Vanessa Rexhaj hat sich extra schick gemacht. Im blauen Anzug sitzt sie da, wo ansonsten 60 Kreisräte sitzen: im Großen Sitzungssaal im Landratsamt Mühldorf. Zwischen den halbrunden Tischreihen im Raum haben sich vier Schülergruppen verteilt. Zusammen spielen sie heute eine Kreistagssitzung durch.
Auseinandersetzung mit politischen Fragen
Vanessas Fraktion bereitet die letzten Argumente vor. Gleich muss alles sitzen. Denn für die Simulation werden alle Rollen, egal ob Landrat, Sitzungsdienst oder Kreisrat, von den insgesamt 30 Schülerinnen und Schülern übernommen.
Politische Planspiele sollen die aktive Auseinandersetzung mit einer politischen Frage ermöglichen. Vanessa ist dafür in die Rolle der Fraktionsvorsitzenden geschlüpft. Wie auch in einer echten Kreisratssitzung ist sie diejenige, die die Anträge ihrer Fraktion im Plenum einbringt. Ob sie nervös ist? "Nein, eigentlich nicht", sagt sie. Ihre Sitznachbarin Layla Slaivani ergänzt: "Es werden bestimmt Argumente kommen, mit denen wir nicht gerechnet haben. Aber wir sind gut vorbereitet". Layla lacht. "Und wenn nicht, dann wird uns schon was einfallen."
Was die Schüler gleich diskutieren? Ob der Landkreis für kostenloses Mittagessen und für gratis Periodenprodukte an Schulen zahlen soll.
Jugendliche sollen demokratischen Prozess erleben
Über den Kreistag wusste Vanessa vor dem Planspiel kaum etwas. "Ich habe mich angemeldet, weil sie uns in der Berufsschule gesagt haben, dass wir hier mitmachen können", erklärt sie. Jetzt in der Sitzung diskutiert sie mit und kontert immer wieder die Argumente der Gegenfraktion.
Mit dabei in der Sitzung ist auch die Mühldorfer Kreisrätin Heike Perzlmeier. "Es ist wichtig, dass die Jugendlichen überhaupt mit Kommunalpolitik vertraut werden", sagt sie. "Im Kreistag werden große Themen entschieden." Ihr ist es wichtig, dass die Jugendlichen verstehen, wie sich Politik auch auf ihren Lebensalltag auswirkt.
Planspiel: Anders als der Politikunterricht
Natürlich lehrt auch der Schulunterricht den politischen Prozess in der Demokratie. Im Planspiel ist die Lehr- und Lernmethode aber eine andere, erklärt Eva Feldmann-Wojtachnia vom "Centrum für angewandte Politikforschung" in München. Denn dadurch, dass die Teilnehmenden einen politischen Prozess tatsächlich durchspielen, kommen sie laut Feldmann früher oder später an einen Punkt, an dem sie nicht weiterwissen: "Eine Abstimmung geht beispielsweise 50:50 aus. Dann weiß man nicht: Was ist jetzt? Und plötzlich wird das politische System interessant, weil man es in dem Moment braucht".
Das passiert auch beim Planspiel in Mühldorf: Eine Fraktion stellt einen Änderungsantrag. Was jetzt? Kurzes Getuschel, kurze Erklärung, dann geht’s auch schon weiter.
Planspiele sind in ihrer Vorbereitung sehr aufwändig, sagt Feldmann. Deswegen gibt es bayernweit eine Vielzahl von Angeboten, auf die Schulen und andere interessierte Gruppen zurückgreifen können. Eva Feldmann und ihr Team führen auf Anfrage bayernweit Planspiele durch.
"Ich hatte es mir viel langweiliger vorgestellt"
Im Großen Sitzungssaal in Mühldorf haben Vanessa und ihre Fraktion Argument um Argument vorgebracht. Bei der Abstimmung reicht es trotzdem nicht ganz. Die anderen Schüler stimmen zwar für die kostenlosen Menstruationsprodukte. Aber bei der Frage nach der Einführung von kostenlosem Schulmittagessen gehen nur wenige Hände in Höhe.
Vanessas Fazit nach der Sitzung: "Wir hatten starke Argumente. Aber am Ende haben wir verloren, weil den anderen Fraktionen die Kosten für das Mittagessen zu hoch waren." Trotzdem: Die Arbeit des Kreistags kann sie jetzt viel besser verstehen: "Ich hatte es mir viel langweiliger vorgestellt", meint Vanessa.
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