"Wenn ich hier mit den Kindern arbeiten darf, dann bin ich glücklich!" Simone Gobmeier ist seit September als pädagogische Ergänzungskraft im Waldkindergarten Wurzelburg in Bad Aibling angestellt.
Die gelernte Mediengestalterin, Mutter von drei Kindern und Yogalehrerin hat als Quereinsteigerin ihre Berufung gefunden. Es sei ihr eine Ehre, sich um die Kindergartenkinder zu kümmern, erzählt sie und strahlt. Mit manchen Kindern verbringe sie am Tag mehr Zeit als deren Eltern.
Zweiter Kurs gestartet, Warteliste ist lang
Die kleinen Mädchen und Buben im Waldkindergarten fetzen, warm eingepackt, mit Handschuhen, Mützen, Matschhosen und dicken Stiefeln von der selbst gebauten Wippe zum tief gebuddelten Erdloch, vom Balancier-Baum zur "Drachenburg". Sie finden Gobmeier "guuuut", wollen mit ihr wippen und legen vertrauensvoll ihre kleinen Hände in die der Frau, wenn sie über den Baumstamm balancieren.
Seit einem guten Jahr gibt es in Bayern die Möglichkeit, sich als Quereinsteiger zur pädagogischen Ergänzungskraft weiterbilden zu lassen. Der Kurs findet ein Jahr lang und berufsbegleitend statt. Anders als pädagogische Assistenzkräfte, sind die pädagogischen Ergänzungskräfte nach der Weiterbildung gleichgestellt mit Kinderpflegerinnen und Kinderpflegern und dürfen unter anderem in Kindergärten, Krippen oder Horten unbefristet beschäftigt werden. Sie dürfen zudem in den Anstellungsschlüssel eingerechnet werden.
Bei der Diakonie Rosenheim ist der zweite dieser Kurse jetzt gestartet. Teilnehmende des ersten Kurses, wie Gobmeier, sind bereits fest angestellt und sehr gefragt.
Hohe Anforderungen an die Multiplikatoren
Dominik Altmann und Silke Piontek leiten die Weiterbildung. Sie wurden dafür vom Sozialministerium und dem Staatsinstitut für Frühpädagogik und Medienkompetenz (IFP) als sogenannte Multiplikatoren ausgebildet.
💬 Mitdiskutieren lohnt sich: Die folgende Passage hat die Redaktion im Rahmen des BR24-Formats "Dein Argument" ergänzt. Hintergrund ist ein Kommentar des Users "GeduldamEnde", der nach der Qualifikation der Multiplikatoren fragt.
Wie man ein Multiplikator wird, das ist an verbindliche Kriterien geknüpft, heißt es aus dem Bayerischen Sozialministerium. Voraussetzung ist demnach unter anderem eine Ausbildung als Erzieherin oder Erzieher mit Berufserfahrung, ein Bachelor in Kindheitspädagogik oder Sozialer Arbeit oder ein Bachelor, Master oder Diplom in Pädagogik, Sozialpädagogik, Psychologie oder einer verwandten Disziplin. Zudem benötigen Multiplikatoren Erfahrung in der Aus- und Weiterbildung von pädagogischem Personal sowie Praxiserfahrung in der Arbeit in Kindertageseinrichtungen.
Wer diese und weitere Anforderungen wie Kompetenzen im Bereich der Selbstreflexion oder Deutschkenntnisse auf muttersprachlichem Niveau erfüllt, der wird für die Weiterbildung zum Multiplikator zugelassen. Er oder sie muss dann, je nach Vorerfahrungen, innerhalb von etwa fünf Monaten rund zwölf bis 15 Unterrichtstage absolvieren. Jedes Jahr muss das Zertifikat als Multiplikator zudem bei sogenannten Netzwerktreffen erneuert werden. 💬
Quereinsteiger kommen aus vielen Sparten
Von der gelernten Augenoptikmeisterin über die Fachkraft für Brief und Frachtverkehr bis hin zur Industriemechanikerin sitzen bei den Multiplikatoren Altmann und Piontek 19 Frauen und ein Mann im Kursraum bei Bad Aibling. Sie alle möchten künftig lieber in der Kindertagesbetreuung tätig sein.
