Seit Monaten packen Rentner und junge Familien mit an. Sie schaufeln Bauschutt weg, baggern die Rasenfläche flach, pflastern die Wege rund um das Schwimmerbecken und für das Gerätehäuschen. Sie alle motiviert ein gemeinsames Ziel: Ab Mai wollen sie alle wieder in ihrer Gemeinde Wellheim im Landkreis Eichstätt zum Baden gehen.
Die einen wollen ihre Kinder und Enkel im Schutterbad planschen sehen und ihnen dort das Schwimmen beibringen. Andere wollen selbst Bahnen ziehen. Ein 70-jähriger Rentner hat eine spezielle Motivation: Er will "im Schutterbad täglich trainieren, denn ich will mindestens 90 werden!"
Schwimmbäder: Teuer im Unterhalt – Eintrittspreise tragen Kosten nicht
Bäder sind etwas für reiche Kommunen. Nicht einmal ein Drittel der Kosten spielen die Bäder selbst wieder ein. So rechnet es das bayerische Innenministerium vor. Nach Angaben der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft DLRG wurden seit der Jahrtausendwende mehrere Hundert Freibäder in der Bundesrepublik geschlossen.
Seit fünf Jahren stagniert die Zahl der Freibäder. Das belegt das Portal "Bäderleben.de". Bevor die Hochschule Koblenz das Projekt Bäderleben startete, war unklar, wie viele Bäder welchen Bädertyps es wo gibt und wie sich die Bäderlandschaft in Deutschland entwickelt, denn weder das Statistische Bundesamt noch das Bayerische Landesamt für Statistik sammeln hierzu Daten.
Jedes zweite Bad in Deutschland ist sanierungsbedürftig
Das Portal Bäderleben belegt: Seit dem Jahr 2020 ist die Zahl der Bäder in Deutschland stabil bei rund 2.400 Freibädern. Auch in Bayern gab es keine Veränderungen (424). Doch jetzt kommt das Vereinsbad in Wellheim dazu.
Das Schutterbad öffnet in schwierigen Zeiten. Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft DLRG warnt: Jedes zweite Bad in Deutschland ist sanierungsbedürftig. Für die DLRG ein Alarmsignal: Die "zumeist unterfinanzierten Kommunen sind vielfach nicht in der Lage, ihr marodes Bad – möglichst klimaneutral – zu sanieren, geschweige denn ein neues zu bauen", erklärt die DLRG.
Wellheimer Bad hat eine lange Tradition
Gegen diesen Trend stemmt sich im oberbayerischen Wellheim ein Verein mit über 600 Mitgliedern. Das gemeinsames Ziel: eine lange Tradition fortsetzen! Schon seit über hundert Jahren hat die kleine Marktgemeinde ein eigenes Freibad. Es liegt mitten im Ort und zählt zu den ältesten Bädern im Landkreis.
Allerdings überstiegen nach der Jahrtausendwende die Kosten für ein öffentliches Bad die finanziellen Möglichkeiten der Kommune. Die Marktgemeinde zog 2007 die Reißleine: genau in dem Zeitraum, in dem auch bundesweit viele öffentliche Bäder schließen mussten, wie die DLRG belegt.
Robert Husterer (CSU), der 2007 schon im Gemeinderat saß und seit 2008 Bürgermeister in Wellheim ist, erinnert sich gut an diese Zeit. "Als das Schutterbad noch ein öffentliches Bad war, lagen die Kosten bei über 100.000 Euro im Jahr. Das konnte sich die Gemeinde nicht mehr leisten. Wir haben kaum Gewerbesteuer. Das ging einfach nicht mehr!"
Ohne Schwimmmeister Kosten sparen: Ein Bad nur für Mitglieder
Um Geld zu sparen, wurde das einst öffentliche Schutterbad 2007 zum Vereinsbad, denn mit dieser Rechtsform lassen sich die Kosten senken, vor allem die Personalausgaben. Denn anders als ein öffentliches Bad muss ein Vereinsbad deutlich weniger Auflagen erfüllen: Vor allem braucht es keine professionelle Badeaufsicht, also keinen Schwimmmeister.
Voraussetzung ist, dass das Vereinsbad nur den eigenen Mitgliedern zur Verfügung steht. Daran hält sich das Schutterbad e.V.. Die Eingangstür zum Badebereich öffnet sich nur für Mitglieder, deren Chipkarte das Lesegerät erkennt. Vereinsfremde müssen draußen bleiben. Sie haben lediglich Zutritt zum angeschlossenen Biergarten.
