Auf das Brandenburger Tor ist in blau der Schriftzug "Nie wieder ist jetzt" projiziert, davor stehen Menschen mit Regenschirmen.
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Seit dem Massaker in Israel am 7. Oktober hat sich das Leben von jüdischen Menschen in Deutschland verschlechtert. Das zeigt ein Bericht.

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Antisemitische Vorfälle fast verdoppelt

Nach dem Massaker in Israel am 7. Oktober hat sich das Leben von Juden in Deutschland verschlechtert. Der Rias-Jahresbericht schildert Beschimpfungen und Übergriffe. Und eine neue Dynamik, mit der sich Antisemitismus ausbreitet.

Über dieses Thema berichtet: BR24 Infoblock am .

Vergangenes Jahr registrierte der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias) 4.782 antisemitischen Vorfälle, ein Anstieg von rund 80 Prozent gegenüber 2022. Die meisten Vorfälle (2.787) ereigneten sich nach den Terroranschlägen vom 7. Oktober bis zum Jahresende. Nach diesem Datum fanden auch rund zwei Drittel der Fälle von extremer Gewalt, Angriffen und Bedrohungen statt. Dazu zählt, dass Unbekannte Mitte Oktober in Berlin einen Brandsatz auf ein jüdisches Gemeindezentrum warfen. Im Ruhrgebiet kam es wenige Tage später zu zwei Brandanschlägen auf das Haus einer jüdischen Familie.

Alle Lebensbereiche sind betroffen

Nach dem 7. Oktober hätten jüdische Menschen Antisemitismus vermehrt im eigenen Umfeld erfahren, heißt es im Rias-Bericht: am Arbeitsplatz, in Bildungseinrichtungen und auf Social-Media-Plattformen. Alle Lebensbereiche seien betroffen. "Ein offenes, selbstverständliches, aber vor allem unbeschwertes jüdisches Leben ist auch in Deutschland seit dem 7. Oktober noch weniger möglich als zuvor", sagt Benjamin Steinitz, Geschäftsführer des Bundesverbands Rias bei der Vorstellung des Jahresberichts 2023. Der neue Höchststand antisemitischer Vorfälle müsse als Weckruf verstanden werden.

Im Video: Zahl antisemitischer Vorfälle stark gestiegen

Drei Berichte "Antisemitische Vorfälle in Bayern 2023"
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Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober gab es deutlich mehr antisemitische Vorfälle. Bayern steht dabei unrühmlich weit vorne.

Viele Formen des Antisemitismus – auch in Bayern

Es gibt viele Formen des Antisemitismus, bei allen hat Rias 2023 eine Zunahme registriert. Was Jüdinnen und Juden in Deutschland erleben, steht im Bericht. Von Übergriffen, Beschimpfungen bis zum In-Haftung-Nehmen für die Politik Israels. Beispiele: Auf dem Gelände einer Gedenkstätte in Thüringen wird ein Hakenkreuz mit der Schrift "Völkermord Israel" gefunden. Fußballfans skandieren "Juden Jena". Ruhrgebiet: Jugendliche in der Nähe einer Frau, die einen Davidstern um den Hals trägt: "Juden morden, Juden morden". Bayern: Auf einer Zugfahrt wird Fahrgästen, die als jüdisch erkennbar sind, die Parole "Free Palestine" zugerufen. Weiden in der Oberpfalz: Ein Betroffener teilt kurz nach dem 7. Oktober einen Spendenaufruf für die israelische Zivilbevölkerung. Die Antwort eines Bekannten: "Der Mossad wusste bereits vor zwei Wochen, dass was geplant ist und hat nicht reagiert… Außerdem unterstütze ich keine Drecks-Juden…"

Umfrage: Heute ist es unsicherer, als Jude zu leben und sichtbar zu sein

Antisemitismus präge den Alltag von Jüdinnen und Juden und zwinge viele, ihre jüdische Identität zu verbergen, sagt Bianca Loy, Ko-Autorin und wissenschaftliche Referentin bei Rias. Nach dem 7. Oktober seien bekannte antisemitische Stereotype aktualisiert und auf die Massaker der Hamas und den Krieg in Israel und Gaza übertragen worden. "Dabei wurde die Gewalt gegen Jüdinnen und Juden gerechtfertigt, relativiert oder geleugnet."

76 Prozent gäben an, den Eindruck zu haben, dass es in ihrer Stadt unsicherer geworden ist, als Jude zu leben und sichtbar zu sein, zitiert der Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland, Daniel Botmann aus einer bisher unveröffentlichten Befragung für das "Gemeindebarometer". 38 Prozent gaben demnach an, seit dem 7. Oktober 2023 häufiger darauf zu verzichten, jüdische Veranstaltungen zu besuchen, weil sie sich unsicherer fühlten. Am stärksten ausgeprägt sei das Gefühl bei den 16- bis 29-Jährigen, sagt Botmann.

Antisemitismusbeauftragter will Strafrecht verschärfen

Als "absolut katastrophale Zahlen", ordnet Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung, den Rias-Jahresbericht ein. Klein erklärt, die Zahlen zur politisch motivierten Kriminalität der Bundes- und Landeskriminalämter unterstrichen die des Rias-Berichts. Der Angriff der Hamas habe massiv als "Brandbeschleuniger für antisemitischen Hass" gewirkt. "Jüdisches Leben ist so stark gefährdet in Deutschland wie noch nie seit Bestehen der Bundesrepublik."

Klein fordert neben dem Engagement der Gesellschaft, das Strafrecht zu verschärfen. Der Aufruf zur Vernichtung anderer Staaten müsse unter Strafe gestellt werden und antisemitische Codewörter sollten als Volksverhetzung eingestuft werden. Die Bundesregierung behandle den "ausufernden Antisemitismus mit höchster Priorität".

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