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Özdemir: Bei Erdoğan-Sieg kommt es zu Auswanderungswelle

Grünen-Politiker Özdemir rechnet im Falle eines erneuten Wahlsieges des türkischen Präsidenten Erdoğan mit einer Auswanderungswelle aus der Türkei. Trotz des mit Spannung erwarteten Votums war die Wahlbeteiligung in Deutschland niedriger als 2018.

Grünen-Politiker Cem Özdemir rechnet im Falle eines erneuten Wahlsieges des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan mit einer Auswanderungswelle aus der Türkei. Der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ) sagte Özdemir: "Wenn Erdoğan die Wahl gewinnt, dann wird sich - das zeigen Umfragen - ein Großteil der Jugendlichen aus der Türkei verabschieden. Weil dann die Hoffnung auf eine bessere Entwicklung dahin wäre." Oppositionelle, Journalisten und Wissenschaftlern "würde die Luft zum Atmen abgeschnitten". Türken machen derzeit hinter Syrern und Afghanen die drittgrößte Gruppe der Asylantragsteller in Deutschland aus.

Polarisierung auch in Deutschland

Die derzeit in der Türkei laufende Wahl um das Präsidentenamt wirke tief in die deutsch-türkische Gemeinschaft hinein. Özdemir sagte: "Die Polarisierung, die wir in der Türkei haben und die im Fall eines Wahlsiegs von Erdoğan noch massiver werden würde, hat sich auch hierzulande fortgesetzt." Der Sohn türkischer Einwanderer betonte, die Wahl spalte Familien, Freundeskreise und Belegschaften. "Viele aus der Opposition, die eine andere Meinung vertreten, fürchten sich - das ist natürlich unerträglich", so Özdemir.

Özdemir sprach sich zudem dafür aus, Ausländern den Zugang zum deutschen Pass zu erleichtern. "Ich würde mir wünschen, dass es uns gelingt, aus Ausländern Inländer zu machen, wenn sie unsere Sprache sprechen, sich zum Grundgesetz bekennen und hier ihren Lebensunterhalt verdienen. Dann gehören sie dazu", sagte der Bundeslandwirtschaftsminister der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

"Wir produzieren immer noch inländische Ausländer"

Seinerzeit habe die rot-grüne Bundesregierung bei der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts wegen der damaligen politischen Kräfteverhältnisse nicht so weit gehen können, wie gewollt. "Das hat dazu geführt, dass gerade mal die Hälfte derer, die in Deutschland geboren werden, Staatsbürger werden und die anderen nicht", so Özdemir. "Das heißt, wir produzieren immer noch inländische Ausländer."

Özdemir beklagt Versäumnisse der deutschen Politik

Die hohe Zustimmung vieler Deutsch-Türken für Erdoğan hänge auch mit Versäumnissen der deutschen Politik zusammen, so Özdemir weiter. Er selbst, 1965 in Baden-Württemberg geboren, habe immer besser Schwäbisch als Türkisch gesprochen und sei trotzdem bis zum 18. Lebensjahr türkischer Staatsbürger gewesen - "obwohl ich niemals mehr als sechs Wochen Urlaub im Sommer in der Türkei verbracht habe", betonte er. "Wenn man Leuten lange genug erzählt: 'Ihr gehört nicht hierzu', dann benehmen sie sich auch so."

Die Grünen hatten vor wenigen Tagen alle in Deutschland ansässigen und in der Türkei wahlberechtigten Menschen zur Teilnahme an der Wahl aufgerufen. "Mit den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen besteht nach Jahren der autoritären Führung unter Präsident Erdoğan eine echte Chance, zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zurückzukehren", heißt es in einem Beschluss des Bundesvorstandes der Partei. Der Aufruf der Partei wurde unter anderem vom türkischen Botschafter in Deutschland, Ahmet Başar Şen, aber auch von Beobachtern kritisiert.

Am 14. Mai finden in der Türkei Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Der türkische Präsident Erdoğan muss nach 20 Jahren an der Macht um seine Wiederwahl fürchten. In den letzten Umfragen lag der Kandidat des Oppositionsbündnisses Kemal Kilicdaroglu (CHP) vorne. Er wird von einem Sechserbündnis unterstützt.

Wahlbeteiligung der Deutsch-Türken niedriger als 2018

Mit Spannung wird auch das Abstimmungsergebnis der 3,4 Millionen Türken im Ausland erwartet. Die Auslandstürken machen rund fünf Prozent der insgesamt 64,1 Millionen zur Wahl aufgerufenen türkischen Staatsbürger aus. Sie konnten bis Dienstag abstimmen - alleine in Deutschland waren 1,5 Millionen Wahlberechtigte zur Stimmabgabe aufgerufen.

Nach Angaben der türkischen Wahlbehörde war die Wahlbeteiligung der Deutsch-Türken niedriger als 2018. Demnach gaben 732.776 Wählerinnen und Wähler bis Dienstagabend ihre Stimme ab und damit knapp ein Prozent weniger als 2018. Die Beteiligung lag damit in Deutschland bei 48,8 Prozent.

Insgesamt liegt die Zahl der von Auslandstürken abgegebenen Stimmen allerdings bereits jetzt auf einem Rekordhoch: 53,18 Prozent der 3,4 Millionen Wähler im Ausland haben ihre Stimme bisher abgeben - 2018 waren es 48,8 Prozent gewesen. Auslandstürken können aber noch bis zum Wahltag am Sonntag an den Grenzübergängen, Häfen und Flughäfen der Türkei abstimmen.

Ausgezählt werden die Stimmzettel in der Türkei. Die Ergebnisse werden gleichzeitig mit denen in der Türkei bekanntgegeben. Bei den Präsidenten- und Parlamentswahlen 2018 hatte Erdoğan in Deutschland rund 64,8 Prozent der gültigen Stimmen erhalten - und damit mehr als in der Türkei selbst (52,6 Prozent). Türken mit Wohnsitz außerhalb der Türkei können seit 2014 auch im Ausland wählen.

Die angespannte politische Lage in der Türkei wirkte sich auch auf die Stimmabgabe im Ausland aus. In einem Wahllokal in Amsterdam waren am Sonntag nach Polizeiangaben rund 300 Menschen in eine Massenschlägerei verwickelt, mindestens zwei Menschen wurden verletzt. In der französischen Hauptstadt Marseille gab es am Sonntag ebenfalls Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und Gegnern Erdoğans, zwei Menschen wurden festgenommen. In Deutschland kam es Berichten zufolge zu keinen Zwischenfällen.

  • Zum Artikel: Erdbeben in der Türkei: Wer Kritik übt, hat es schwer

Mit Informationen von KNA, dpa und AFP

Wahlkampf in der Türkei
Bildrechte: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Tolga Ildun
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Symbolbild: Wahlkampfposter der CHP

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