Am 24. August 2023 veröffentlicht der jetzige AfD-Landtagsabgeordnete Franz Schmid einen Beitrag auf der Plattform "X". Damals ist er noch im Wahlkampf und macht eine "Ehrenerklärung". Im Falle eines Mandatsgewinns, schreibt er, werde er einen "großzügigen Anteil meiner Abgeordnetendiät patriotischen Vorfeldorganisationen zukommen lassen."
Wen Schmid mit Vorfeldorganisationen meint, darauf deutet ein anderer Post hin, der dem BR vorliegt. Darin nennt er das rechtsextreme Portal "Info Direkt".
Gezielte Kontaktversuche
Für Schmid sind das Spenden für "patriotische Vereine", die in seinen Augen "aus Idealismus und für unser Land etwas bewirken wollen", wie er dem BR auf Anfrage schreibt.
Für den Verfassungsschutz sind solche Posts Belege, dass Politiker der AfD im vergangenen Jahr gezielt versucht hätten, die Vernetzung und Kooperation mit rechtsextremistischen Organisationen auszubauen.
Bayerischer Verfassungsschutz beobachtet die AfD
Der Präsident des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Burkhard Körner, hat im Innenausschuss des Landtags einen Bericht vorgestellt und dargelegt, welche Vernetzungen die AfD mit extremistischen Akteuren hat. Die Posts von Franz Schmid sind darin anonym gelistet – und nur eines von mehreren Beispielen. Die Erkenntnisse dürften für die zukünftige Bewertung und Beobachtung der Partei eine Rolle spielen.
Seit dem 21. Juni 2022 beobachtet das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz einzelne Akteure der AfD. Ziel ist, herauszufinden, inwieweit "die AfD als Gesamtpartei Bestrebungen verfolgt, die den Kernbestand des Grundgesetzes zu beeinträchtigen oder zu beseitigen versuchen". Dabei blicken die Verfassungsschützer auf verschiedene Aspekte: das offizielle Parteiprogramm, Äußerungen von Mandatsträgern und das Verhältnis der AfD zu extremistischen Organisationen. Nehmen diese Einfluss auf die Partei? Oder unterstützt die AfD diese Organisationen?
Vernetzungstreffen in Dasing
In dem Bericht nennt der Verfassungsschutz nun mehrere Verbindungen.
Erstens: Eine Veranstaltung am 11. November in Dasing, organisiert von der rechtsextremistischen Gruppierung "Reconquista 21". Der BR berichtete. Bei dem Treffen trat auch der führende Aktivist der rechtsextremen Identitären Bewegung im deutschsprachigen Raum, Martin Sellner, auf und sprach zu dem Thema Remigration. Sellner hat unter diesem Begriff bereits mehrfach gefordert, dass auch deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund Deutschland verlassen müssen – für den Verfassungsschutz ein Verstoß gegen das Grundgesetz. In Dasing waren auch Abgeordnete der bayerischen AfD anwesend. Bilder, die dem BR vorliegen, zeigen Franz Schmid und Daniel Halemba.
Extremistische Gruppen: "Partner für die Partei"?
Zweitens: Ein gemeinsamer Auftritt von AfD-Mitgliedern und Mitgliedern der Identitären Bewegung am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz vergangenes Jahr. Der Chefredakteur des rechtsextremistischen "Compact"-Magazins, Jürgen Elsässer, warb dort für eine stärkere Vernetzung. Weitere Aufeinandertreffen zwischen Mitgliedern der Identitären Bewegung und der AfD gab es zudem im April bei einer Kundgebung des AfD-Landesverbands Nürnberg oder im Juni am Rande einer Drag-Queen-Lesung in München.
Drittens: Der Verfassungsschutz verweist auf die Veranstaltung eines Landtagsabgeordneten am 04. Dezember 2023. Titel der Veranstaltung: "Junge Alternative und Vorfeld – Partner für die Partei". Auf Instagram hat der Landtagsabgeordnete Benjamin Nolte in einem Post zu der Veranstaltung eingeladen und später Fotos davon veröffentlicht. Darunter schreibt er: "Viele Mitglieder und interessierte Bürger nutzten die Gelegenheit, sich über die Bedeutung des Vorfelds für eine erfolgreiche parlamentarische Politik zu informieren." Als Vorfeld werden politische Gruppen bezeichnet, die einer Partei nahestehen. Dem BR schreibt Nolte dazu: Er habe Parteimitgliedern und interessierten Bürgern darlegen wollen, was sich hinter dem Begriff "politisches Vorfeld" verbirgt und welche Ausprägungen es gebe.
Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel
Burkhard Körner, Präsident des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz, bilanziert: Die Erkenntnislage zeige insgesamt eine "verstärkte Vernetzung und Kooperation" zwischen Teilen der AfD und rechtsextremistischen Akteuren. Die Vernetzungsaktivitäten hätten in "Quantität und Qualität" zugenommen. Und sie gingen zu einem "erheblichen Anteil" von Akteuren aus, die "innerhalb der AfD eine wichtige Rolle spielen".
