Ein Lehrer eines Lauinger Gymnasiums hat Sex mit einer minderjährigen Schülerin. Die Schule stellt ihn frei. Einige Monate später unterrichtet er weiter, an einem privaten Gymnasium in Dillingen. Dort wollte man ihm eine zweite Chance geben, heißt es vom zuständigen Schulwerk Augsburg.
Sex mit Schülerin: Lehrer soll nun doch nicht mehr unterrichten
Nun hat die Sache aber doch weitere Konsequenzen für den Mathematiklehrer: Ab März, nach Ablauf seines Einjahresvertrages, wird er laut Schulwerk in der IT-Abteilung des Schulwerks der Diözese Augsburg arbeiten. "Die Entscheidung wurde getroffen, um die Situation für alle Beteiligten zu beruhigen", sagte Schulwerksleiter Peter Kosak dem BR. Die Geschichte des betroffenen Mädchens zeigt, wie schwer den zuständigen Institutionen der Umgang und die Aufarbeitung derartige Vorfälle fallen.
Der einsame Kampf um Aufklärung: Eine Chronologie
Ende Januar 2020 berichtete der BR erstmals über Grenzüberschreitungen von Lehrern an einem Lauinger Gymnasium. Dabei ging es Recherchen des BR zufolge zum einen um körperliche Annäherungen, zum anderen auch um Kontaktaufnahmen über soziale Medien, die über rein schulische Themen hinausgingen. Betroffen waren davon mehrere Schülerinnen und Schüler.
Erst einige Monate später, nach ihrem Abitur, traut sich eine 19 Jahre alte weitere Schülerin über ihre Erfahrungen zu sprechen. Zwei Jahre zuvor, mit 17, hatte sie ein Verhältnis mit ihrem Mathematiklehrer, bei dem es auch zum Geschlechtsverkehr gekommen war. Das bestätigt die Staatsanwaltschaft Augsburg. Der jungen Frau zufolge schrieb der Lehrer ihr zunächst mehrfach via Facebook und per WhatsApp, dann hätten sie sich mehrmals getroffen. Beim letzten Mal haben die beiden Sex. Dem BR liegt eine eidesstaatliche Erklärung der Betroffenen über den Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen vor.
Nach ihrem Abitur im Jahr 2020 habe sie dem Konrektor der Schule davon berichtet. Die umgehend eingeschaltete Direktorin des Lauinger Gymnasiums meldete den Vorfall dem Kultusministerium. Der Lehrer wurde freigestellt. Unterstützung von Seiten der Schulleitung habe man ihr keine angeboten, so die junge Frau. Damals sei es ihr sehr schlecht gegangen. Sie sei der Meinung gewesen, irgendwie "schuld" an dem Ganzen zu sein. Als sie dem Lehrer per WhatsApp schreibt, dass sie mit der Schulleitung gesprochen habe, habe der mit Unverständnis reagiert, berichtet die junge Frau. Sie hat den Chatverlauf noch vorliegen: "Bist du von allen guten Geistern verlassen", schreibt er, und weiter: "Weißt du, was das für mich bedeuten kann?"
Junge Frau bekommt offenbar keine Unterstützung
Von der Schule hört sie in den kommenden Wochen nichts. Zur Vernehmung bei der Kripo in Dillingen geht sie alleine, ohne rechtlichen Beistand. Letztendlich wird das Ermittlungsverfahren eingestellt: Laut Staatsanwaltschaft hat der Lehrer zwar "zumindest billigend in Kauf genommen, dass die Schülerin lediglich aufgrund ihrer inneren Abhängigkeit" von ihm als Lehrer in die Ausübung des Geschlechtsverkehrs einwilligte. Dem Beschuldigten könne aber "kein Missbrauch der Abhängigkeit nachgewiesen" werden, schreibt die Justizbehörde weiter. Einer drohenden disziplinarrechtlichen Maßnahme kommt der Lehrer zuvor: Er verzichtete freiwillig auf seinen Beamtenstatus. Das bestätigt das Kultusministerium. Seiner Aufgabe als Lehrer aber will er offensichtlich weiter nachgehen und findet dafür auch einen Arbeitgeber: Seit März 2022 unterrichtet er an einem privaten Dillinger Gymnasium.
Privates Gymnasium gibt Lehrer "zweite Chance"
Man habe ihm eine zweite Chance geben wollen, begründet das zuständige Schulwerk der Diözese Augsburg die Entscheidung. Damit dem Mann alle unvoreingenommen gegenübertreten können, habe man zunächst weder Eltern noch Schüler oder das Kollegium über seine Vergangenheit informiert. Das wollte man erst tun, wenn die Zeit dafür reif sei, so Schulwerksleiter Peter Kosak. Der Lehrer stehe unterdessen seit Beginn seiner Tätigkeit unter Beobachtung und müsse regelmäßig zum Psychologen. Über diese Besuche erhalte das Schulwerk regelmäßig Berichte, so Kosak weiter. Auch dürfe der Lehrer nicht mehr in der Oberstufe unterrichten. Er sei für ein Jahr auf Probe eingestellt worden. Das sei auch bei anderen Lehrkräften üblich.