Kinder bis acht Jahre und Nichtschwimmer dürfen laut Satzung nur in Begleitung eines Erziehungsberechtigten ins Wasser. Vorausgesetzt, alle sind Mitglied im Verein. Am Wochenende übernimmt die Wasserwacht Wellheim mit Rettungsschwimmern die Beckenaufsicht. Im Gegenzug stellt der Verein den Mitgliedern der Wasserwacht das Bad für Training und Ausbildung zur Verfügung.
Vier Jahre war das Schutterbad geschlossen
Doch trotz der "Schwimmmeister-Befreiung" und der damit massiv gesunkenen Personalkosten kämpft das Schutterbad auch als Vereinsbad ums Überleben. Vor vier Jahren musste das Vereinsbad schließen. Seit 2019 hatte das Bad zu.
Der aktuelle Vereinsvorsitzende Patrick Stingl nennt dafür ein ganzes Bündel an Gründen: "Corona und dann noch ein Rohrbruch. Das trieb die Kosten hoch". Bürgermeister Robert Husterer sieht das ähnlich.
Neuer Anlauf unter neuem Vorstand – der Kinder wegen
Nun starten die Vereinsmitglieder einen neuen Anlauf. Am 1. Mai öffnet das Schutterbad samt Kiosk wieder. Täglich von 8.00 Uhr morgens bis 20.00 Uhr abends soll es geöffnet sein. Dazu motiviert den neuen Vereinsvorsitzenden Patrick Stingl der Blick auf die Kinder in der Gemeinde: "Ich selbst habe meine Kindheit im Schutterbad verbracht und meine Töchter sollen darauf nicht länger verzichten müssen." Die Kinder in Wellheim sollen wieder in ihrer Heimatgemeinde schwimmen lernen können und die Jugendlichen und Erwachsenen wieder ihren liebgewonnenen Sommer-Treffpunkt erhalten.
Um das Bad nach den Jahren der Schließung wieder in Schuss zu bringen, haben die Vereinsmitglieder monatelang zugepackt. Die ehrenamtlich geleisteten Arbeitsstunden haben einen Wert von rund 200.000 Euro, rechnet Vereinschef Stingl vor. Nur für wenige komplexe Arbeiten direkt am Schwimmbecken mussten Profis beschäftigt werden. Die Kosten für die Handwerker und das Material summierten sich auf insgesamt rund 75.000 Euro. Das zahlte die Gemeinde aus einem kommunalen Sonderfonds.
Mammutaufgabe: Der laufende Betrieb und seine Finanzierung
Die große Herausforderung ist jedoch der laufende Betrieb. Auch ihn wollen die Vereinsmitglieder weitgehend im Ehrenamt stemmen. Selbst die chemische Wasseraufbereitung planen die Mitglieder, in Eigenregie zu erledigen.
Nur für den risikobehafteten Einsatz von Chlorgas beauftragt der Verein eine Spezialfirma. Entsprechende Schulungen sind schon gebucht. Die Aufsicht über die Badenden übernimmt die Wasserwacht, bei der der Vereinsvorsitzende schon seit seiner Jugend engagiert ist.
Große Fragezeichen hinter der Finanzierung
Noch weiß Vereinschef Stingl nicht genau, welche Betriebskosten auf ihn und den Verein zukommen. Jährlich will die Kommune 15.000 Euro für Strom und Wasser zuschießen. Dazu kommen die Vereinsbeiträge der aktuell 650 Mitglieder. Doch die fallen nicht allzu hoch aus. Rund 15.000 Euro kommen so zusammen. Der Jahresbeitrag für eine Familie liegt bei 99 Euro. Vereinschef Stingl hofft, dass noch weitere der rund 2.900 Wellheimer Bürger Mitglied im Schutterbad-Verein werden.
Dringend notwendig sind weitere Geldquellen. Die Vermietung von Werbeflächen entlang des Badezauns wird rund 4.000 Euro einspielen. Zwei, drei größere Feste pro Jahr sollen ebenfalls Geld bringen. Der erste Termin steht schon: Die offizielle Eröffnung feiert das Schutterbad am 8. Juni mit zwei Bands und einem DJ. Zusätzlich organisiert die Wasserwacht Wellheim an dem Tag einen Schwimmwettbewerb.
Ob das alles auf Dauer reicht, wird sich zeigen. Der Bürgermeister schließt aus, dass das Bad noch einmal ein öffentliches wird. Zu groß wären die Kosten für die Kommune. Die könnte sich das schlicht nicht leisten.
