Die Bilder sind verstörend: Dicht an dicht drängen sich Jungbullen durch einen schmalen Korridor vom Lkw in Richtung Frachtschiff. Sie müssen eine steile Rampe mit Stufen emporsteigen, die Tiere sind sichtlich angestrengt und wackelig auf den Beinen. Ein Mann verdreht einem der Rinder den Schwanz, es soll schneller vorangehen. Ein anderes Tier versucht während der Verladung zu fliehen, vergeblich mühen sich die Mitarbeiter, es mit Seilen einzufangen, der Jungbulle stürzt ins Wasser – er wird mit einem Kran herausgezogen und am Ende notgetötet.
Das Videomaterial stammt von der Tierschutzorganisation "Animal Welfare Foundation". Ein Informant hatte die Bilder im vergangenen Jahr im Hafen der Küstenstadt Tarragona im Nordosten Spaniens gedreht. Die Kälber werden in Spanien auf Farmen gemästet und unter anderem über das Mittelmeer nach Nordafrika und den Nahen Osten verschifft. "In den letzten Jahren ist das stark angestiegen, durch die großen Exportzahlen, die große Nachfrage in Drittländern wie Libanon, Ägypten und Libyen", sagt Iris Baumgärtner von Animal Welfare Foundation. Spanien bezieht die Tiere aus der ganzen EU.
Im Video: Tiertransporte - Das gnadenlose Geschäft mit Kälbern
Von der Oberpfalz und dem Allgäu über Spanien nach Libyen
Aus der Transportliste eines Schiffs nach Libyen geht hervor: viele Tiere stammen aus Deutschland - über die Ohrmarken konnte Kontrovers die Ursprungsbetriebe recherchieren, einige sitzen in Bayern. Verkauft wurden die Tiere völlig legal. Dann wird es kompliziert.
Wie sieht der lange Transportweg für die nur wenige Wochen alten Kälber nach Katalonien aus? Und warum werden aus dem Freistaat so viele, vor allem männliche Jungtiere, exportiert?
Besuch bei mehreren Landwirten in der Oberpfalz und im Allgäu. Die Bauern wollen sich nicht näher dazu äußern, nur so viel: Man habe die Kälber an einen regionalen Viehhändler verkauft - für weniger als 50 Euro pro Tier. Eine Bäuerin erklärt ihre Lage etwas ausführlicher: Sie habe zwischen 20 und 50 Euro pro Tier bekommen: "Die Schwarzbunten (eine Rinderrasse, Anm. d. Red.) sind so wenig wert, weil die zu wenig Fleisch haben." Ihr sei gesagt worden, die Kälber würden irgendwo ortsnah in eine Mast gehen. Wie sie es finde, dass die Tiere letzten Endes nach Libyen verschifft wurden? – "Unmöglich."
19-Stunden-Transporte: Statt Nahrung gibt es vor allem Wasser
Das Problem: Es gebe in Deutschland zu wenig Kälbermast – sagt Kai Braunmiller, Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Landwirtschaft und Tierschutz: "Unsere Landwirte müssen diese männlichen Kälber loswerden. Eine eigene Mast lohnt sich für die meisten aus wirtschaftlichen Gründen nicht." Die auf hohe Milchproduktion gezüchteten Rassen, entwickelten zu wenig Muskulatur. Man habe es hier beinahe mit einem reinen Exportmarkt zu tun, sagt Braunmiller. Mehr als 700.000 Kälber werden daher jedes Jahr aus Deutschland exportiert, vor allem in die Niederlande und nach Spanien.
Der Transport kann für die Tiere eine Tortur sein. Lkw-Transporte von bis zu 19 Stunden inklusive einer einstündigen Pause in der Mitte sind laut Gesetz möglich. An Bord bekämen junge Kälber aber statt Nahrung vor allem Wasser, so die Kritik der Tierrechtsaktivisten. "Die leiden de facto stunden- und tagelang unter Hunger", sagt Baumgärtner. Ihr zufolge sind die Tiere aber auch deutlich länger als erlaubt Richtung Süden unterwegs: "Wir haben ein Dossier zusammengefasst über Transportrouten von Kälbern, wo wir nachgewiesen haben, dass Kälber bis zu 70 Stunden nicht mit Nahrung versorgt werden."