Öffentlichkeit erst Monate nach Einstellung des Lehrers informiert
Im April 2022 berichtet der BR erstmals über die Beschäftigung des Lehrers an dem privaten Gymnasium und dessen Vergangenheit. Es folgen Berichte in regionalen und überregionalen Medien. Das Schulwerk informiert Anfang des neuen Schuljahres die Eltern, an dem Abend nimmt auch der betreffende Lehrer teil. Dieser Infoabend sei schon vorab geplant gewesen, so Kosak. Am Ende des Abends gibt es eine anonyme Abstimmung darüber, ob die Eltern Vertrauen in "diese Personalentscheidung des Schulwerks" haben. Die stimmen zu 97 Prozent dafür, sagt das Schulwerk.
Wenige Wochen später werden die Schüler informiert. Das hatten sich laut Schulwerk auch die Eltern gewünscht. Die Information der Schüler übernimmt der Schulleiter selbst. Er sei bemüht gewesen, die Gesamtumstände des Falls in offener Diskussion zu berichten, schreibt er auf BR-Anfrage. Das frühere Verhalten des Lehrers sei aufs Schärfste zu verurteilen, außerdem sei es auch "Aufgabe der Presse, über solche Fälle zu berichten".
Schulleiter rät zur Vorsicht im Umgang mit Medien
Mit der Art und Weise der Berichterstattung war der Schulleiter offenbar aber nicht ganz einverstanden: Nach BR-Informationen spricht er in Zusammenhang mit Journalisten von "Schreiberlingen" und rät den Schülern bei zumindest einer dieser Veranstaltungen zur Vorsicht im Umgang mit den Medien. Das habe er, "aus pädagogischem Impetus" heraus gemacht, "da Aussagen möglicherweise verdreht werden können", teilt er auf BR-Anfrage hin mit. Er räumt auch ein, Journalisten in diesem Zusammenhang als "Schreiberlinge" bezeichnet zu haben. In einer aufgeheizten und emotionalen Situation könne es "zu nicht immer objektiven Äußerungen kommen". Dafür entschuldige er sich.
Ein Gefühl, nur gegen verschlossene Türen gerannt zu sein
Und wie kommt das alles bei der Betroffenen an? Im Gespräch mit dem BR sagt sie, heute gehe es ihr gut. Sie wolle keine Rache. Ihr Wunsch sei es, dass andere Betroffene nicht das erleben müssten, was ihr widerfahren sei. Sie habe keine Unterstützung von ihrer damaligen Schule bekommen, sagt sie dem BR. Niemand habe das Gespräch mit ihr gesucht. Eine offene Kommunikation und Auseinandersetzung über die Vorfälle gab es ihr zufolge nicht. Im Nachhinein hat sie das Gefühl, keine Chance gehabt zu haben und nur gegen geschlossene Türen gerannt zu sein.
Als sie einige Monate später von der neuen Anstellung des Lehrers hört, ist sie zunächst schockiert. Dass es, etwa ein halbes Jahr später, bei einer ersten Informationsveranstaltung für Eltern eine Abstimmung gab, das stoße ihr bitter auf, sagte sie dem BR. Von der von Seiten des Schulwerks immer wieder erwähnten Reue des Lehrers habe sie nichts gespürt. Nach ihrem letzten Kontakt über WhatsApp, als sie ihm mitgeteilt hatte, dass sie die Sache gemeldet hätte, hätte sie nichts mehr von ihm gehört.
Die heute 22-Jährige, die inzwischen studiert, hofft, dass aus dem Umgang mit ihrem Fall Lehren gezogen werden. Sollten Schülerinnen oder Schüler ähnliche Erfahrungen gemacht haben, müsse künftig anders und offener damit umgegangen werden.
Schulwerk setzt auf Prävention
Schulwerksleiter Peter Kosak betont, dass alle Angestellten des Schulwerks der Diözese Augsburg eine mehrstündige Präventionsveranstaltung gegen sexualisierte Gewalt durchlaufen würden. Schülerinnen und Schüler könnten sich an eine Vertrauensperson ihrer Wahl an der Schule wenden. In den vergangenen Monaten wurde außerdem ein institutionelles Schutzkonzept entwickelt, das einen vorgeschriebenen Meldeweg transparent festlege. Der betreffende Lehrer werde unterdessen nur noch bis Februar 2023 als Lehrer arbeiten. Dann wird er in die IT-Abteilung des Schulwerks der Diözese versetzt.
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