelie Kühne. Zur Ausbildung des erst dritten reinen Frauenkaders des DAV gehörten verschiedene Bereiche – mit viel Theorie und viel Praxis.
Ein Ziel besteht darin, eine Grundlage für alle Bergsportdisziplinen zu schaffen. Darunter: Felsklettern, Sportklettern, Hochtouren, Eisklettern, Gletschertouren und Bigwall – also Klettern an sehr hohen Felswänden meist über mehrere Tage hinweg. In jedem Gelände sollen sich die Teilnehmerinnen sicher bewegen können.
Gefahren richtig einschätzen
Ein weiterer Aspekt der Ausbildung ist mentales Training. Dabei lernt man, wie man mit Stress und Risiko richtig umgeht. Es soll auch Wissen in den Bereichen Erste Hilfe, Sicherheitstechnik, Wetter, Bergrettung, Lawinen und Expeditionen aufgebaut werden. Zudem gilt es, die individuellen Stärken der Teilnehmerinnen auszubauen. Kein Wunder also, dass viele ehemalige Teilnehmerinnen der Expedkader heute Profibergsteigerinnen sind. Einige davon gehören zu den insgesamt nur 19 Bergführerinnen in Deutschland.
So wie Dörte Pietron. Sie ist die Trainerin der Frauen-Expedkader – und sie war auch die erste Frau, die es in einen Kader geschafft hat. Und lange die einzige. Den Frauenkader hat sie dann schließlich im Jahr 2011 gegründet. Trotz oder vielleicht auch gerade wegen der Risiken im Alpinismus. "Alpinismus ist die Kernsportdisziplin des Alpenvereins. Und ja, es stimmt: Alpinismus ist ein relativ gefährlicher Sport", sagt Pietron. Durch diesen Sport könne man aber auch sehr viel lernen und letztendlich müsse jeder und jede selbst entscheiden, ob man ihn ausüben will. Das Ziel sei, dass junge Alpinisten und Alpinistinnen lernen, "Gefahren oder auch andere Probleme und Gefährdungen, die im Bergsport auftreten, richtig einzuschätzen und möglichst minimieren zu können", sagt die Trainerin.
"Die kann das, vielleicht schaff' ich das auch"
Beim richtigen Umgang mit stressigen Situationen hilft die Tatsache, dass es beim DAV reine Frauenkader gibt, findet Luisa Deubzer, die auch im gerade verabschiedeten Expedkader dabei war. Denn es gibt auch Alpenvereine mit gemischten Kadern. In gemischten Gruppen könnte aber eine Genderdynamik eine Rolle spielen, glaubt Deubzer. Zwar seien alle unterschiedlich, aber im Schnitt komme es nun mal oft vor, "dass Männer eher den aktiven Part in einer Stresssituation übernehmen und dann sagen: 'Ok, passt, ich übernehme die Führung, let's go!' Und die Frau dann vielleicht sagt: 'Ok, ich brauch' noch einen Moment, um mich zu sortieren', obwohl sie das genauso gut oder noch besser könnte", sagt Luisa Deubzer. In einer rein weiblichen Gruppe nehme man diesen Faktor zumindest schon mal ganz raus. Das sei sehr förderlich für das Lernumfeld.
Deubzer findet es auch inspirierend, mal nur mit Frauen unterwegs zu sein und zu sehen: "Ah ja, ok, die traut sich das, die kann das, vielleicht schaff' ich das auch", sagt die Alpinistin. Außerdem werde weiblicher Alpinismus so sichtbarer.
Nächste Sichtung im Februar
Für Amelie, Luisa und ihre Kolleginnen ist die Kaderzeit nun vorbei. Der Termin für die erste Sichtung des nächsten Frauenkaders steht aber schon fest. Nächstes Jahr Ende Februar ist der DAV dann wieder auf der Suche nach den Top-Alpinistinnen von morgen.
Dieser Artikel ist erstmals am 25. November 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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