Wenn in der Integrierten Leitstelle (ILS) Regensburg ein Notruf einging, war bisher klar, was passieren muss: Ein großer Rettungswagen - mindestens mit zwei Mann Besatzung - rückt aus. Auch, wenn die Leitstellen-Mitarbeiter schon beim Telefonieren merkten, dass es sich nicht um einen größeren Notfall handelt. Ein Modellprojekt verschafft der Leitstelle nun eine zusätzliche Option: Ist schon beim Notruf klar, dass kein Transport ins Krankenhaus notwendig ist und sehr wahrscheinlich auch kein Notarzt gebraucht werden wird, kann die Leitstelle ein sogenanntes Rettungseinsatzfahrzeug, kurz REF, losschicken.
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Kleines Fahrzeug ohne Transportmöglichkeit
Das REF kann keine Patienten transportieren. Es sieht aus und ist ausgestattet wie ein Notarzt-Auto. Die Besatzung: ein einzelner, erfahrener Sanitäter. Zwei dieser Autos sind für das Modellprojekt rund um Regensburg im Einsatz, eins bei den Maltesern, eins beim Bayerischen Roten Kreuz (BRK).
Dort ist Andreas Bauer der Projektleiter und einer der Fahrer. Die meisten Einsätze könne er alleine regeln, zum Beispiel, wenn ein Mensch, der hyperventiliert, lediglich beruhigt werden muss, oder nur leichte Blessuren zu behandeln sind.
Rettungswagen bleiben frei für schwerere Fälle
"Man muss sich überlegen, dass früher zu jedem Einsatz ein Rettungswagen mit zwei Sanitätern entsendet worden ist", sagt Bauer. "Jetzt hat die Leitstelle die Möglichkeit, einen Sanitäter alleine loszuschicken, der dann vor Ort entscheidet, okay, der Patient kann zum Hausarzt oder muss vielleicht in zwei, drei Stunden mit einem kleineren Krankentransport ins Krankenhaus."
Der Vorteil: Die großen Rettungswagen werden nicht blockiert und sind frei für die wirklich ernsten Notfälle. Es müssen seltener andere, weiter entfernt stationierte Rettungsdienste einspringen, dadurch sinken insgesamt die Fahrtzeiten zu den Patienten. Außerdem spart das REF so Kosten für das Gesundheitssystem.
Erfahrene Sanitäter bewerten Fälle
Hat der Mitarbeiter in der Leitstelle nur den geringsten Zweifel, werde weiterhin ein richtiger Rettungswagen losgeschickt, versichert Christoph Tresch von der zuständigen Berufsfeuerwehr Regensburg. Die Disponenten, die die Notrufe annehmen, seien erfahren im Rettungsdienst und könnten Situationen deshalb gut einschätzen, so der Sprecher der Leitstelle. Sollte sich ein REF-Einsatz dann doch als ernster herausstellen als zuvor angenommen, sei er als Notfallsanitäter auch schon vor Ort und könne schnell seine Kollegen oder einen Notarzt hinzuziehen, sagt Andreas Bauer vom BRK.
Er selbst hat so eine Situation bereits erlebt. Eine ältere Frau war aus dem Bett gerutscht. Ein kleiner Einsatz, so die erste Einschätzung. Vor Ort stellte er aber fest, dass sich die Frau doch den Arm gebrochen hatte. Er linderte vor Ort die Schmerzen und übergab die Frau dann an einen Rettungswagen und einen Notarzt. 65 Prozent der REF-Fälle könne er aber problemlos allein abarbeiten, sagt Bauer.
60 Prozent mehr Einsätze in Regensburg
Das REF soll eine Antwort auf die immer größer werdende Zahl an Einsätzen sein. In Regensburg ist die Zahl der Alarmierungen in den vergangenen zehn Jahren um 60 Prozent gestiegen, sagt Sebastian Gerosch, der beim BRK den Rettungsdienst leitet. Das liege auch an den Bagatell-Anrufen, bei denen oft kein richtiger Notfall vorliege.
Viel entscheidender sei aber, dass die Gesellschaft immer älter werde, sagt Gerosch. "So schnell kann der Rettungsdienst gar nicht wachsen. So schnell können wir die Leute nicht ausbilden. Wir können auch nicht in jedem Dorf eine Rettungswache hinstellen." Mit dem REF-Projekt werde versucht, das Problem systematischer anzugehen.
Im Zweifel: 112 oder 116 117 anrufen
Trotz der Belastung des Rettungsdiensts gilt aber weiterhin: Patienten und Angehörige, die sich unsicher sind, sollen lieber einmal zu oft als zu wenig den Notruf 112 wählen, sagt Sebastian Gerosch vom BRK.
Auch beim Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung mit der Nummer 116 117 könne man guten Gewissens anrufen. Diese seien direkt mit den Leitstellen verbunden und würden auch in ernsteren Fällen schnell Hilfe organisieren.
Projekt bis Ende des Jahres verlängert
Eigentlich sollte der 2022 begonnene Test der REFs in Regensburg im Frühjahr enden, das Bayerische Innenministerium hat das Projekt aber noch mal bis zum Jahresende verlängert. Es gebe aber bereits erste Erkenntnisse, dass die REFs den Rettungsdienst im Ganzen entlasten könnten, teilt das Innenministerium mit.
Eine endgültige Bewertung erfolge aber erst zum Ende des Projekts. Dann könnte auch geprüft werden, ob das Konzept bayernweit Zukunft haben könnte. Auch wenn bestimmte Aspekte wie zum Beispiel Abend- und Nachteinsätze erst noch getestet werden müssen, sehen die Beteiligten in Regensburg eine Zukunft für das REF – möglicherweise auch für ganz Bayern.
Hinweis: In einer ersten Fassung war von einem "Rettungssanitäter" die Rede. Es handelt sich jedoch um einen "Notfallsanitäter", der eine höhere Qualifikation hat. Notfallsanitäter ist ein anerkannter Ausbildungsberuf. Der Notfallsanitäter hat im Rettungsdienst die höchste nichtärztliche Qualifikation.
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