Tipps von anderen Vereinsbädern
Das Vereinsbad in Wellheim orientiert sich an den wenigen anderen Vereinsbädern in Bayern. Zahlreiche Anregungen haben sich die Wellheimer im gut 20 Kilometer entfernten Oberhausen bei Neuburg holen können. Dort hat die Gemeinde bereits 2001 ihr Waldbad an einen Verein übergeben – auch aus Kostengründen. Auch dort dürfen nur Mitglieder ins Bad. Auch dort gibt es keinen angestellten Schwimmmeister, sondern ausschließlich ehrenamtliches Engagement.
Ohne feste Personalkosten halten sich die Kosten in Grenzen, kann Vereinsvorsitzende Mini Forster-Hüttlinger belegen. Auf rund 30.000 Euro summieren sich die Betriebskosten für das Waldbad Oberhausen e.V.. Die Ausgaben für Strom, Wasser und Abwasser trägt die Gemeinde. Das sind rund 9.000 Euro. Den Rest stemmt der Verein über Mitgliedsbeiträge, Spenden und Feste. Sogar zwei Sanierungen hat der Verein in den vergangenen Jahren schon bezahlen können.
Wie viele Vereinsbäder es in Bayern gibt, ist nicht bekannt. Bislang erfasst das keine Behörde und kein privates Netzwerk. Mini Forster-Hüttlinger vom Waldbad Oberhausen e.V. steht jedoch im losen Austausch mit ihren Kollegen vom Vereins-Freibad Ainhofen im Kreis Dachau. Auch das Naturlerbnisbad in Egling an der Paar im Landkreis Landsberg am Lech wird von einem Verein geführt.
Angesichts der klammen Gemeindekassen rechnet die Vorsitzende des Vereinsbades in Oberhausen fest damit, dass im Freistaat bald weitere Vereinsbäder entstehen werden. Erst kürzlich kam eine Anfrage aus der Nähe von Ansbach. Ähnliche Erfahrungen macht auch der Schutterbad-Verein.
Bundesweites Netzwerk Bürgerbäder berät
Tipps, wie sich nicht-öffentlich geführte Bäder über lange Zeit halten, können sich die Vereinsbäder beim bundesweiten Netzwerk Bürgerbäder holen. Das Netzwerk gibt es seit zehn Jahren. Aktuell sind darin 44 Bürgerbäder organisiert. Die meisten finden sich im Norden Deutschlands, vor allem in Nordrhein-Westfalen. Vier Bürgerbäder aus Baden-Württemberg sind im Netzwerk engagiert. Bislang jedoch keines in Bayern.
Bürgerbäder sind laut Satzung öffentlich zugänglich
In der Satzung steht, dass all diese Bürgerbäder von Bürgern geführt werden, also nicht von der öffentlichen Hand, aber dennoch der Öffentlichkeit zugänglich sein müssen.
Hier liegt ein großer Unterschied zu Vereinsbädern wie dem in Wellheim, denn Vereinsbäder dürfen nur von Vereinsmitgliedern genutzt werden. Bürgerbäder dagegen sind jedermann zugänglich und benötigen deswegen mehr Badeaufsicht, meist einen Schwimmmeister, erklärt Hartwig Carls-Kramp. Er ist Vorsitzender des Netzwerk Bürgerbäder und zudem Geschäftsführer des Elsebads in Schwerte im NRW-Kreis Unna.
Bürgerbäder: Nur möglich mit Förderung und Ehrenamt
Dennoch, so rechnet Carls-Kramp vor, können sich Bürgerbäder selbst tragen, wenn zwei Faktoren gegeben sind: eine starke Unterstützung durch die öffentliche Hand und ein hohes ehrenamtliches Engagement.
Als Beispiel verweist Carls-Kramp auf sein eigenes Bürgerbad in Schwerte, eine Stadt mit rund 50.000 Einwohnern am Rande des Ruhrgebiets. Im Elsebad beschäftigt Carls-Kramp das ganze Jahr hindurch zwei Festangestellte, einen Schwimmmeister und einen Fachangestellten für das Bäderwesen. Zahlreiche Rettungsschwimmer ergänzen die Badeaufsicht. Zusätzlich engagieren sich über 50 Ehrenamtliche im Elsebad. Es gibt "für alles eine Arbeitsgruppe, Baugruppe, Technikgruppe, Grüngruppe und, und, und", veranschaulicht der Geschäftsführer.
