Vor zehn Jahren schreckte eine Tragödie mit über 1.100 Toten im Rana Plaza in Bangladesch die Welt auf. Es entstand großer Druck auf die globale Textilwirtschaft. Das Unglück gab letztlich den Impuls zum Umsteuern, aber die politische Umsetzung dauerte.
In Deutschland ist seit 1. Januar ein Lieferkettengesetz in Kraft. Das EU-Parlament hat kürzlich einen wesentlich weitergehenden Entwurf für ein europäisches Lieferkettengesetz verabschiedet. Rat, Parlament und Kommission erarbeiten nun die endgültige Fassung der Vorschriften.
1.100 Tote in maroder Textilfabrik von Bangladesch
Am 24. April 2013 kam in der riesigen Textilfabrik eine Näherin mit ihrer Schwester zur Arbeit und bemerkte überall in den Mauern Risse. Was sich danach ereignete, berichtete Rosina Begum später den Medien: Der Strom fiel aus, acht Stockwerke stürzten ein und begruben über 3.000 Menschen. Rosina Begums Schwester starb, sie selbst überlebte, weil sie sich einen Arm absägte, um unter einem Stützpfeiler hervorzukommen. Billig-Modeketten wie Primark, KIK, NKD oder viele andere ließen dort produzieren. Ein ähnliches Unglück ereignete sich 2012 in einer Textilfabrik namens "Ali Enterprises" in Pakistan, bei dem 258 Menschen ums Leben kamen.
Mehr Sicherheit, aber immer noch Dumpinglöhne
Volker Rekittke kennt die dortigen Arbeitsbedingungen aus eigener Recherche. Der Redakteur beim Schwäbischen Tageblatt in Tübingen hatte sich eine dreijährige Auszeit genommen und die Textilindustrie wissenschaftlich untersucht. Seine Dissertation ist im vergangenen Jahr erschienen. Volker Rekittke zieht nach seinen Untersuchungen vor Ort in Bangladesch das Fazit, dass sich mittlerweile die Arbeitsplatzsicherheit deutlich verbessert hat.
"Die Gefahr, dass Firmen einstürzen, was bei Rana Plaza passiert ist, hat sich deutlich gemindert. Es gibt noch weitere Verbesserungen wie zum Beispiel bei exzessiven Überstunden und für Frauen, die schwanger sind, dass die bestimmten Arbeitsbedingungen vorfinden und dann irgendwann auch in Mutterschutz gehen können." Volker Rekittke, Journalist und Politikwissenschaflter mit Dissertation zum Thema Lieferketten
Allerdings, so stellt Volker Rekittke fest, verdienen die Arbeiterinnen und Arbeiter in der Textilindustrie immer noch sehr, sehr wenig.
"Der monatliche Mindestlohn in Bangladesch liegt bei umgerechnet 80 bis 85 Euro. Darauf beruht das Geschäftsmodell von Fast-Fashion und es scheint sich immer noch zu lohnen. Aber das könnte sich ja vielleicht dann bald ändern." Volker Rekittke
Menschenrechte und Umwelt sollen global besser geschützt werden
Von den meisten gefährlichen und unwürdigen Umständen, unter denen zum Teil Minderjährige schuften müssen, weiß die Öffentlichkeit allerdings wenig. Die EU will das ändern und die Wertschöpfungsketten transparenter machen. Das neue Gesetz soll alle Unternehmen mit Sitz in der EU und mehr als 250 Angestellten sowie mehr als 40 Millionen Euro Jahresumsatz betreffen. Es soll sie dazu verpflichten, negative Auswirkungen ihrer Produktion oder ihres Handels auf Menschenrechte, Umwelt und Klima zu ermitteln, einzuschränken oder beenden.
Alle Partner in der Wertschöpfungskette sollen Nachweise liefern
Außerdem sollen - und das ist wahrscheinlich der schwierigste Passus - Auswirkungen ihrer Partnerunternehmen auf Menschenrechte und Umwelt schriftlich bewertet werden. Das heißt: Alle oft verzweigten Produktions- und Zuliefereretappen müssen nachverfolgt und offengelegt werden. Es betrifft alle Branchen. Das Problem, so sagen Experten, wird sein, dass sich manche Produzenten nicht in die Karten schauen lassen. Aus der chinesischen Region Xinjiang gibt es zum Beispiel immer wieder Berichte, dass Uiguren systematisch in Lagern festgehalten und zu Zwangsarbeit verpflichtet werden. Da wird das EU-Lieferkettengesetz wohl an Mauern stoßen.
Gleichwohl ist Rekittke, der die Missstände in der globalen Textilbranche wissenschaftlich untersucht hat, optimistisch, dass der Druck zunimmt - moralisch wie juristisch.
Knackpunkt des Gesetzes wird die Haftung sein
Denn das EU-Lieferkettengesetz sieht eine zivilrechtliche Haftung vor. Das heißt, Betroffene könnten Schadensersatz vor einem Gericht in Europa einklagen. Im deutschen Lieferkettengesetz, das seit dem 1. Januar gilt, ist das nicht vorgesehen. Die EU-Richtlinien würden aber letztlich ausschlaggebend sein. Es gab schon mal einen Fall, bei dem vier Betroffene des Ali Enterprises Einsturzes bei einem Prozess in Dortmund gegen die Firma Kick aufgetreten sind.
Um was geht es für Betroffene?
Rekittke war damals bei Gericht dabei und zieht die Schlussfolgerung:
"Was es gebracht hat, war auf jeden Fall eine Selbstermächtigung der Betroffenen. Formal ging es um Entschädigungssummen. Aber eigentlich ging es um Gerechtigkeit." Volker Rekittke
Wie aber kann sich ein einzelner Mensch überhaupt Gehör schaffen? Die praktische Umsetzung wird schwierig, auch wenn das EU-Lieferkettengesetz die zivilrechtliche Klage von Betroffenen gegen Firmen und deren Produzenten vorsieht, die Beschäftigte unter gesundheitsschädlichen, menschenunwürdigen oder klimaschädlichen Bedingungen arbeiten lassen.
Wie können einzelne Geschädigte überhaupt eine Klage anstreben?
Unternehmen sind meist in der Regel in Verbänden organisiert, haben eine Lobby. Rekittke ist deshalb realistisch und skeptisch zugleich:
"Wie soll denn ein Kinderarbeiter auf einer Kakaoplantage an der Elfenbeinküste Klage vor einem deutschen Gericht führen oder Minenarbeiterinnen im Kongo Zugang zu einem Gericht in Brüssel bekommen? Das funktioniert ja nur, wenn sie Kontakt zu einer NGO, einer Nichtregierungsorganisation, haben, die stellvertretend Klage erhebt für diese Menschen." Volker Rekittke
Auch finanziell müsste jemand für die Arbeiterinnen und Arbeiter in Vorleistung gehen. Rekittke votiert deshalb - wie viele andere Experten und Menschenrechtsorganisationen - dafür, dass nicht die Betroffenen Beweise liefern müssten, sondern die Unternehmen beweisen müssten, dass sie kein Unrecht begannen haben.
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