Tierrechtsgruppe: Viele Tiere werden betäubungslos geschächtet
Die Tiere leiden, obwohl europäische Gesetze sie schützen sollten. Barbara Felde ist Verwaltungsrichterin und stellvertretende Vorsitzende der "Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht". Sie sagt, dass ein Kalb überhaupt nicht transportfähig sei, solange es noch auf Milch angewiesen und nicht mindestens fünf Wochen alt ist: "Vorher ist sein Immunsystem nämlich quasi noch nicht fertig."
Allerdings seien die Transporter zum allergrößten Teil für erwachsene Rinder gebaut. Mit den Wassertränken könnten Jungtiere nichts anfangen. "Milch kann man aber durch diese Tränken nicht leiten, so dass die meisten Kälber völlig unversorgt transportiert werden, und zwar über lange Strecken", sagt Felde. Ihr Fazit: "Unabhängig vom Alter der Tiere ist der Transport rechtswidrig."
Was mit den Tieren nach dem Transport, der Mast in Spanien und der Verschiffung passiert, zeigen Bilder der Tierrechtsgruppe "Animals International". Gerit Weidinger war jahrelang auf Schlachthöfen in Nordafrika unterwegs: "Den Tieren werden die Sehnen an den Beinen durchtrennt die Augen ausgestochen, um sie einfach daran zu hindern, wegzulaufen, zu flüchten. Es werden Seile benutzt, um die Tiere zu fixieren, um sie auch zu Fall zu bringen. All dies endet dann mit dem Kehlschnitt, auch bei vollem Bewusstsein." Viele Tiere würden betäubungslos geschächtet. Auch Kälber aus Bayern würden so behandelt.
Bayern wollte Export einschränken - Gerichte hebeln Erlass aus
Der Freistaat hatte deswegen schon vor Jahren reagiert und viele Exportländer in Nordafrika und Vorderasien zu Hochrisikostaaten erklärt. Bayerische Veterinärbehörden sollten keine Tiere mehr abfertigen, die am Ende in diesen Ländern landen. Allerdings haben Gerichte Transporte nach Klagen von Viehhändlern letztlich freigegeben und damit den bayerischen Erlass ausgehebelt. Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) sagt dazu: "Die Rechtslage ist unbefriedigend. Wir brauchen bundeseinheitliche und EU-weite Regelungen, um die verbliebenen Schlupflöcher zu schließen." Tierschutz ende nicht an der Landesgrenze, so Glauber.
Die Europäische Kommission will das Thema Tiertransporte neu regeln, bis Jahresende soll die Reform stehen. Allerdings gibt es dafür bislang keine Einigkeit zwischen den Mitgliedstaaten. Deutschland, Österreich, Schweden, Dänemark, die Niederlande, Belgien und Luxemburg wollen eine Verschärfung, die Mehrheit der EU-Länder, darunter die meisten Mittelmeeranrainerstaaten haben daran jedoch kein Interesse – sie haben viel in die Abwicklung von Tiertransporten investiert.
Beispiele zeigen: Höhere Fleischpreise könnten Transporte reduzieren
Es gibt vereinzelt auch Landwirte in Bayern, die zeigen, dass es anders geht. Thomas Tanzer führt einen Milchviehbetrieb im Allgäu, im Nebenerwerb mästet er Kälber. Tanzer kauft Jungtiere aus Betrieben, in denen Milchviehrassen mit Fleischrassen gekreuzt wurden. Das Ergebnis: kräftige Kälber, die auch für die Mast geeignet sind. "Die Tiere sind bei uns, bis sie circa zwei Jahre alt sind", sagt Tanzer.
Finanziell interessant wird das Geschäft durch die Kooperation mit einem regionalen Vermarkter. "Wir haben den Vorteil durch dieses Konzept, dass wir einen höheren Preis erzielen können, als würden wir die Tiere einfach so vermarkten", sagt Tanzer. Das Fleisch kostet den Verbraucher dann auch etwas mehr: 45 Euro das Kilo Kalbfleisch, Steaks vom Weiderind gibt’s für 29 Euro.
Im Video: Kontrovers-Interview mit Landesbäuerin Singer: "Keiner gibt gerne seine Tiere weg"
Dieser Artikel ist erstmals am 21. Juni 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!