Die Rebstöcke in der unterfränkischen Mainschleife hängen dicht voller Trauben – die Lese steht kurz bevor. Jungwinzer Simon Trost spritzt seine Pflanzen mit Kaolin ein – feingemahlene Tonerde, die sich weiß auf die dunklen Trauben legt und sie so vor der Kirschessigfliege schützen soll. "Die Fliege denkt dann, es wäre eine weiße Rebsorte", erklärt der 34-Jährige aus Nordheim am Main, "und die werden von ihr verschmäht." Andernfalls würden die Schädlinge die Beeren anstechen und es könnte Fäulnis entstehen. Solche Pflanzenschutz-Maßnahmen seien daher manchmal nötig, so der Winzer. Eine neue EU-Pflanzenschutzverordnung könnte das aber bald unmöglich machen. Noch ist es ein Entwurf.
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Rund 50 Prozent der fränkischen Weinlagen betroffen: "Käme Berufsverbot gleich!"
Denn Trosts Weinlagen befinden sich auf Landschaftsschutzgebiet – und hier sieht ein Gesetzesvorschlag der EU-Kommission ein Total-Verbot von Pestiziden und Co. vor.
💬 Mitdiskutieren lohnt sich: Die folgende Passage hat die Redaktion aufgrund eines Kommentars von "Mamaladamala" im Rahmen des BR24 Projekts "Dein Argument" ergänzt.
Kaolin ist zwar kein Pestizid, könnte aber unter den EU-Vorschlag zu Pflanzenschutzmitteln fallen. Dieser ist noch nicht finalisiert, weshalb auch bei den Winzern noch Unsicherheit herrscht. Selbst für den Bio-Weinbau zugelassene Mittel könnten zukünftig in bestimmten Gebieten verboten werden. 💬
Rund die Hälfte der fränkischen Weinlagen fallen auf solches Schutzgebiet, unter anderem auch der Würzburger Stein und die Volkacher Mainschleife mit den Weinlagen rund um Volkach, Nordheim, Sommerach und dem Escherndorfer Lump. Für die Winzer dort käme die EU-Pflanzenschutzverordnung einem Berufsverbot gleich, so Artur Steinmann, Präsident des Fränkischen Weinbauverbands. Die fränkische Kulturlandschaft wäre dann nicht wiederzuerkennen.
Nachhaltige Landwirtschaft: EU-Verordnung soll Artenvielfalt erhalten
Dabei ist das Gesetzesvorhaben der Europäischen Kommission laut BUND Naturschutz dringend nötig, um dem anhaltenden Artensterben entgegenzuwirken. Die Regelung soll der nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln ("Sustainable Use Regulation", kurz "SUR") dienen. Deren Verwendung soll bis 2030 um die Hälfte reduziert werden. Das Ziel ist eine EU-weit einheitlich regulierte Landwirtschaft, die gleichermaßen für Ernährungssicherheit und Umweltschutz sorgt. Für bestimmte sensible Gebiete sind dabei Total-Verbote vorgesehen. Das sei notwendig, um bedrohte Tier- und Pflanzenarten zu schützen, die in solchen Gebieten wertvolle Rückzugsorte gefunden haben, so das Landwirtschaftsministerium. Wasser-, Vogel- und Naturschutzgebiete sollen daher strengere Regelungen treffen, genauso wie Fauna-Flora-Habitate (FHH).
Widerspruch: Neuregelung könnte Kulturlandschaft gefährden
Laut der ursprünglichen Vorlage fallen jedoch auch Landschaftsschutzgebiete unter diese Regelung. Diese sind jedoch in erster Linie für den Erhalt von Kulturlandschaften ausgewiesen. Laut Bundesamt für Naturschutz sollen sie vom Menschen kultivierte und genutzte Natur schützen. In der Regel geht das mit Einschränkungen bezüglich einer Bebauung und der Veränderung markanter Landschaftselemente einher. Auch die fränkischen Landschaftsschutzgebiete wären ursprünglich ausgewiesen worden, um gerade die Weinlagen als Kulturlandschaft zu erhalten, so Weinbaupräsident Steinmann. Würden ausgerechnet diese durch ein Total-Verbot unmöglich gemacht, so widerspreche das eher dem eigentlichen Schutzcharakter der Regionen.