Derzeit beobachtet das Landesamt für Verfassungsschutz die AfD nach eigenen Angaben nur über öffentlich zugängliche Quellen. Nachrichtendienstliche Mittel, wie etwa Observationen, Abhörmaßnahmen oder der Einsatz von V-Leuten, werden nicht angewendet. Erlaubt wäre es, sofern die Maßnahme im Einzelfall verhältnismäßig ist. Darüber entscheidet ein Gericht. Körner sagt nun: Wenn sich die Kenntnislage verdichte, dann könnten auch nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt werden. Zudem wird derzeit geprüft, ob auch einzelne Abgeordnete beobachtet werden dürfen. Das Bundesverfassungsgericht hat die gesetzlichen Hürden dafür besonders hoch gehängt. Die Prüfung dürfte bis Frühjahr abgeschlossen sein.
AfD: Verfassungsschutz sei "weisungsgebunden"
Für die AfD sind die Maßnahmen nicht verständlich. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Richard Graupner, spricht von einer "allgemeinen Hysterie gegen rechts" und von "Fehlalarm".
Auch der Landesvorsitzende der AfD, Stephan Protschka, sagt im BR-Interview. "In meiner Partei ist keiner extrem. Extrem ist für mich jemand, der zuschlägt, der mordet." Deswegen sehe er auch keinen Handlungsbedarf.
💬 Mitdiskutieren lohnt sich: Die folgende Passage hat die Redaktion im Rahmen des BR24-Formats "Dein Argument" ergänzt. Hintergrund sind User-Kommentare unter Social-Media-Postings von BR24, was der Verfassungsschutz unter Rechtsextremismus versteht.
Das Landesamt für Verfassungsschutz sagt, bei Rechtsextremismus gebe es verschiedene Ausprägungen. Charakteristisch für all diese Strömungen seien "die übersteigerte Betonung der Nation" sowie ein "autoritäres Denken, das die 'Volksgemeinschaft' über das Individuum stellt". Zentrale Werte der freiheitlich demokratischen Grundordnung wollten Rechtsextremisten abschaffen, die Gruppen richteten sich auch gegen die Gleichheit der Menschen. "Das rechtsextremistische Weltbild geht davon aus, dass die Zugehörigkeit zu einer 'Rasse' den Wert eines Menschen bestimmt", so der Verfassungsschutz. 💬
Dem Präsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz wirft Protschka vor, Weisungen vom Innenministerium ausgeführt zu haben. Das Innenministerium und der Verfassungsschutz teilen hierzu mit: Es habe in Bezug auf die Beobachtungen der AfD keine Weisung gegeben.
Kritik: Fehlende Distanzierung führender AfD-Politiker
Der innenpolitische Sprecher der CSU im Landtag, Holger Dremel, sagt: "Wer sich mit bekannten Extremisten wie Martin Sellner trifft und danach im Ausschuss frech behauptet, extremistische Verknüpfungen der AfD seien eine Erfindung der Medien und der anderen Parteien, der lügt ganz offensichtlich." Dremel kritisiert, dass sich die Abgeordneten der AfD im Innenausschuss nicht von extremistischen Gruppierungen oder den genannten Vorfällen distanziert haben. "Sie haben sich insbesondere auch immer noch nicht parteiintern von den entsprechenden Parteimitgliedern getrennt. Das spricht für sich!"
Ähnlich äußert sich auch der innenpolitische Sprecher der Freien Wähler im Landtag, Wolfgang Hauber. Wer sich wie die AfD mit extremistischen Gruppierungen vernetze, stehe den Werten und Vorgaben der Verfassung diametral entgegen. "Dies gilt nicht nur für einzelne Parteimitglieder, sondern auch für die Parteispitze, welche ein solches Verhalten augenscheinlich duldet und fördert."
Diskussion über Verbotsverfahren
Der stellvertretende Vorsitzende des Innenausschusses, der Grünen Politiker Florian Siekmann, sagt: "Die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes weisen ganz deutlich darauf hin, dass Bestrebungen innerhalb der AfD versuchen, unsere Demokratie zu untergraben." Er fordert deswegen, die Beobachtung der AfD zu verstärken, mit dem Ziel, Beweise zu sammeln. Auf deren Grundlage könne entschieden werden, ob ein Verbotsverfahren eingeleitet wird, oder nicht.
Die innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Christiane Feichtmeier, sieht in dem Bericht viele Argumente für einen Verbotsantrag gegen die AfD. "Nach dem Bericht wird für uns als Fraktion immer klarer: die Teile innerhalb der AfD, die gegen Menschenwürde und das Demokratieprinzip agieren, sind in der Überzahl."
Die Hürden für ein Parteiverbot sind besonders hoch. Zudem dürfen laut Gesetz nur Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat einen entsprechenden Antrag stellen.
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