Das Banner mit der schwarz-weiß-roten Reichsflagge ist groß. So groß, dass es gleich mehrere Traktoren auf dem Münchner Odeonsplatz verdeckt. "Ohne Bauernstand stirbt unser Bayernland", steht darauf. Und: "Germany first".
Man muss bei der Kundgebung der Landwirte in München nicht lange suchen, um festzustellen, dass die Reichsflagge nicht das einzige rechte oder demokratiefeindliche Symbol ist, das neben agrarpolitischen Forderungen prangt. Einige Meter weiter ragt eine Landvolkfahne in die Luft, geschwenkt von einem Mitglied der Burschenschaft Danubia. Unter den Protestierenden sind auch Vertreter der Identitären Bewegung und der Kleinstpartei "Der Dritte Weg". Alle drei Gruppierungen werden vom bayerischen Verfassungsschutz beobachtet und als rechtsextrem eingestuft. Und sehen jetzt offenbar ihren Platz an der Seite der Landwirte - auch wenn diese laut Bauernverband solche Gruppierungen wiederum nicht an ihrer Seite wollen.
In Dillingen meldete ein bekannter Gegner eines Flüchtlingsheims sogar selbst eine Demo an, an der Bauern teilnahmen. Vielen Anwesenden waren diese Hintergründe auf Nachfrage allerdings nicht bewusst. Der Kreisverband des Bayerischen Bauernverbands (BBV) hatte sich auch wegen des Veranstalters und der geplanten Inhalte vorab von der Veranstaltung distanziert.
Die Frage, die sich angesichts solcher Fälle stellt: Handelt es sich um einzelne Fälle oder schätzen Experten es bereits als Unterwanderung ein?
Bayerischer Verfassungsschutz: Einzelne Extremisten bei Bauernprotesten
Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz stellte bereits im Vorfeld eine Mobilisierung durch rechtsextremistische und neonazistische Gruppierungen für die Teilnahme an den Protestveranstaltungen fest. "An den Kundgebungen nahmen einzelne hier bekannte Extremisten teil", so der Verfassungsschutz im Gespräch mit dem BR.
Das Landesamt für Verfassungsschutz teilte auf Anfrage mit, dass zwar "die sogenannten Bauernproteste nicht dem Beobachtungsauftrag" des Verfassungsschutzes unterliegen. Beobachtet würden jedoch Aktionen extremistischer Akteure oder Gruppierungen.
Abschließend teilt das Amt mit: "Eine Unterwanderung der Kundgebungen durch rechtsextremistische Organisationen konnte nicht festgestellt werden."
Bauernverband distanziert sich von Rechten
Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, hatte sich im Vorfeld der Proteste von rechten Gruppierungen distanziert und deren Teilnahme als unerwünscht erklärt. "Rechte und andere radikale Gruppierungen mit Umsturzgelüsten wollen wir auf unseren Demos nicht haben", so Rukwied in der "Bild am Sonntag". "Wir sind Demokraten und da findet ein politischer Wechsel - wenn, dann über die Stimmabgabe in der Wahlkabine statt", so der DBV-Präsident.
Bauer als Symbol gegen das "Establishment"
"Energiepreis runter, Remigration sofort, Genderwahn stoppen, CO2-Steuer weg". Auch solche Zeilen liest man auf einem Plakat am Odeonsplatz am Montag. Oder etwa: "Fürchte nicht Moskau. Sondern: Brüssel-Berlin und die USA". Einige hundert Meter entfernt hat die Landtagsfraktion der AfD auf dem Max-Joseph-Platz zu einer Demonstration aufgerufen. "Stoppt die illegale Migration! Kriminelle Asylanten raus!", ist dort zu lesen. Ein Mann trägt ein Schild auf dem Rücken mit den Worten: "Schluss mit der Hampel-Ampel. Schluss mit dem Öko-Sozialismus-Projekt. DDR 2.0."
Dass sich Rechte und Demokratiefeinde ausgerechnet mit den Landwirten solidarisch zeigen wollen, ist für Experten und Beobachter nicht überraschend. "Die Berufsgruppe der Bauern eignet sich gut als Projektionsfläche für Anti-Establishment-Narrative", erklärt Tobias Holl von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus. Für ihn hat das Auftreten rechter Gruppierungen vor allem historische Gründe. "Die Idee vom reinen völkischen Bauerntum, das gegen das dekadente Leben in den Großstädten ankämpft und das Ursprüngliche vertritt, existiert schon seit Ende des 19. Jahrhunderts", erklärt er. Daher bediene sich auch heute die rechte Szene am Bauern als "Symbol" des hart arbeitenden Volkes jenseits von "Gender-Gaga", Moderne und Bürgergeld-Debatten.
Konfliktforscher: "Rechtes Spektrum hüpft seit 2020 von Thema zu Thema"
Tobias Holl selbst ist regelmäßig als Beobachter auf Demonstrationen vor Ort und erkennt auch auf der Kundgebung der Landwirte in München einige bekannte Gesichter. Unter ihnen beispielsweise auch einen rechten Medienaktivist, der durch "Querdenken" bekannt wurde und nun die Bauernproteste live auf Youtube streamt und kommentiert. "Das rechte Spektrum hüpft seit 2020 von Thema zu Thema", sagt er. "Erst ging es um Corona, dann den Ukraine-Krieg und jetzt die Bauernproteste."
Der Konfliktforscher Felix Anderl von der Universität Marburg forscht seit Jahren zu sozialen Strömungen in der Landwirtschaft. Auch er sieht die Gefahr einer Instrumentalisierung der Bauernproteste. "Es gibt rechtsextreme Gruppen, die eine Möglichkeit sehen, das Thema zu besetzen. Sie benutzen die ernstzunehmenden Belange der Landwirte für ihre Agenda, die mit Landwirtschaft überhaupt nichts zu tun hat", sagt er. Es sei ein beliebtes Mittel der Rechten, Proteste für ihre Themen zu instrumentalisieren. Die Sache sei aber durchaus komplizierter.
"Rhetorik aus dem rechten Spektrum hat sich normalisiert"
Laut dem Konfliktforscher Anderl hat es in den vergangenen Jahren eine "Verschiebung von Diskursen" nach rechts gegeben. Durch die Corona-Proteste und die Etablierung der AfD sei demokratiefeindliches Denken auf Kundgebungen und Plakaten nichts Ungewöhnliches mehr - obwohl die Verfasserinnen und Verfasser selbst von sich sagen, nichts mit Rechtsextremismus zu tun haben zu wollen. "Das heißt: Die Rhetorik aus dem rechten Spektrum hat sich normalisiert. Eine Unzufriedenheit von Leuten, die aus unterschiedlichen Gründen nachvollziehbar ist, äußert sich dann in einer solchen Weise."
Laut Anderl haben die politischen Parteien es in den vergangenen Jahren versäumt, eine Transformation der Landwirtschaft anzustoßen. Dies habe zu einem Gefühl des Abgehängt seins auf dem Land geführt. "Meine eigentliche Sorge ist: Was passiert, wenn die Proteste nicht auf eine Diskussion über das Agrarsystem gelenkt werden, sondern in ein diffuses Wasser von antidemokratischen Diskussionen münden?" Es sei Aufgabe aller politischer Akteure sowie des Bauernverbandes, die "berechtigte radikale Kritik" für eine inhaltliche Debatte um eine Abkehr vom derzeitigen Agrarsystem zu nutzen.
Im Video: So laufen die Bauern-Proteste
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