Einsatz von Pflanzenschutz manchmal notwendig
Die Winzer der Regionen schlagen daher Alarm. Ganz ohne Pflanzenschutz sei Weinbau nicht möglich, so Simon Trost, DIVINO Winzer aus Nordheim am Main. Insbesondere für die Bekämpfung von Pilzkrankheiten wie den Befall mit Echtem oder Falschem Mehltau brauche es bestimmte Pestizide. "Jeder macht ohnehin nur so viel wie nötig und so wenig wie möglich", so Trost, "allein schon aus finanziellen Gründen." Der Fränkische Weinbauverband unterstütze auch durchaus eine Einsparung von Pflanzenschutzmittel, so Hermann Schmitt, Geschäftsführer des Fränkischen Weinbauverbands. Dafür brauche es aber Alternativen und eine verbesserte Forschung. Auch Versuche mit resistenten Sorten seien möglich. Jedoch müsse man bedenken, dass Transformationsprozess nicht von heute auf morgen geschehen könnten. "Im Weinbau muss man da eher 40 Jahre nach vorn schauen", so Schmitt.
Weinbauverband fordert mehr Fürsprache aus Deutschland
Bei einem Total-Verbot schon ab 2030 würden die betroffenen Winzer ihr Gewerbe laut dem Fränkischen Weinbauverband aber aufgeben müssen. Der Verband erwartet daher von der deutschen Regierung eine stärkere Vertretung der eigenen Interessen. "Ich fordere, dass sie in Brüssel Einspruch einlegen", so Präsident Artur Steinmann. "Momentan habe ich nicht das Gefühl, dass der Weinbau große Fürsprecher im EU-Parlament hat. Manchmal frage ich mich, wo die Entscheidungsträger eigentlich ihr Wissen herhaben."
EVP: "Wir unterstützen kein Total-Verbot"
Noch ist die Definition der "sensiblen Gebiete" im EU-Parlament nicht abschließend geklärt. Grund zum Aufatmen könnte der Berichtsentwurf von Das Bundeslandwirtschaftsministerium gibt an, dass es hier noch Verbesserungsbedarf gebe. Und auch die Europäische Volkspartei (EVP) möchte sich für eine flexiblere Umsetzung der Gesetzesvorlage einsetzen. "Wir unterstützen kein Total-Verbot", so EU-Abgeordnete Marlene Mortler (EVP). Maßnahmen zum besseren Umweltschutz seien wichtig, doch man dürfe Bauern und Winzern nicht ihre Lebensgrundlage nehmen. Stattdessen müsse es bei Verboten immer auch Alternativen geben.
Aktuell wird der Gesetzesentwurf noch im EU-Parlament beraten, federführend ist der Umweltausschuss unter Beiordnung des Agrarausschusses. Allein im Umweltausschuss wurden rund 3.000 Anträge eingereicht. "Die Vorschläge strotzen vor Bevormundung und Regulierungswahn", so Mortler.
Entscheidung lässt noch auf sich warten
Trotzdem könnte der Berichtsentwurf des Umweltausschusses Grund zum Aufatmen geben. Laut Europaabgeordneter Henrike Hahn (Die Grünen/EFA) beinhalte dieser bereits eine Beschränkung der sensiblen Gebiete auf solche, die explizit dem Schutz der Artenvielfalt und der Natur dienen. Landschaftsschutzgebiete wären dann außen vor. Bevor im Ausschuss darüber abgestimmt werden kann, steht jedoch noch die Stellungnahme des Agrarausschusses aus. Ursprünglich sollte diese am 19. Juli beschlossen werden, die Abstimmung wurde jedoch verschoben. Der Umweltausschuss kann damit frühestens im Oktober einen finalen Gesetzesentwurf beschließen. Nach Abschluss dieses Verfahrens entscheidet wiederum das Parlament in einer Plenarsitzung. Trotz eines ambitionierten Zeitplans könnten die Verhandlungen damit noch einige Wochen oder gar Monate in Anspruch nehmen. Für die fränkischen Winzer bleibt die Situation bis dahin angespannt.
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