In roter Jacke vor dem schmelzenden Gletscher – das Bild der Bundeskanzlerin im Sommer 2007 hatte Symbolkraft. Angela Merkel inszenierte sich als "Klima-Kanzlerin". Eine, die zuvor vier Jahre lang Umweltministerin war, Naturwissenschaftlerin und voll im Stoff. Kurz zuvor hatte sie als Gastgeberin der G8-Staaten in Heiligendamm gemahnt: maximal zwei Grad globale Erwärmung!
"Die führenden Industrieländer müssen in dieser Frage voranschreiten, ansonsten werden wir den Klimawandel nicht bekämpfen können." Angela Merkel, CDU, Bundeskanzlerin, 2007
Klimawandel ist "Schicksalsfrage"
Dreizehn Jahre ist das her. Dreizehn Jahre, in denen Merkel immer wieder mahnende Worte fand. Sie bezeichnete den Klimawandel als Schicksalsfrage für die ganze Welt, die über "das Wohlergehen von uns allen" entscheide. Die Politik müsse alles tun, "um unsere Bevölkerungen aufzuwecken". Solche Bekenntnisse, gerne auf internationaler Bühne gesprochen, hinderten Merkel aber nicht daran, innenpolitisch Kompromisse einzugehen.
Rücksichtnahme auf die deutsche Industrie
Merkel hatte stets die Industrie im Blick: vor allem die Automobil-Konzerne, aber auch die Gewerkschaften und deren Angst um Arbeitsplätze. Nicht gerade ein Innovationsmotor. Merkel sorgte beispielsweise in Brüssel dafür, dass nicht allzu strenge Abgaswerte für Autos kamen. Der Fokus verschob sich ohnehin auf andere Themen: Die Finanzkrise, die 2008 mit der Lehman-Pleite begann, führte zu Arbeitslosigkeit, Abschwung, Neuverschuldung. Klima rutschte als politisches Thema nach hinten.
Fukushima ändert Merkels Atompolitik grundlegend
Im März 2011 ereignete sich dann die Nuklearkatastrophe von Fukushima. Binnen kürzester Zeit entschied Merkel: Wir müssen doch raus aus der Atomenergie. Ungewöhnlich schnell für die Kanzlerin, die eigentlich lieber abwartet, alles durchdenkt und erst dann reagiert. Merkel zeigte sich davon überzeugt, dass Deutschland "Vorreiter auf dem Weg zur Schaffung eines Zeitalters der erneuerbaren Energien" werden könne.
War die Klima-Kanzlerin zurück?
Nicht wirklich. Im Sinne des Klimaschutzes hätte Merkel das Thema "klimaschädliche fossile Energie" auch angehen können – tat es aber nicht. Im Koalitionsvertrag 2013 hieß es: Kohle ist erst mal noch unverzichtbar. Der Ausstieg wurde auf später verschoben, das entsprechende Gesetz hat der Bundestag erst vor einigen Wochen verabschiedet. Die Kraftwerksbetreiber bekommen hohe Entschädigungen.
Klimapaket der GroKo
Etwas schneller ging es mit dem Klimapaket der Bundesregierung, das nach dem Motto funktioniert: Anreize schaffen für ein energieeffizienteres Leben. Wer mehr verbraucht als nötig, zahlt auch mehr. Ausgehandelt wurde es im vergangenen September, begleitet von großen Demonstrationen der Fridays for future-Bewegung. Die junge Schwedin Greta Thunberg hatte zuvor mit dem Schulstreik begonnen mit einem Ziel: die Länder zwingen, dass sie ihr Klimaschutzziel aus dem Pariser Abkommen auch einhalten.
Merkel würdigt "Ernsthaftigkeit" von #fff
Das Abkommen von Paris - für Merkel war es ein "Signal für die Zukunft des Planeten". Die Umsetzung der Klimaschutzziele allerdings lief schleppend. Zunächst eher unbemerkt von der Öffentlichkeit, mit den Demonstrationen der SchülerInnen und den Familien änderte sich das grundlegend. Merkel nahm diesen Druck der Straße durchaus wahr. Greta Thunberg und die anderen jungen Leute hätten der Politik mit einer Ernsthaftigkeit darauf hingewiesen, dass es um ihr Leben gehe. "Das hat uns schon noch mal dazu gebracht, entschlossener an die Sache heranzugehen."
Klimaschutz - plötzlich ein Wahlkampf-Thema
In der Wahrnehmung der Bürger wurde Klimaschutz dominant. Und damit zu einem Thema, das sich nicht wegdrücken lässt, und mit dem Politiker und Parteien Stimmen holen können. Auffallend, dass die Autokonzerne dieses Mal kein Gehör bei der Kanzlerin fanden: Das Konjunkturpaket, das die Folgen der Corona-Pandemie auffangen soll, enthält keine Kaufprämie für Autos mit Verbrennermotoren.
Geld für Klimaschutz "ist gut eingesetzt"
Dass Klimaschutz kostspielig ist, betont Merkel immer wieder. Aber mit dem Zusatz versehen: "Dieses Geld ist gut eingesetzt." Die Bundeskanzlerin spricht von einer "Menschheitsherausforderung" - eine Wortwahl, mit der sie es wieder dringend macht. Merkel scheint nun zum Ende ihrer Amtszeit den Klimaschutz wieder ganz nach vorn zu stellen. Trotz der Corona-Pandemie, die viel politische Energie bindet und riesige Konjunkturprogramme nötig macht.
Wie wirkt sich Corona auf das Umweltbewusstsein aus?
Für diese Programme gibt die Kanzlerin die Linie aus: Nicht am Klimaschutz sparen, sondern in zukunftsfähige Technologien investieren. Corona kann hier zum entscheidenden Faktor werden: Wächst dadurch das Bewusstsein der Gesellschaft für Umwelt und globale Zusammenhänge? Oder führen sinkende Einkommen und mehr Unsicherheit dazu, dass die Menschen wieder weniger Wert auf Klimaschutz legen?
Emissionen sinken – aber nicht nachhaltig
Experten warnen schon davor, den aktuell sinkenden Schadstoff-Ausstoß als Entwarnung anzusehen, auch wenn Deutschland sein Klimaziel für 2020 – ein Minus von 40 Prozent im Vergleich zu 1990 – möglicherweise doch einhalten kann. Ist dieser Effekt nachhaltig? Eher nicht, er ist auf das Herunterfahren des öffentlichen Lebens zurückzuführen und kein Ersatz für eine Wirtschaft und eine Gesellschaft, die ihre Emissionen herunterfährt. Merkel hat das verinnerlicht. Um diese Botschaft zu transportieren, und zwar wieder als "Klima-Kanzlerin" - dafür braucht sie heute keinen roten Parka mehr.
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