Das Schöne an dieser Weiterbildung sei, dass die Quereinsteiger sich ganz bewusst für den Einsatz in diesem Arbeitsfeld entschieden, meint Kursleiter Altmann. Sie alle hätten bereits studiert oder einen anderen Beruf erlernt, viel Lebenserfahrung, eine hohe Motivation und ganz viel Lust auf die Arbeit mit den Kindern. Das seien große Ressourcen für die Kita.
Sind die pädagogischen Ergänzungskräfte also eine "Win-win"-Option für alle? Kritik an der Weiterbildung kommt von Berufsfachschulen und Fachakademien, die im Freistaat für die Ausbildung von Erziehern und Kinderpflegern zuständig sind. Egal, ob in München, Nördlingen, Augsburg, Regensburg oder Grafenau, bei stichprobenartigen Anfragen des BR wurden immer wieder ähnliche Kritikpunkte genannt.
Was Berufsfachschulen und Fachakademien kritisieren
Die größte Sorge der staatlichen Ausbildungsstätten ist, dass durch die kurze Dauer der Kurse und die aus ihrer Sicht stark gerafften Inhalte die Qualifikation der Ergänzungskräfte nicht ausreiche, um Kinder fachlich versiert, belastbar und differenziert zu betreuen. Kinder sollten erzogen, gebildet und betreut werden, nicht nur aufbewahrt, heißt es von dieser Seite.
Weitere Kritikpunkte: Die Prüfung finde nicht zentral statt, sondern werde vom Multiplikator selbst entworfen. Der werde aber auch für den Kurs bezahlt. Es gebe keine Praxisbesuche, die Praxisstunden seien nicht begleitet. Am Ende stünden die lediglich weitergebildeten Ergänzungskräfte dann aber auf einer Ebene mit den staatlich ausgebildeten Kinderpflegerinnen und Kinderpflegern. Das System sei undurchsichtig, weil Eltern und Kindern unklar sei, wer die Kinder betreue und wie gut die jeweiligen Kräfte wirklich ausgebildet seien.
Zudem fühlen sich die Fachakademien und Berufsfachschulen vom Sozialministerium übergangen. Insbesondere die Multiplikatoren sehen sie kritisch. Timo Meister, der Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholischer Ausbildungsstätten, findet beispielsweise: "Eine intensive Kooperation mit den staatlichen Ausbildungsstätten, weg von bezahlten Multiplikatoren, wäre nicht nur wünschenswert, sondern unter allen Gesichtspunkten der Ethik streng geboten." Doch das Angebot der Fachakademien, mit ihrem Wissen, ihrer Erfahrung und auch ihren Lehrkräften zu unterstützen, sei vom Sozialministerium abgelehnt worden.
"Ich bin ganz froh, dass ich sie als Kollegin habe"
Zurück bei Simone Gobmeier im Waldkindergarten Wurzelburg. Sie ist glücklich, dass sie durch die Weiterbildung die Möglichkeit bekommen hat, als Quereinsteigerin doch noch ihrer Berufung nachgehen zu können. Die klassische staatliche Ausbildung wäre für sie nicht infrage gekommen. Gobmeier ist 48 Jahre alt und eine mehrjährige Ausbildung, noch dazu ohne Verdienst, sei keine Option gewesen.
Und auch ihre Kollegin, Erzieherin und Gruppenleitung Babette Lewing kann die Kritik an der Weiterbildung nicht nachvollziehen. Die Zeiten änderten sich, meint sie, man müsse nicht mehr eine so lange Ausbildung haben, es komme stattdessen vor allem auf die Persönlichkeit an. Gobmeier bringe unwahrscheinlich viel Schwung, neue Ideen und Motivation mit. Sie sei auch fachlich bereits sehr weit. "Ich kann nur sagen, ich bin ganz froh, dass ich sie als Kollegin habe."
Mit Blick auf fast 20.000 Fach- und Ergänzungskräfte, die in den bayerischen Kitas plus Hort derzeit fehlen, sind die Quereinsteiger zwar nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber die Nachfrage an der Weiterbildung ist groß. Bei der Diakonie Rosenheim gibt es sogar schon eine Warteliste für den kommenden, dritten Kurs.
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