Mitten auf dem Land in Bayern, wo alle paar Kilometer ein Bildstock mit Jesus-Darstellung an der Straße steht, lebt eine jüdische Familie. Gerade an christlichen Feiertagen sei dies eine Herausforderung, erzählt Mama Kathrin. Ihr Sohn Levi gehe in einen katholischen Kindergarten und dort werde "natürlich der Fokus auf die christlichen Feiertage gelegt".
Wie begeht man jüdische Feiertage auf dem katholischen Land?
Und so passierte es, erzählt Kathrin, dass ihr Sohn Levi aus der Kita kam und einen Adventskalender haben wollte, so wie die anderen Kinder auch. Doch Kathrin, ihr Mann Benjamin und ihre zwei Kinder feiern nicht Advent. Sie feiern Chanukka, das jüdische Lichterfest.
Kathrin wurde kreativ. Im Wohnzimmer steht eine große Holzbox mit vielen kleinen Schubladen, die mit blauen Zahlen beschriftet sind: ein Chanukka-Kalender. Er sei eine Adaption des Adventskalenders, sagt Kathrin, "da wird aber nicht typisch von 1 bis 24 geöffnet, sondern wir machen das rückwärts. Und so machen wir auch jeden Tag ein Türchen auf. Aber bis halt Chanukka kommt und nicht Weihnachten."
"Weihnukka" – ursprünglich ein Spottbegriff
Jüdische Familien, die Weihnachtsschmuck übernehmen – dafür gibt’s einen Namen: "Weihnukka". Dieser Begriff entstand Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts, sagt die Historikerin Cilly Kugelmann. Sie hat vor knapp zwanzig Jahren als damalige Programmdirektorin des Jüdischen Museums Berlin eine Ausstellung dazu organisiert.
"Weihnukka" sei ein Spottbegriff, der in dieser Zeit entstanden sei, für Juden, die es eher vorziehen, mehr Weihnachten als Chanukka zu feiern, erklärt Kugelmann. Denn: Im gehobenen, säkularisierten jüdischen Bürgertum war es durchaus verbreitet, zum Beispiel einen Weihnachtsbaum aufzustellen. Wobei natürlich die religiösen Inhalte des Weihnachtsfests ausgeklammert wurden.
Wer "Weihnukka" kritisierte, sah darin einen Beleg für eine zu starke Assimilation an die Mehrheitsgesellschaft. Mit dem Holocaust verschwand das Phänomen aus Deutschland weitgehend. Dafür hat es in den USA als "Chrismukka" ein Revival erfahren.
Juden erinnern an Wiedereinweihung des zweiten Tempels und das Öl-Wunder
Von ihren Ursprüngen her haben Weihnachten und Chanukka eigentlich keine Gemeinsamkeiten. An Chanukka feiern Jüdinnen und Juden die Wiedereinweihung des zweiten Tempels in Jerusalem vor rund 2.200 Jahren, die Befreiung des jüdischen Volkes von der Fremdherrschaft.
Davon erzählt Benjamin, der mit Kathrin und seinen Kindern auf dem Land in Bayern lebt. Es sei eine Metapher: "Der Sieg des Lichts über die Dunkelheit. Der Sieg des Widerstands, der Freiheit gegen die Unterdrückung. Und das feiern wir an diesem Tag bzw. acht Tage lang."
Die Überlieferung besagt: Bei Wiedereinweihung des Tempels brannte der Tempelleuchter acht Tage – obwohl das Öl eigentlich nur für einen gereicht hätte. Ums Öl-Wunder dreht sich alles – zu Chanukka gibt’s Latkes, frittierte Kartoffelpuffer, und Sufganiyot, in Öl gebackenes Spritzgebäck – ein Festessen.
Weihnachten und Chanukka – Familienfeste in der dunklen Zeit
Chanukka sei Zusammensein in der Familie, sagt Benjamin. "Chanukka ist in der kalten dunklen Jahreszeit, Licht für uns, Freude für die Kinder, Geschenke, einfach sich freuen, gut gehen lassen."
Trotz aller Unterschiede – in dieser Hinsicht ähneln sich Weihnachten und Chanukka. Die Familie von Benjamin und Kathrin nimmt’s locker: die Weihnachtsstimmung mitnehmen, aber dann schon klassisch jüdisch feiern. Jeden Tag zünden sie eine Kerze auf dem Chanukka-Leuchter an – und Benjamin sagt den Segensspruch.
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