Es könnte ein ganz normaler Tag sein am Münchner Hauptbahnhof: Die einen rennen hektisch mit Koffern zum Gleis, die anderen warten mit einem Kaffee-Becher in der Hand auf ihren Zug.
Doch es ist kein ganz normaler Tag. Immer wieder hallen ukrainische Durchsagen durch die Bahnhofshalle. An einem Bahnsteig hängt eine ukrainische Flagge. Ein paar Meter weiter – mitten in der großen Halle – steht der Info-Point der Caritas. Hier versammeln sie sich: Ukrainerinnen und Ukrainer, die dem Krieg in ihrem Heimatland entflohen sind. Jeden Tag kommen rund 700 bis 800 Geflüchtete in München an: Junge und Ältere, Männer und Frauen, Alleinreisende und Familien mit kleinen Kindern. Aus den Reisetaschen schauen Teddybären.
"Wir wollen einfach nur in unserem Land leben"
Olena Lapa ist alleine aus Kiew gekommen und sitzt nun neben ihrem Koffer auf einer Bank in der Bahnhofshalle. In ihrer Heimatstadt wurden viele Schulen, Häuser und Gebäude zerstört, sagt sie. "Der Terror trifft die ganz normale Zivilbevölkerung. Wir wollen einfach nur in unserem Land leben. Wir wollen nicht vor Granaten, Raketen oder Bomben fliehen", so Olena Lapa. Doch sie sahen keine Alternative: Die Ukrainerinnen und Ukrainer, die an diesem Nachmittag in München ankommen, haben eine weite Reise hinter sich. Mit dem Zug über Ungarn und Österreich - und viele sind noch nicht am Ziel. Sie wollen weiter zu Freunden oder Verwandten, um dort Schutz zu suchen.
Stadt richtet Notunterkünfte ein
Wer hier niemanden kennt, ist auf die Notunterkünfte der Stadt angewiesen. In der alten Osteria, einem leerstehenden Restaurant im Hauptbahnhof, stehen an die hundert Feldbetten. Im Luisengymnasium hat die Stadt kurzfristig die Turnhalle und einige Klassenzimmer für Geflüchtete geräumt. An der Neuherbergstraße wurde eine ehemalige Gemeinschaftsunterkunft in einer Leichtbauhalle wieder aktiviert. Ab sofort können dort rund 250 Menschen wohnen.
Caritas besetzt Info-Point künftig noch länger
Die Helferinnen und Helfer der Caritas München am Info-Point geben sich Mühe, den Überblick zu behalten. Sie sind die ersten Ansprechpartner für die Geflüchteten und organisieren: Wer kommt wie in welche Unterkunft? Man komme mittlerweile an Grenzen, sagt Marion Hahn von der Caritas-Geschäftsleitung. Dennoch werde die Caritas den Info-Point künftig noch länger als bisher besetzen - täglich von sieben Uhr früh bis Mitternacht. In den übrigen Zeiten werden ankommende Geflüchtete von der Bahnhofspolizei an die ökumenische Bahnhofsmission vermittelt.
Private Helferinnen und Helfer organisieren sich über soziale Medien
Auch Galyna Kosovska hilft mit. Sie trägt eine Schleife aus blau-gelben Bändern an ihrem rosafarbenen Mantel und geht mit einem Lächeln auf den Lippen durch die Menschenmenge. Kosovska ist eine von mehreren Helferinnen, die sich privat über soziale Medien organisiert haben. "Ich versuche, die Leute zu beraten", erklärt sie. "Wo können sie sich registrieren? Wo kann man schlafen oder essen? Und die Leute haben natürlich Fragen". Die Helferin hat selbst ukrainische Wurzeln. Seit mehr als zwanzig Jahren lebt sie in Deutschland, hat aber noch Verwandte in der Ukraine. Einige von ihnen sitzen gerade im Keller in Charkiw, erzählt sie.
"Wir haben genug Platz"
Begeistert ist Galyna Kosovska vor allem von der Hilfsbereitschaft vieler Münchnerinnen und Münchner. "Ganz viele Leute sind gekommen. Sie bieten ein Zimmer oder eine Wohnung. Gestern hat jemand sogar ein ganzes Haus angeboten", freut sie sich. "Ganz ganz ganz toll" sei diese Hilfsbereitschaft. Und tatsächlich stehen an diesem Nachmittag mehrere Münchnerinnen und Münchner am Bahnhof und warten auf den nächsten Zug mit Geflüchteten - um ihnen eine Unterkunft zu bieten.
Eine junge dreiköpfige Familie aus München kommt mit einem Pappschild in die Bahnhofshalle. "Room for Mom and Child (8-12)" steht darauf - Zimmer für Mutter mit Kind. "Wir wollen einfach helfen", erklärt der Vater. "Das wollte auch unser Kleiner." Schließlich sei in ihrer Wohnung ein Zimmer mit eigenem Bad frei. Der kleine Bub stimmt zu: "Wir müssen den Menschen helfen. Wir haben auch genug Platz!"
Geflüchtete finden vorübergehendes Zuhause
Ein paar Meter weiter steht ein junges Ehepaar. Auch sie wollen ihr Gästezimmer Geflüchteten anbieten. Drei Menschen hätten Platz, steht auf dem Pappschild. Wenige Minuten später sind auch schon drei Frauen aus der Ukraine bei ihnen. Ob jemand eine Tierhaarallergie habe, fragt die Gastgeberin.
Nach einem Corona-Schnelltest gehen sie auch schon alle zusammen zum Auto. Das Gästezimmer wird nun erstmal das neue Zuhause der drei Ukrainerinnen werden. Wer weiß, wie lange.
Grafik: So viele Menschen fliehen jeden Tag aus der Ukraine
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