Mehrere Menschen umfassen den 6,93 Meter dicken Stamm der alten Tanne.
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Die Tanne hat einen Umfang von 6,93 Metern. Es braucht sechs Erwachsene, um sie mit weit ausgestreckten Armen einmal im Kreis umfassen zu können.

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Über 600 Jahre: Deutschlands älteste Tanne steht im Bayerwald

Eine über 600 Jahre alte Weiß-Tanne im Bayerischen Wald hat es zum Nationalerbe-Baum geschafft. Sie ist die höchste, dickste und älteste dokumentierte Tanne Deutschlands. Ihr Alter ist im Vergleich zu anderen alten Bäumen besonders gut herleitbar.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 am Samstagvormittag am .

Dass Linden über 1.000 Jahre und älter werden können, ist allgemein bekannt, schon wegen der vielen alten Dorflinden. Nur wenige wissen aber, dass auch Tannen oder Fichten uralt werden können. Im Bayerischen Wald steht eine über 600 Jahre alte Tanne.

Vom Bohlenweg aus, der zu dem Baum führt, sieht die Tanne zwar hoch aus, aber eigentlich nicht viel höher als andere große Bäume im Bayerischen Wald. Wie alt sie ist, begreift man erst, wenn man direkt am Baumstamm steht: Der hat einen Umfang von fast sieben Metern - gemessen in einer Höhe von 1,30 Meter. Unten ist er noch breiter. In der Regel braucht es sechs Erwachsene, um ihn mit ausgestreckten Armen einmal im Kreis umfassen zu können - übrigens ein beliebtes Fotomotiv.

Waldhaustanne beeindruckt Wanderer

Wanderer sind immer beeindruckt, wenn sie vor der sogenannten Waldhaustanne stehen, die in einem naturnahen Wald am Rande des Dörfchens Zwieslerwaldhaus zu finden ist. Ein Schild weist darauf hin, dass der Baum mehr als 600 Jahre alt ist: "Schade, dass er nicht reden kann, denn er hätte bestimmt viel zu erzählen", oder "Das reicht ja bis ins Mittelalter zurück!", sind Reaktionen der Besucher.

Doch warum weiß man überhaupt, dass die Waldhaustanne 605 Jahre alt ist? Schließlich ist die bekannteste Methode, das Alter eines Baums zu bestimmen, das Zählen der Jahresringe nach dem Fällen: "1960 ist eine ähnlich große Tanne hier umgefallen", erklärt Nationalpark-Ranger Michael Pscheidl. "Deren Jahrring-Scheibe ist relativ gut erhalten. Das hat man dann bei dieser Tanne hier hochgerechnet."

In Wirtschaftswäldern werden Bäume nicht so alt

In bewirtschafteten Wäldern werden Bäume in der Regel längst nicht so alt. Fichten, Tannen oder Buchen fällt man längst vorher, meistens im Alter zwischen 80 und 150 Jahren oder früher, zum Beispiel Fichten, wenn Schädlinge wie der Borkenkäfer sie abtöten. Dabei können Fichten und Buchen 300 Jahre alt werden, Tannen sogar 600 Jahre. Eichen und Linden können mehr als 1.000 Jahre alt werden, Lärchen und Latschenkiefern in den Alpen ebenso, erzählt Nationalpark-Ranger Pscheidl.

Der sogenannte Hans-Watzlik-Hain, in dem die Waldhaus-Tanne steht, ist ein Wald, der seit 1950 unter Naturschutz steht und schon vorher wenig bewirtschaftet wurde. Deshalb konnten sich dort viele uralte Bäume entwickeln und tun das auch weiterhin. Denn der Hans-Watzlik-Hain gehört heute zum Nationalpark Bayerischer Wald, in dem man die Natur sowieso sich selbst überlässt.

Waldhaustanne ist seit 2023 auch "Nationalerbe-Baum"

Mit dem Siegel "Nationalerbe-Baum" zeichnet die Deutsche Dendrologische Gesellschaft besondere Bäume aus. Die Waldhaustanne im Bayerischen Wald bekam den Titel im Juni und zählt nun offiziell zu den "100 bedeutendsten Bäumen Deutschlands". 28 Bäume bekamen bisher das Siegel.

"Wir suchen, erhalten, pflegen und schützen besondere Charakterbäume in Deutschland, um sie in Würde altern zu lassen", so die Initiative Deutsche Dendrologische Gesellschaft. Langlebige Bäume sind zum Beispiel wichtig für den Artenschutz. Auch in der Waldhaustanne leben 274 Arten, von Vögeln über Insekten bis zu Pilzen. Das hat eine Untersuchung von Biologen und Baumkletterern ergeben.

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Die alte Tanne ist nicht viel höher als andere Bäume, aber ihr Stamm ist viel dicker.

Bäume binden klimaschädliches CO2

Bäume sind außerdem wichtig für den Klimaschutz. Wie alle Pflanzen erzeugen sie bei der Fotosynthese Sauerstoff und binden das klimaschädliche CO2. Für die Waldhaustanne sind die Zahlen beeindruckend: "Eine Weißtanne speichert pro Jahr um die 24 Kilogramm CO2, also in 100 Jahren 2,4 Tonnen", so Michael Pscheidl vom Nationalpark. "Dann kann man sich ausrechnen, wie viel allein dieser Baum mittlerweile in den über 600 Jahren gespeichert hat."

Wie lange lebt die Tanne noch?

Wie lange die Tanne noch leben wird, kann niemand sagen. Momentan wirkt sie gesund und stabil, auch wenn sie innen schon teilweise hohl ist, wahrscheinlich bis zu einer Höhe von drei Metern. Das passiert bei alten Bäumen durch Braunfäulepilze, macht ihnen aber nichts. Borkenkäfer, die im Bayerischen Wald viele alte Fichten töten, bohren sich nicht in Tannen. Am wahrscheinlichsten ist, dass irgendwann ein Blitz den Baum spaltet oder ein starker Sturm ihn fällt. Dann dürfte der Urwaldriese hier im Nationalpark einfach liegen bleiben, jahrzehntelang langsam verrotten und wieder zu Waldboden werden.

Das kann man im Hans-Watzlik-Hain schon bei vielen umgefallenen Bäumen beobachten: "So ein Totholzstamm ist voller Leben. Er ist besiedelt mit Pilzen, mit Moosen, mit Käferarten und ist außerdem ein Riesenwasserspeicher. Die Nährstoffe, die der Baum in seinem Leben aufgenommen hat, gehen zurück in den Boden. Das ist der beste Dünger für junge Bäume", sagt Nationalpark-Ranger Michael Pscheidl.

Aus vermodernden Stämmen wachsen junge Bäume

Für Wanderer sind die vermodernden Stämme auf dem Waldboden des Hans-Watzlik-Hains faszinierend. Sie wirken fast mystisch, vor allem dann, wenn sie schon halb in den Boden eingesunken sind. Besonders schön wirkt es, wenn aus den morschen, längst weich gewordenen Baumresten junge Bäumchen heraussprießen. Sie nutzen die Nährstoff- und Wasserunterlage für ihr neues Leben.

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