Was die Mafia in der Gesellschaft anrichten kann, hat der Dozent und Karlsruher Richter Alessandro Bellardita in seiner eigenen Familie erlebt: Durch die von der Mafia in Sizilien geschaffenen Verhältnisse wurden seine Eltern Anfang der 1980er-Jahre aus Italien vertrieben.
Die Macht der Mafia in Deutschland einzudämmen – das ist nun Bellarditas Anliegen. Dafür reist er durch ganz Deutschland, hält Vorträge und klärt Jung und Alt über die Strukturen der Mafia auf. Vergangene Woche war er im Kulturhaus "Leerer Beutel" in Regensburg. Dort zeigte er dem Publikum Bilder von im Kampf gegen die Mafia getöteten Menschen. Darunter auch das Bild des ermordeten Richters Rosario Livatino.
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Der unermüdliche Kampf gegen die Mafia
"Wer die neue Mafia verstehen will, muss nach Deutschland." Rosario Livatino
Mit diesen Worten des jungen Richters Livatino beginnt Alessandro Bellardita gerne seine Vorträge. Denn die Mafia in Deutschland zeigt seit den 1960er-Jahren eine Evolution. Anfangs war Deutschland für die Mafia nur ein Ort der Entspannung und der Flucht vor der italienischen Justiz.
In den 1980er-Jahren versuchte die Mafia dann mit Schutzgelderpressungen in Mannheim Geld zu machen. Das Geschäft stellte sich dort nicht als lukrativ genug da, da sich die Mannheimer größtenteils dagegen währten, erzählt Bellardita. In den 1990er-Jahren jedoch, mit dem Fall der Berliner Mauer und der Freiheit des Binnenmarktes, breitete sich die Mafia verstärkt in Deutschland aus – und das offenbar im Hintergrund.
Die moderne Mafia ist unsichtbar
Die moderne Mafia in Deutschland sei still, fast unsichtbar, bescheiden – nicht protzig oder wahnsinnig extrovertiert, sagt Alessandro Bellardita. Die Mitglieder investieren laut ihm auch gerne da, wo keine Waren abgesetzt werden müssen. Über Monate hinweg konnte zum Beispiel die 'Ndrangheta-Mafia ihre Gelder im großen Stil waschen – über Wirecard-Konten in Online-Spielcasinos.
Die moderne Mafia wendet auch selten physische Gewalt an. Das bestätigt auch der Sprecher des bayerischen Landeskriminalamtes, Ludwig Waldinger: "Typische Aktionen sind Geldwäsche – das ist klar – aber auch Drogenschmuggel, der in Deutschland und Bayern durchgeführt wird. Was wir weniger haben, das sind gottseidank Gewalttaten, so wie man sich das vorstellt."
"Verniedlichendes" Bild der Mafia in der deutschen Gesellschaft?
Judith Eisinger, vom Anti-Mafia-Verein "mafianeindanke e.V." , findet das Mafia-Verständnis in der deutschen Gesellschaft gefährlich.
"Unser Bild von der Mafia ist sehr verniedlichend: Wir denken an den Paten, an Ehrenmänner an La Familia. Viele denken, die Mafia kommt aus Italien, das ist ein italienisches Problem und wir sind immun. Das sind wir nicht." Judith Eisinger, Sprecherin Anti-Mafia-Verein mafianeindanke e.V.
Das prägende Bild in der Gesellschaft hängt natürlich auch mit der Haltung der Politik zusammen. Denn die italienische Mafia ist oft ein Thema, das die deutsche Politik gerne nach Italien verlagert.
Richter Bellardita warnt davor, dieses Problem nicht ernst zu nehmen, "weil sonst das passiert, was in Norditalien passiert ist, wo auch lange, lange Zeit Politiker das Ganze sehr stark unterschätzt haben und irgendwann gemerkt haben, dass die Leute, die beispielsweise in der Verwaltung oder sogar einen Kommunalräten saßen, dann Leute waren, die direkt oder indirekt der Mafia zugehörig waren."
Die Folgen sind Einschränkungen der Freiheit, der Menschenwürde. Es sind Einschnitte in die Demokratie:
"Die Mafia macht uns nicht nur kaputt, wenn irgendwelche Menschen ermordet werden. Die Mafia zerstört jeden Tag unsere gesellschaftliche Ordnung." Richter Alessandro Bellardita
Druck auf Unternehmen – etwa über Mozzarella
Jeder hat das Recht auf einen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. So steht es im Grundgesetz. Aber wenn ein mittelständiges Unternehmen sich mit einem Konkurrenten messen muss, der keine Probleme hat, sich ohne Banken zu refinanzieren, kommt es in schwierige Lagen. Das passiere in Deutschland täglich, so Bellardita: "Wer als Konkurrenten jemanden hat, der über Unsummen an Bargeld verfügt, der verliert immer."
