Das Hochwasser 2013 in Deggendorf, das Zugunglück 2016 in Bad Aibling oder die Flutkatastrophe 2021 im Ahrtal - für solche Ernstfälle müssen ehrenamtliche Helfer vorbereitet sein. Deswegen trainieren sie, zum Beispiel beim Ortsverband München-Land des Technischen Hilfswerks (THW) im oberbayerischen Haar.
"Ich denke, dass wir gut gerüstet sind", sagt einer der Helfer dem BR-Politikmagazin Kontrovers am Rande eines Ausbildungstags und fügt aber auch hinzu: "An der ein oder anderen Stelle gibt's sicher noch Punkte, wo wir nachschärfen müssen." Das klingt moderat. Abseits der Kamera fällt die Kritik der Basis deutlicher aus.
THW in Bayern: Neue Fahrzeuge, aber zu kleine Garagen
Am Telefon klagt der Ortsverband über die finanziellen Kürzungen des Bundes beim THW durch den Wegfall von Sonderprogrammen in einer Zeit, in der der Zivilschutz angesichts einer zunehmenden Zahl von Krisen wichtiger ist denn je. Es gebe zwar neue Fahrzeuge, aber die Garagen zum Unterstellen seien zu klein. Mit Kritik steht das THW München-Land nicht allein da. In den vergangenen Monaten haben sich Ortsverbände im Freistaat immer wieder über Geldnöte beschwert.
Dabei wirkte die Bundesregierung nach den schweren Unglücken wie der Ahrtalflut geläutert. "Wir brauchen einen Neustart im Bevölkerungsschutz", sagte Bundesinnenministerin Fancy Faeser (SPD) im Juli 2022. "Denn ein gut ausgestatteter und leistungsfähiger Bevölkerungsschutz ist entscheidend für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger."
Setzt der Bund beim Zivilschutz nun trotzdem auf Sparen? In Zeiten, in denen die Aufgaben immer komplexer werden und Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) davon spricht, dass Deutschland und seine Bevölkerung "kriegstüchtig" werden müsse? Fakt ist: Die Bundesregierung investiert zwar viel in die Bundeswehr. Doch deutlich mehr Geld für die Wehrhaftigkeit der Bevölkerung scheint es trotz großer Herausforderungen nicht zu geben.
Kürzungen der THW-Bundesmittel um 26 Prozent in zwei Jahren
Laut Zahlen des Innenministeriums stiegen die Bundesmittel für das THW bis vor kurzem sukzessive an, bis auf 544 Millionen Euro im Jahr 2022. Doch inzwischen sind die Corona-Konjunkturprogramme ausgelaufen, neue Sonderprogramme gibt es nicht. 2023 stellte der Bund nur noch 429 Millionen Euro für das THW bereit, 2024 sind es 402 Millionen Euro. Das ist zwar immer noch mehr Geld als vor der Pandemie, aber dennoch ein Minus von rund 26 Prozent binnen zwei Jahren.
Hilfsorganisationen und sogar das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe haben aktuell wieder weniger Geld zur Verfügung. Das bayerische Innenministerium bezeichnet den von SPD-Ministerin Faeser angekündigten Neustart im Bevölkerungsschutz deshalb als "Rohrkrepierer".
Schwierige Recherche vor Ort
Kontrovers will wissen, wie es aussieht mit der Ausstattung beim THW-Ortsverband München-Land und fragt einen Freiwilligen: "Hast du das Gefühl in der Ausbildung, dass es Mängel gibt bei den Geräten?" An dieser Stelle unterbricht der Pressesprecher aus der THW-Zentrale in Bonn das Interview: "Das geht mir jetzt zu tief. Da gehen wir jetzt in eine Richtung, wo ich die Helfer einzeln nicht vor der Kamera sehen möchte."
Der Ehrenamtliche vor Ort soll sich dazu also nicht äußern. Warum? Kontrovers kann die Frage nicht abschließend klären. Formal ist das THW dem Bundesinnenministerium unterstellt. Dieses teilt mit, dass es erhebliche Investitionen bei der Ausstattung gebe, zum Beispiel seien vielerorts die THW-Fuhrparks erneuert worden. Laut bayerischem Innenministerium fehlen im Freistaat aber trotzdem rund 35 Prozent der zugesagten Fahrzeuge.
"Operationsplan Deutschland" - Zivilschutz soll Bundeswehr unterstützen
Die Bundeswehr arbeitet aktuell am sogenannten "Operationsplan Deutschland" – dem ersten Verteidigungsplan seit dem Kalten Krieg. Ein wichtiger Bestandteil: Der Zivilschutz soll die Bundeswehr im Ernstfall unterstützen. Mit anderen Worten: Viele zivile Organisationen müssen sich jetzt vorbereiten – und auf neue Anforderungen einstellen.
Das gilt auch für Rettungsdienste. Schon jetzt sind sie mit ihrem alltäglichen Pensum häufig am Limit. Doch bei einem Angriff auf einen Nato-Staat käme auf Deutschland als Drehscheibe in der Mitte Europas wohl die Aufgabe zu, die Verletzten von der Front zu versorgen.
"Zur Verteidigungsfähigkeit gehört auch die Resilienz der Bevölkerung"
René Burfeindt vom Deutschen Roten Kreuz fordert deshalb zwei Milliarden Euro für den Bevölkerungsschutz: "Das sind 0,5 Prozent des Bundeshaushalts in etwa. Wenn wir das in Vergleich stellen zu den 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr, ist allen klar, dass es das braucht, um den Zivilschutz gut aufzustellen." Mit dem Geld soll unter anderem die Bevölkerung darauf vorbereitet werden, sich im Ernstfall selbst besser helfen zu können.
An dieser Stelle sieht Robert Schmitt vom Medizinischen Katastrophen-Hilfswerk großen Nachholbedarf – gerade im Vergleich mit anderen Nationen: "Die Ukraine ist deswegen so stark, weil sie eine resiliente Bevölkerung hat." Diese halte der Armee so den Rücken frei, sagt Schmitt. "Das fehlt in Deutschland. Zur Verteidigungsfähigkeit gehört auch die Resilienz der Bevölkerung."
Doch fürs Erste muss der Zivilschutz in Deutschland mit weniger Geld zurechtkommen – trotz größerer Bedrohungen und neuer Aufgaben.
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