Die Kosten für dieses Bürgerbad skizziert Carls-Kramp wie folgt: Pro Jahr belaufen sich die Kosten auf rund 250.000 Euro pro Jahr. Davon entfallen rund 120.000 Euro auf Personalkosten. Die restlichen 130.000 Euro werden ausgegeben für Strom und Wärme sowie vor allem für Chemikalien wie Chlor, Schwefelsäure, Natron, denn, so Carls-Kramp, "ein Bad ist ein Chemielabor!" Neben der Badeaufsicht rät Carls-Kramp, für die chemische Wartung einen Profi einzusetzen, denn "Chlorgas ist unglaublich gefährlich".
Das Elsebad hat rund 100.000 Besucher im Jahr und einen Förderverein, der 35.000 Euro im Jahr "einwirbt". Dazu kommt ein hoher städtischer Zuschuss, 66.000 Euro sind es in dieser Saison. Der Grundsatz lautet für Carls-Kramp: Je kleiner das Bad, desto höher muss der öffentliche Zuschuss sein.
Ehrenamt macht Bürgerbad günstiger als öffentliches Bad
Trotz der 250.000 Euro Betriebskosten pro Jahr kommt das Elsebad in Schwerte als Bürgerbad viel günstiger als ein kommunales Bad. Der zentrale Unterschied wie beim Vereinsbad: die deutlich niedrigeren Personalkosten. "Bis auf die Festangestellten passiert bei uns fast alles ehrenamtlich. Wir haben auch Elektriker, Klemptner und viele andere Handwerker, die für das Bad ehrenamtlich arbeiten", so Carls-Kramp. Dieses ehrenamtliche Engagement gebe es so nicht in einem kommunal geführten Bad. Da müsste die Kommune für alle Dienstleistungen zahlen.
Kein Geld vom Freistaat für nicht-öffentliche Bäder wie das in Wellheim
Auf die Einsparungen durch das Ehrenamt setzt auch Vereinschef Stingl in seinem Vereinsbad in Wellheim. Bis auf die 15.000 Euro von der Marktgemeinde erhält das Schutterbad kein Geld von der öffentlichen Hand. Um eine Förderung vom Freistaat hat sich der Wellheimer Verein erst gar nicht beworben, bestätigt das Bauministerium in München.
Zwar hat die Staatsregierung seit Jahren ein Sonderprogramm Schwimmbadförderung SPSF. Allein für das laufende Jahr 2024 umfasst der Bewilligungsrahmen für die bayerische Schwimmbadförderung 30 Millionen Euro. Doch das Schutterbad erfüllt nicht die Förderkriterien, denn der Freistaat unterstützt nur öffentliche Bäder, die jedermann zugänglich sind. Das bestätigt auch das Vereinsbad in Oberhausen, das sich die Förderbedingungen genau angesehen hat.
Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft freut sich über jedes Bad in Deutschland. Nur so könnten möglichst viele Kinder schwimmen lernen. Unermüdlich wiederholt DLRG-Präsidentin Ute Vogt ihre zentrale Forderung: "Jede Schulklasse sollte möglichst innerhalb von 15 Minuten am Schwimmbad sein; jedes Kind muss während seiner Schulzeit die im Notfall lebensrettende Fertigkeit des Schwimmens erlernen – möglichst bereits in der Grundschule."
Nur die Hälfte der Menschen ab 14 Jahren sichere Schwimmer
Um zu belegen, wie weit Deutschland und auch Bayern von diesem Ziel entfernt sind, verweist die DLRG auf jüngste repräsentative Bevölkerungsbefragung durch Forsa im Jahr 2022. Diese legt nahe, dass nur rund die Hälfte der Menschen ab 14 Jahren sichere Schwimmer sind und der Großteil der anderen Personen eher unsicher im Wasser ist. Fünf Prozent der Befragten gaben damals an, Nichtschwimmer zu sein. Das allein sind schon rund 3,7 Millionen Menschen.
Die DLRG schätzt, dass der Anteil der Nichtschwimmer größer ist. Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft fordert in diesem Kontext mehr Engagement gerade vom Bund. Sie kritisiert in diesem Kontext "den schrittweisen Rückzug des Bundes aus der Sportstättensanierung". Durch den Beschluss des Bundeshaushalts würden "die Mittel des Bundesprogramms zur Sanierung kommunaler Einrichtungen in den Bereichen Sport, Jugend und Kultur (SJK) drastisch reduziert". Die Bürger selbst könnten diese Lücke nicht alleine füllen. Das Modell Bürgerbad kann "nicht die flächendeckende Lösung sein", so das abschließende Fazit der DLRG.
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