Die moderne Mafia drängt zwar auch heute noch deutsche Unternehmen in Zwangsverträge. Sie geht dabei inzwischen aber viel raffinierter vor, sagt der Karlsruher Richter. Das Klischee der italienischen Restaurants und Eisdielen, wo keiner hingeht und Hinterzimmer, in denen dubiose Geschäfte gemacht werden – das mag vielleicht in einigen Fällen stimmen. Oft wissen die Betreiber der Restaurants anfangs aber selbst nicht, dass sie mit der Mafia in Verbindung stehen, betont Bellardita.
Ein Beispiel von vielen: Gastronomen suchen günstige Produkte für ihr Restaurant. Zum Beispiel Mozzarella oder Wein. Über Firmen, die mit der Mafia in Verbindung stehen, bekommen sie das Gesuchte zu extrem günstigen Preisen. Die Betreibenden profitieren von den günstigen Preisen, da sie bei gleichem Umsatz nun mehr Gewinn machen können. Langfristig haben sie aber nur noch einen Ansprechpartner: die Mafia. So entstehen Abhängigkeiten – und die Mafia drängt die Betreiber am Ende in die Geldwäsche.
Wie stark ist die Mafia in Deutschland?
Das Bundeslagebild zur organisierten Kriminalität zeigt: Vor zwei Jahren waren rund 700 Fälle der organisierten Kriminalität in Deutschland bekannt. Davon rund 80 in Bayern. Die tatsächlichen Zahlen könnten aber viel höher sein: Das behauptet zumindest der italienische Anwalt Nicola Gratteri, der in Italien einen Prozess gegen Dutzende Mitglieder der 'Ndrangheta führt. Der Anwalt rechnet allein für Süddeutschland mit 30 Untergruppierungen der Mafia mit jeweils 50 Mitgliedern. Auf ganz Deutschland gerechnet könnte das eine Zahl von 3.000 bis 4.000 Mafia-Mitgliedern bedeuten, deutet Alessandro Bellardita an.
Wie viel Umsatz die Mafia in Deutschland macht, ist eine Frage, die niemand wirklich klären kann. Auch der Verein "mafianeindanke", der sich seit Jahren mit dem Thema befasst, kann sie in seinem Newsletter nicht beantworten: "Denn ohne kontinuierliche Ermittlungen, ohne Forschung, ohne kontinuierliches politisches Interesse und ohne Bewusstsein in der Bevölkerung, woher sollen diese Zahlen kommen?"
Beobachtungstelle gegen Organisierte Kriminalität
Deshalb fordert der Verein einen "Thinktank", eine Art Beobachtungsstelle ausschließlich für die organisierte Kriminalität. Ein Konzept für die Beobachtungstelle hat sich der Verein schon überlegt. Diese Beobachtungstelle könnte auch Gesetzesänderungen anregen – zum Beispiel zum Paragraphen 129 des Strafgesetzbuchs. Der Paragraph soll kriminelle Vereinigungen in Deutschland bestrafen, kommt aber selten zur Anwendung.
Was tun gegen die "unsichtbare" Mafia?
Richter Bellardita plädiert auch für eine weitere wichtige Maßnahme: eine fundierte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Mafia. "Es kann nicht sein, dass wir so gut wie keine Lehrstühle haben, die sich wirklich ausschließlich und schwerpunktmäßig mit diesem Thema beschäftigen", meint Bellardita. In Deutschland gebe es zwar Projekte, etwa beim Institut für Kriminologie der Universität Tübingen. Diese müssten aber noch stärker in den Fokus gerückt werden.
Auch eine Staatsanwaltschaft, die sich auf Bundesebene mit organisierter Kriminalität beschäftigt, müsste laut Bellardita her: "Hier in Deutschland funktioniert es leider immer noch so, dass sich die Staatsanwaltschaften vernetzen müssen. Und die 'Operation Eureka' zeigt, dass das zwar funktionieren kann, aber schwierig ist – weil das Ganze unheimlich viel Koordinierungsarbeit erfordert."
Schließlich plädiert Bellardita auch für unabhängige Staatsanwaltschaften, denn bei einem so sensiblen Thema brauche es "eine Staatsanwaltschaft, ohne dass ein Staatsanwalt irgendeine Schere im Kopf hat", so Bellardita. Hier hat Italien einen großen Vorteil, denn die Staatsanwaltschaften sind politisch unabhängig und müssen beispielsweise nicht an den Justizminister berichten. Das sei in Deutschland nicht der Fall, sagt Bellardita. Auch eine Bargeldobergrenze, wie es sie in Italien und Frankreich seit Jahren gibt, sei längst überfällig, um der Mafia das Handwerk zu legen – oder es ihr zumindest schwerer zu machen.
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