Schloss Herrenchiemsee in Bayern. Foto: digiphot (c)MEV Verlag GmbH_Spezial_Deutschland_1 / 11.12.2013
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Schloss Herrenchiemsee in Bayern

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BR24live 12.30 Uhr: Herrenchiemsee - Wiege des Grundgesetzes

Das Fundament für die deutsche Verfassung wurde am Chiemsee gelegt. Die Bayern hatten an den abgelegenen Ort am 10. August 1948 eingeladen. BR24live überträgt ab 12.30 Uhr den Festakt zum 75. Jahrestag mit Bundespräsident Steinmeier.

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In Zimmer Nummer 7 des Alten Schlosses auf der Insel Herrenchiemsee – im "Bayerischen Meer", dem Chiemsee – hat einst König Ludwig II. gespeist. In diesen edlen Räumen sollten vor 75 Jahren rund 30 Delegierte aus den westlichen Bundesländern nichts weniger als eine neue Verfassung erarbeiten. Die alliierten Westmächte Großbritannien, Frankreich und die USA hatten den Bundesländern diesen Auftrag erteilt. Die Länder existierten bereits. Es gab Ministerpräsidenten, aber noch keinen Bundesstaat.

Mit einem Festakt wird am Donnerstag der 75. Jahrestag des Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee gefeiert. BR24 überträgt die Veranstaltung live ab 12.30 Uhr. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird die Festrede der Feier halten, zu der Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und Landtagspräsidentin Ilse Aigner (beide CSU) eingeladen haben.

Großer Respekt vor dem Wort "Verfassung"

Der Zweite Weltkrieg war vor gerade mal drei Jahren zu Ende gegangen. Deutschland lag stellenweise immer noch in Trümmern und gleichzeitig zog bereits der Kalte Krieg auf. Würde man dann nicht die deutsche Teilung sozusagen buchstäblich festschreiben, wenn nun eine westdeutsche Verfassung geschrieben werde? Diese Sorge hatten viele der Delegierten.

Professor Andreas Wirsching vom Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München sagt, man habe die Teilung Deutschlands nicht zementieren wollen und deswegen den Begriff "Verfassung" abgelehnt. Die Runde in Herrenchiemsee einigte sich auch darauf, ihre Vorschläge nicht einer "verfassunggebenden Nationalversammlung" zu übergeben, so wie es die Siegermächte vorgeschlagen hatten. Den endgültigen Text des Grundgesetzes erarbeitete nach dem Treffen in Herrenchiemsee der "Parlamentarische Rat", besetzt mit von den Landesparlamenten gewählten Vertretern.

Gastgeber Bayern sorgte für Alkohol und Zigarren

Bayern jedenfalls wollte ein guter Gastgeber sein. Die schöne Kulisse am Chiemsee wurde nach den Erinnerungen vieler Teilnehmer einzig durch die vielen Mücken getrübt, aber nicht etwa durch mangelnde Versorgung: Ein Liter Bier, eine halbe Flasche Wein, drei Zigarren oder zwölf Zigaretten standen jedem Teilnehmer zu.

Die Diskussionsrunden bestanden ausschließlich aus Männern, Frauen waren erst beim Parlamentarischen Rat dabei. Der spätere bayerische Landtagspräsident Franz Heubl von der CSU erinnerte sich noch Jahre später, was dort seine Hauptaufgabe als 24-jähriger Sekretär war. Er musste dafür sorgen, dass "Papier da war, die Bleistifte gespitzt waren, der Wein kühl, das Bier ordentlich gepflegt war."

Weimar als Mahnung für das neue Grundgesetz

Die Herren gingen viel spazieren auf der Insel. Immer wieder wurden die Gesprächsrunden gemischt, unterschiedliche Arbeitsgruppen eingeteilt. Wohin die Richtung des neuen Verfassungstextes gehen sollte, darüber herrschte bei allen Teilnehmern Einigkeit: weg von der gescheiterten Weimarer Verfassung. In nur 13 Tagen und Nächten verständigten sich die Ländervertreter auf wesentliche Merkmale, die die neue Bundesrepublik stärker machen sollte als die Weimarer Republik.

So sollte das Parlament nicht aus seiner Verantwortung gelassen werden. Der Bundespräsident sollte wenig Macht bekommen. Eine repräsentative Demokratie sollte es werden. Und vor allem: ein föderaler Staat, mit starken Bundesländern. Es wurde diskutiert, ob es eine Art zweite Kammer geben sollte oder einen Senat nach dem Vorbild der USA. Am Ende wurde es der "Bundesrat".

Bayerische Interessen setzten sich nicht durch

Wie diese Länderkammer aber genau ausgestaltet sein und welche Machtbefugnisse sie bekommen sollte, dazu gab es unterschiedliche Auffassungen. Der bayerische Ministerpräsident Hans Ehard (CSU) hatte nach eigenen Worten nach Herrenchiemsee eingeladen, "in dem Bestreben, den Einfluss Bayerns auf die Gestaltung der künftigen Verfassung möglichst zu intensivieren". Nach den Worten Wirschings wollte Bayern nicht nur eine "Führungskraft" in dem Prozess sein, sondern auch weitaus mehr Kompetenzen der Länder in Finanzfragen herausholen. Das lehnten die anderen westdeutschen Bundesländer ab.

Bayern sagt Nein zum Grundgesetz

Das Grundgesetz war den Bayern dann auch zu wenig föderal. Am Ende stimmte der Bayerische Landtag dem Grundgesetz 1949 nicht zu. Wirsching nennt das im Nachhinein "Symbolpolitik", denn ernsthaft wollte Bayern nie außerhalb des neuen westdeutschen Staates bleiben.

Gefeiert für das Grundgesetz werden andere

Wirsching bedauert, dass in der Rückschau stets an die Väter und die Mütter des Grundgesetzes, also an den Parlamentarischen Rat erinnert wird. Die Delegierten von Herrenchiemsee kommen seiner Ansicht nach oft zu kurz, weil deren Arbeit eine "gewaltige Leistung" gewesen sei, praktisch aus dem Nichts eine Verfassung zu entwickeln.

Das liege aber auch daran, dass im Parlamentarischen Rat die Parteien der gewählten Landesvertreter wichtiger waren. Auf Herrenchiemsee zählte "nur" die Länderzugehörigkeit. In der Erinnerungskultur seien die Parteien einfach besser, sagt er. Schließlich wollten sie damit die Verdienste etwa von Konrad Adenauer (CDU), Theodor Heuss (FDP) oder Erich Ollenhauer (SPD) besonders herausheben. Die 13 Tage im August 1948 aber gehören den Teilnehmern von Herrenchiemsee. Sie haben das Fundament für das Grundgesetz gelegt. Die Wiege der deutschen Verfassung steht somit in Bayern.

Im Audio: Delegierte aus westlichen Bundesländern erarbeiten neue Verfassung

Blick durch die Wolken auf das alte Schloss auf der Insel Herrenchiemsee.
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Im Alten Schloss auf der Insel Herrenchiemsee sollten vor 75 Jahren Delegierte aus den westlichen Bundesländern eine neue Verfassung erarbeiten.

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