Nach dem tödlichen Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Magdeburg mit fünf Toten muss der Tatverdächtige in Untersuchungshaft. Das Amtsgericht habe wegen Mordes sowie mehrfachen versuchten Mordes Haftbefehl gegen den 50-Jährigen erlassen, erklärte die Polizei Magdeburg.
Der Mann war am Freitagabend mit einem Mietauto in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt gerast. Fünf Menschen starben, darunter ein Kind. Bei dem getöteten Kind handelt es sich um einen Jungen, der aus Floß in der Oberpfalz stammte, wie der Gemeindepfarrer dem BR bestätigte. In Floß wurde am Samstagabend des Jungen in einem Gottesdienst gedacht. Die weiteren Toten sind Frauen im Alter von 52, 45, 67 und 75 Jahren. Rund 200 weitere Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.
Auch in Magdeburg gedachten am Samstagabend Tausende im Dom sowie auf dem Domplatz der Opfer. Um 19.04 Uhr, exakt 24 Stunden nach der Tat, läuteten alle Kirchenglocken der Stadt. Zu der Trauerfeier waren Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sowie zahlreiche Minister und Politiker gekommen.
Zum Audio: Welche Hinweise hatten die Behörden?
Unzufriedenheit mit dem Umgang mit saudi-arabischen Flüchtlingen
Der mutmaßliche Täter ist ein 50-jähriger Arzt aus Saudi-Arabien, der seit 2006 in Deutschland lebte. Taleb A. war direkt nach der dreiminütigen Amokfahrt festgenommen worden. Er arbeitete zuletzt in der Salus-Klinik in Bernburg als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. "Er hat sich zum Tatmotiv geäußert", sagte Oberstaatsanwalt Horst Nopens am Samstag. Daraus habe sich die Schlussfolgerung ergeben, dass das mögliche Motiv in "Unzufriedenheit mit dem Umgang mit saudi-arabischen Flüchtlingen" begründet sein könne.
Verhafteter Arzt seit Ende Oktober nicht mehr im Dienst
Taleb A. hat öffentlich den Islam abgelehnt und sich über Jahre für Flüchtlinge aus Saudi-Arabien eingesetzt. In den vergangenen Jahren warf er zunehmend deutschen Behörden und der Polizei Behinderung oder Verfolgung vor. Der "Spiegel" berichtete unter Berufung auf sein Arbeitsumfeld, A. habe sich in seinen Aktivismus "hineingesteigert" und deshalb nicht mehr arbeiten können. Zuletzt habe er sich zurückgezogen, sei unaufmerksam gewesen. Er sei aber nie aufbrausend oder wütend geworden. Seit Ende Oktober war A. demnach krankheits- und urlaubsbedingt nicht mehr im Dienst.
BKA: "Unspezifische" Äußerungen
Der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, sagte im ZDF-"heute journal", es habe im November 2023 einen Hinweis aus Saudi-Arabien auf den Tatverdächtigen gegeben, hier sei auch ein Verfahren eingeleitet worden. Die Polizei in Sachsen-Anhalt habe dann auch entsprechende Ermittlungsmaßnahmen vorgenommen. Die angezeigten Äußerungen seien aber "unspezifisch" gewesen. Es habe auch verschiedene Behördenkontakte gegeben, Beleidigungen, auch mal Drohungen. "Er war aber nicht bekannt, was Gewalthandlungen angeht."
Der BKA-Präsident sagte, es müsse geprüft werden, ob den Ermittlern als Sicherheitsbehörden insgesamt etwas durchgegangen ist. Aber: "Wir haben hier ein völlig untypisches Muster. Wir müssen das auch in Ruhe jetzt auch analysieren."
Faeser: Behörden drehen jeden Stein um
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sicherte zu, dass zur Aufklärung der Vorgänge "durch die Bundesbehörden jeder Stein umgedreht" werde. Sie sei sicher, dass dies auch durch die zuständigen Landesbehörden geschehe, erklärte Faeser. Nach dem Anschlag mit fünf Toten und mehr als 200 Verletzten werden auch mögliche Versäumnisse der Sicherheitsbehörden geprüft.
Taleb A. passe in kein bisheriges Raster, erklärte Faeser. "Dieser Täter hat unfassbar grausam und brutal gehandelt - in der Begehungsweise wie ein islamistischer Terrorist, obwohl er ideologisch offenbar ein Islamfeind war."
Sondersitzung des Innenausschusses
Am 30. Dezember soll der Innenausschuss des Bundestags zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Dies erfuhr die Agentur AFP aus Koalitionskreisen. Am selben Tag tagt voraussichtlich auch das Parlamentarische Kontrollgremium, das unter anderem die Nachrichtendienste des Bundes überwacht. Zuerst hatte die "Bild"-Zeitung darüber berichtet.
Zuvor hatte die Union bereits eine Sondersitzung des Innenausschusses verlangt. "Der Anschlag von Magdeburg wirft Fragen zu den Kenntnissen der Behörden von Warnungen aus dem In- und Ausland auf", sagte die stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Andrea Lindholz (CSU) "Bild". "Diese Fragen müssen noch in diesem Jahr beantwortet werden."
Trauer und Schock in Magdeburg
Vor der Johanniskirche in Magdeburg legten am Wochenende Menschen weiter Blumen und Kuscheltiere nieder und zündeten Kerzen an. Zahlreiche Notfallseelsorger und Kriseninterventionsteams aus ganz Sachsen-Anhalt sind in Magdeburg im Einsatz: "Wir sind jetzt in den Kliniken, auf den Kinderstationen und hier am Ort des Geschehen - bei vielen Menschen kommt der Schock jetzt erst richtig an. Viele sind traumatisiert."
Der Opferbeauftragte der Bundesregierung, Pascal Kober, rechnet mit mehreren Hundert Menschen, die möglicherweise Hilfe benötigen. Es handele sich um "einen der größten Anschläge, die wir bisher zu verzeichnen hatten", sagte Kober dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Wenn man Tatzeugen und Ersthelfer mitrechnet, potenziert sich das auf eine hohe dreistellige Zahl betroffener Menschen."
Mit Informationen von AFP, dpa, Reuters
Im Video: Polizei plante Gefährderansprache
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