21.07.2022, Bayern, Essenbach: Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm vom Atomkraftwerk (AKW) Isar 2.
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21.07.2022, Bayern, Essenbach: Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm vom Atomkraftwerk (AKW) Isar 2.

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TÜV-Süd-Gutachten: von Brunn kritisiert Söder und Aiwanger

Ist das Kernkraftwerk Isar 2 bei Landshut sicherheitstechnisch bereit für einen Betrieb über das Jahresende hinaus? Die Staatsregierung sagt Ja, und stützt sich auf den TÜV Süd. Doch Kritiker äußern Zweifel an der Unbefangenheit des Prüfunternehmens.

Die Zweifel an der Verlässlichkeit des TÜV-Süd-Gutachtens, mit dem die bayerische Staatsregierung den Weiterbetrieb des Atomkraftwerks Isar 2 sicherheitstechnisch gewährleistet sieht, wachsen. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Florian von Brunn hält das Gutachten für nicht geeignet und spricht von einem "massiven Interessenkonflikt".

TÜV Süd: Weiterbetrieb von Isar 2 "aus technischer Sicht möglich"

Mitte Juni war ein Gutachten des TÜV bekannt geworden, welches im Auftrag des bayerischen Umweltministeriums einen Weiterbetrieb des Atomreaktors Isar 2 auch über den 31. Dezember 2022 hinaus sicherheitstechnisch für möglich hält. Auch eine Wiederinbetriebnahme des bereits abgeschalteten Blocks C in Gundremmingen sei "aus technischer Sicht möglich", steht in dem auf den 14. April 2022 datierten TÜV-Gutachten.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hält sogar Laufzeitverlängerungen für die Atomkraftwerke von mindestens weiteren fünf Jahren für denkbar.

Von Brunn: TÜV Süd hat "massiven Interessenkonflikt"

"Der TÜV Süd ist in dieser Frage befangen und hat einen massiven Interessenkonflikt. Er verdient sehr viel Geld mit der Überprüfung von Atomkraftwerken – und zwar nicht nur von den Betreibern, sondern auch vom Freistaat Bayern", sagte von Brunn am Sonntag in einer Pressemitteilung. Dies zeige auch eine Antwort auf eine Landtagsanfrage des heutigen Umweltministers Thorsten Glauber (Freie Wähler) aus dem Jahr 2015.

Damals saß Glauber als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler noch im Plenum. In der Antwort auf seine Anfrage bestätigte die damalige Staatsregierung, dass der Freistaat Bayern seit 1990 fast 700 Millionen Euro für Sachverständigenleistungen an den TÜV Süd gezahlt habe.

Als Begründung, warum seit jeher immer nur der TÜV Süd als Prüfunternehmen für die bayerischen Atomkraftwerke zuständig war, antwortete das Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz im Februar 2016: "Angesichts der Komplexität einer kerntechnischen Anlage hat es sich im Interesse einer sachkundigen und effizienten Unterstützung bewährt, in der anschließenden Aufsicht über Errichtung und Betrieb der Anlage denjenigen Gutachter als Sachverständigen zuzuziehen, der bereits das Vorhaben begutachtet hat."

In Bayern geht bei Atomkraft nichts ohne den TÜV Süd

Demzufolge war seit dem ersten Forschungsreaktor Ende der 50er-Jahren ausschließlich der TÜV Süd mit der Zertifizierung von Atomanlagen in Bayern betraut. Bei speziellen Fragestellungen der Baustatik oder der Notfallschutzübungen seien aber auch andere Unternehmen zum Zuge gekommen. Bei einem Ausschreibungsverfahren im Jahr 2012 im Zusammenhang mit der Stilllegung des Kernkraftwerks Isar 1 habe sich zudem "keine annähernd gleichwertige Alternative zum TÜV SÜD ergeben". Daher sei auch dieser Auftrag dem TÜV Süd erteilt worden.

SPD-Fraktionsvorsitzender Florian von Brunn wittert einen "Interessenkonflikt". Der TÜV Süd sei als Sachverständiger für die Sicherheit in Atomkraftwerken zuständig, auch in dem noch laufenden Atomkraftwerk Isar II. "Es glaubt doch niemand, dass der TÜV Süd dort Mängel an seiner eigenen Arbeit feststellen wird", so von Brunn. Bereits im Jahr 2008 habe das damalige Bundesumweltministerium eine hohe Abhängigkeit des TÜV von den Kraftwerksbetreibern festgestellt. Markus Söder habe trotz dieser Berichte als damaliger Umweltminister wieder den TÜV Süd mit den Überprüfungen beauftragt.

Greenpeace-Kanzlei wirft TÜV "schlampige Argumentation" vor

Bereits am Freitag war das Gutachten in die öffentliche Kritik geraten. Eine Hamburger Rechtsanwaltskanzlei hatte die Unabhängigkeit des TÜV bei der Sicherheitsbewertung in Frage gestellt. Der Verband sei befangen, schreibt die Hamburger Kanzlei des früheren Vorstandsmitglieds von Greenpeace International, Michael Günther, in dem 21-seitigen Rechtsgutachten, das im Auftrag von Greenpeace Deutschland erstellt wurde. Die Gutachter werfen dem TÜV Süd eine "schlampig argumentierende Auftragsarbeit" vor, die "nicht als seriöse Bewertung anerkannt werden könne". Auch ergebe sich der Eindruck, der TÜV lasse geltendes Atomrecht außer Acht.

Derartige Vorwürfe wies das bayerische Umweltministerium zurück: "Der TÜV Süd ist einer der renommiertesten und mit Fragen der Kernkraft am besten vertrauten Experten", lautete die Antwort auf eine auf Anfrage von BR24. Die Sicherheit von Mensch und Umwelt habe beim Betrieb der bayerischen Kernkraftwerke "oberste Priorität". "Bei der Bewertung zentraler und entscheidender Fragen sollte auf die bestmögliche Expertise zurückgegriffen werden. Es ist nicht ersichtlich, woher sich eine höhere Expertise einer Hamburger Rechtsanwaltskanzlei in der Kerntechnik ableitet", teilt das Ministerium mit.

Auch Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger verteidigte daraufhin den Prüf-Verband. Zwar sei er selbst kein "TÜV-Experte", aber "auf den TÜV Süd ist wohl überwiegend Verlass", sagte Aiwanger am Freitagnachmittag auf BR24 Anfrage. "Bezüglich der Objektivität glaube ich auf alle Fälle, dass der TÜV Süd nicht so parteiisch ist wie Greenpeace."

Von Brunn kritisiert Söder und Aiwanger

Statt "fragwürdiger Gutachten und Vorschlägen wie Fracking in Niedersachsen", fordert von Brunn die Staatsregierung nun auf, ihre "energiepolitischen Hausaufgaben in Bayern zu machen". Es gebe zwar ein Auftragsgutachten des TÜV Süd, aber seit dem Überfall auf die Ukraine keinen ausreichenden Plan für mehr Energiesparen und den Ausbau der Erneuerbaren Energien in Bayern. "Das überlassen Herr Söder und Herr Aiwanger den Kommunen", kritisiert von Brunn.

Für seine Idee des Frackings in Niedersachsen erntet Söder derweil auch im Netz Kritik. Unter dem Hashtag "#StandortNachteilBayern" wird er am Sonntag wegen des vermeintlichen Verschlafens der Energiewende im Freistaat aufs Korn genommen.

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