Yurij Sukhotin hat schwer zu tragen. Der ukrainische Soldat arbeitet seit fast einem Jahr bei einem Regensburger Unternehmen, das sich auf Korrosionsschutz spezialisiert hat. Mit nur einer Hand schiebt er hier fast täglich ein etwa 250 Kilogramm schweres Fass Isolierlack zu einer Dosiermaschine.
Wenn er könnte, würde Yuri dafür beide Arme benutzen. Doch das kann er nicht: Sein linker Arm wurde ihm in Folge eines Raketeneinschlags weggerissen, als der Soldat letztes Jahr an der ukrainischen Ostfront kämpfte. Seither muss er sein Leben mit nur einem Arm meistern – in einem fremden Land, abseits des Krieges.
- Zum Artikel: "Ukrainische Verwundete in Deutschland: Der Krieg im OP-Saal"
Fast 1.000 Verwundete in deutschen Kliniken
Als einer der ersten Verwundeten wurde Yurij aus der Ukraine nach Deutschland gebracht. Kurz nach Kriegsbeginn hat die Bundesrepublik damit begonnen, ukrainische Verwundete aufzunehmen. Dabei handelt es sich sowohl um Zivilisten, als auch um Soldaten. Seither wurden an deutschen Kliniken 913 Patienten versorgt. Laut dem bayerischen Innenministerium wurden davon 149 Verwundete im Freistaat behandelt.
Die Kosten für den Transport wie auch die Behandlung sei Teil der gesundheitlichen Hilfeleistung durch Deutschland und werden daher auch vom Staat getragen, wie es in einer Handreichung des Bundesgesundheitsministeriums heißt: "Aus der Ukraine über Evakuierungsflüge nach Deutschland verlegte hilfsbedürftige Patientinnen und Patienten haben nach ihrer Ankunft in Deutschland unbürokratisch und schnell Zugang zu einer qualitativ hochwertigen medizinischen Versorgung, ohne dabei selbst Kosten zu tragen." Trotzdem müssen auch die ukrainischen Kriegsversehrten erst im Ausländerzentralregister registriert sein, um Leistungen unter anderem der Krankenkassen in Anspruch nehmen zu können.
Verwundung: Suche nach dem Sinn des Lebens?
Während Yurij das schwere Fass mit einer Hand und beiden Füßen in die richtige Position schiebt, erklärt er, was es mit der Lackierung auf sich hat. Dass er auf die genaue Mischung zwischen Isolier- und Löschschutz achten müsse, die auf den Deckel für Autobatterien aufgebracht wird. Dass bei einem Brand seine Arbeit hilft, dass die Menschen genug Zeit haben, aus dem Elektrofahrzeug zu kommen. Eine verantwortungsvolle Aufgabe, die zur Persönlichkeit von Yurij passt.
Er hat für seine vierköpfige Familie eine größere Wohnung organisiert. Beim ersten Treffen vor einem Jahr konnte der Familienvater nur ein wenig Englisch. Ein Interview war nur mit ukrainischem Übersetzer möglich. Damals hat er gerade erst mit einem Deutsch-Kurs angefangen. Ein Jahr später spricht Yurij so gut Deutsch, dass er die teils komplexen Arbeitsabläufe verständlich erklären kann. Bald schließt der junge Mann den Deutsch-Kurs für Fortgeschrittene ab, für den er nach der Arbeit jeden Abend lernt.
Kampf mit der Prothese: Kein Armersatz
Die Zahl der Verwundeten, die zur Behandlung aus der Ukraine in deutsche Krankenhäuser verlegt werden, bleibt konstant hoch. Es handelt sich meist um Kriegsversehrte, die dauerhaft mit den Folgen des Krieges zu kämpfen haben, die Arme, Beine, Augen verloren haben. Doch seit einigen Wochen hat Yurij eine elektrische Arm-Prothese. Eine Spezialanfertigung aus Münster, die mithilfe von zwei Muskeln gesteuert wird. Je nachdem wie und welchen der beiden Muskeln er bewegt, hebt sich zum Beispiel der künstliche Arm oder ballen sich die Finger zu einer Faust. Auf einem Tablet wird ihm das Trainingsprogramm angezeigt. Noch nutzt er die Prothese nur zum Üben. Bei der Arbeit trägt er sie nicht. "Es ist wichtig, dass ich die Prothese irgendwann in mein Leben integriere. Dafür muss ich mich aber konzentrieren. Jetzt muss ich erstmal Deutsch lernen."
Hilfsorganisation: Ukrainer integrieren und fordern
Yurij sei ein Musterbeispiel, sagt Michael Buschheuer, Gründer der Hilfsorganisation SpaceEye und Yurijs Chef. "Er ist ein Vorbild. Trotz Verwundung, Traumatisierung, neuer Sprache, blickt er nach vorne und gibt Gas." Buschheuer gehört die gleichnamige Firma, in der auch viele andere Geflüchtete aus der Ukraine eine Arbeit gefunden haben. Der Unternehmer macht klar: Ganz selbstlos sei seine Hilfe nicht. Es gäbe genug Arbeit.
Für Buschheuer ist eine Anstellung aber auch wichtig, damit die Integration von Geflüchteten gelingt. "Wir müssen die Menschen schnell integrieren und auch fordern. Wir müssen sagen: Pass auf, du bekommst Hilfe, sehr viele Leistungen von der deutschen Gesellschaft, daran musst du aber auch mitarbeiten." Die Gesellschaft stehe dafür in der Pflicht, die Ukraine angesichts neuer Krisen und Kriege nicht zu vergessen, so Buschheuer.
Ukraine-Krieg: Kein Ende in Sicht?
Inzwischen hat sich Yurij einen weißen Einmaloverall angezogen. Der linke Ärmel schwebt ihm hinterher bei seinem Kontrollgang durch die Lackierkabine. Zwei Roboterarme sprühen hier die grau-weiße Substanz auf die Stellen, an denen später mal die Autobatterie befestigt sein wird. Yurij muss die Düsen ab und zu neu justieren, damit die Roboterarme gründlich arbeiten. Ein skurriles Bild. Nicht so für Yurij. "Warum soll ich nicht arbeiten? Ich habe hier eine Chance. Und ich brauche nur meinen Willen und ein wenig Geduld."
Yurij ist dankbar dafür, sich ein neues Leben aufbauen zu können. Andere Männer in seinem Alter hätten diese Möglichkeit nicht. Klar sei die Gesundheit wichtig. "Doch ich habe gelernt: Viel wichtiger ist es, eine Zukunft zu haben. Die haben viele Ukrainer nicht. Sie sterben jeden Tag. Ich habe nur einen Arm verloren." Für Yurij muss der Krieg bald enden. Deutschland könne dafür noch mehr und schneller Waffen liefern, findet der ukrainische Soldat. Denn es gehe auch um die Zukunft der Deutschen.
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