Thomas Heckenstaller ist 78 Jahre alt, seit gut 30 Jahren lebt er in einer Zwei-Zimmer-Wohnung zur Miete im oberbayerischen Dachau. Im ersten Stock, ohne Aufzug. Da er nach einem Schlaganfall nicht mehr gut zu Fuß ist, bräuchte er eine Wohnung, in die er möglichst stufenlos kommt, in der er barrierefrei unterwegs sein kann. Denn ohne Rollator ist der Rentner, wie er selbst sagt, "mehr oder minder aufgeschmissen". Doch eine solche altersgerechte Wohnung ist für ihn bisher nicht in Sicht.
Fehlende altersgerechte Wohnungen in Bayern
Allein wegen des demografischen Wandels würden in Bayern bis zum Jahr 2035 zusätzlich rund 93.000 altersgerechte Wohnungen benötigt, schätzt Matthias Günther vom Pestel-Institut, das sich unter anderem als Dienstleister für Kommunen, Verbände und Unternehmen versteht. Mehr finanzielle Mittel für den Neu- und Umbau altersgerechter Wohnungen auszugeben, sei auch volkswirtschaftlich für die jüngeren Generationen sinnvoll. Günther formuliert das Ziel so: "Heim-Aufenthalte möglichst zu minimieren, indem Wohnungen so lange wie möglich für die Senioren funktionieren." Es gehe darum, die Eigenständigkeit der Boomer-Generation möglichst lange zu erhalten und damit die Jüngeren nicht zu überlasten.
Grafik: Bis 2035 benötigte altersgerechte Wohnungen in Bayern
Wohnberatung in vielen bayerischen Landkreisen kostenlos
Rentner Thomas Heckenstaller hat sich Hilfe bei der Wohnberatung des Landkreises Dachau geholt, die durch den Sozialverband VdK angeboten wird. Expertin Michaela Heyne besucht im Landkreis Seniorinnen und Senioren zu Hause, berät zu Umbauten und Finanzierungsmöglichkeiten für Mieter und Eigentümer. Sie sagt, dass etwa 14.000 Euro unter Umständen als staatliche finanzielle Unterstützung beantragt werden können. Die Wohnberatung hilft auch bei den Anträgen. Allerdings gilt: Nicht immer ist ein Umbau möglich. (Hier finden Sie eine Liste aller Wohnungsberatungen in Bayern.)
Verschärfung der bayerischen Bauordnung?
Da es an neuen barrierefreien Wohnungen mangelt, verlangt der Sozialverband VdK eine Verschärfung der Bayerischen Bauordnung. Eingeführt werden müssten Sanktionen für Bauherren, die gegen bestehende Regeln zur Barrierefreiheit verstoßen. Gefordert wird auch eine Nachweispflicht: Wenn Bauherren keine Barrierefreiheit herstellen können, sollten sie das künftig begründen. "Es wird nicht nachkontrolliert", beschreibt Michaela Heyne den Ist-Zustand. Die Gewerkschaft IG Bau regte außerdem an, dass sich große Wohnungsunternehmen selbst dazu verpflichten, mindestens 20 Prozent frei werdender Wohnungen altersgerecht umzubauen.
Das von der CSU geführte bayerische Bauministerium erklärte auf BR-Anfrage, dass eine verbindliche Modernisierungspflicht "erhebliche Kosten und damit Mietsteigerungen zur Folge" hätte. Die bayerische Bauordnung gehe schon deutlich über die Empfehlung der Bauministerkonferenz hinaus: Bei Neubauten mit mehr als zwei Wohnungen müssen die Wohnungen eines Geschosses barrierefrei sein, bei Gebäuden mit mehr als fünf Geschossen wird das bei einem Drittel der Wohnungen verlangt. Außerdem seien im vergangenen Jahr mit rund 19 Millionen Euro Fördergeld des Freistaats knapp 2.200 Wohnungen umgebaut worden.
Eine Sprecherin des Bauministeriums teilt mit: "Bei Sonderbauten sind die Anforderungen der Barrierefreiheit Bestandteil der Prüfung im Baugenehmigungsverfahren. Bei allen anderen Vorhaben liegt die Einhaltung der Anforderungen an die Barrierefreiheit (wie anderer Anforderungen der Bauordnung auch) in der Verantwortung des Bauherrn." Ungeachtet dessen würden die Bauaufsichtsbehörden anlassbezogen überprüfen, ob solche Vorschriften eingehalten werden.
Bei Sanierungen: schon präventiv an Barrierefreiheit denken
Angelika Russ vom "Kompetenzzentrum Barrierefreies Wohnen" in München rät dazu, schon frühzeitig an eine spätere mögliche Barriere-Armut zu denken. Etwa bei Sanierungen oder Neubauten. Auch im Zuge einer energetischen Sanierung könnten schon Barrieren abgebaut werden – bei Terrassen- und Balkontüren wären dies etwa die Schwellen. Ein anderes Beispiel: verstärkte Bad-Wände, an die nachträgliche Haltegriffe befestigt werden können.
Es müsse gar nicht immer der ganz große Umbau sein, sagt Fachfrau Angelika Russ. Schon kleinere Hilfsmittel wie Türschwellen-Rampen, eine optimierte Beleuchtung oder die bereits erwähnten Haltegriffe könnten viel bewirken. Sie rät dazu, sich in den bayernweit existierenden Modell-Häusern auszuprobieren. (Die Standorte finden sich ebenfalls in der Liste aller Wohnberatungen in Bayern.)
Das gewohnte Umfeld nicht verlassen
Thomas Heckenstaller aus Dachau bräuchte einen Treppenlift, um in seiner Wohnung bleiben zu können. Ein solcher Lift passt aber nicht ins enge Treppenhaus. Deswegen hofft er jetzt, seine Wohnung mit einer im Nachbarhaus tauschen zu können. Damit er wenigstens in seinem vertrauten Umfeld bleiben kann.
Im Video: Barrierefreies Wohnen im Alter - Wo es fehlt
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