Für die Ampel ist es eine Gratwanderung: Die Koalition will Fehler bei der Beschaffung von Schutzmasken benennen, ohne die Corona-Politik insgesamt zu diskreditieren. Deshalb stellt Martina Stamm-Fibich gleich zum Auftakt der Aktuellen Stunde im Bundestag klar, dass diese Debatte nicht zu einer "Hexenjagd" geraten solle.
Die SPD-Abgeordnete aus Erlangen betont aber auch: "Es muss jetzt Klarheit darüber geben, wie es passieren konnte, dass aus heutiger Sicht Milliarden an Steuergeld verschwendet worden sind." Niemand dürfe sich hier "aus der Verantwortung stehlen", so Stamm-Fibich.
Damit meint sie Jens Spahn, der zu Beginn der Pandemie Bundesgesundheitsminister war. Der CDU-Abgeordnete erinnert in der Debatte daran, in welcher Lage er damals Entscheidungen zu treffen hatte: "Chaos auf der ganzen Welt, maximale Unsicherheit." Letztlich ging es nach seinen Worten darum, Menschenleben zu retten. Spahn räumt ein, dass die Maskenbeschaffung teuer und teilweise chaotisch gewesen sei. Er sagt aber auch: "Wir mussten in der Not entscheiden."
Corona-Masken: CSU nimmt Spahn in Schutz
Ähnlich argumentiert Stephan Pilsinger, ein Fraktionskollege von Spahn. "Die damalige Situation war dramatisch", sagt der Münchner CSU-Abgeordnete. Spahn habe die Sache mutig in die Hand genommen. Die Bundestagsdebatte an diesem Donnerstag nennt er ein "Scherbengericht", mit dem die Ampel lediglich Spahn schaden wolle. "Dass Sie das heute aufwärmen, ist einfach nur lächerlich", ruft Pilsinger den Abgeordneten im Regierungslager zu.
Karsten Klein von der FDP sieht das ganz anders. Nach Ansicht des Aschaffenburger Abgeordneten ist es völlig berechtigt, dass der Bundestag über die durch die Maskenbeschaffung entstandenen Risiken diskutiert. "Die Verantwortung für diese Überbeschaffung trägt die Union und ihr Gesundheitsminister damals." Jetzt gehe es darum, Risiken zu verringern und dafür zu sorgen, dass so etwas nicht mehr passieren könne. Klein spricht sich dafür aus, eine Enquete-Kommission einzurichten – mit dem Ziel, die Corona-Politik aufzuarbeiten.
AfD und BSW fordern Untersuchungsausschuss
Eine solche Kommission fordert auch die Linken-Gruppe im Bundestag. Deren Chefin Heidi Reichinnek warnt davor, die Aufarbeitung der Corona-Zeit "antidemokratischen Kräften" zu überlassen. "Denn denen geht es weder um Aufklärung noch um Lehren für die Zukunft, sondern um ihr eigenes Machtkalkül", so die Linken-Abgeordnete. Vertreter von AfD und BSW machen in der Debatte deutlich, dass aus ihrer Sicht eine Enquete-Kommission nicht ausreichen würde. Sie fordern einen Untersuchungsausschuss, das schärfste Schwert der Opposition.
Fest steht: Zu Beginn der Pandemie waren Masken Mangelware. Da sie aber dringend benötigt wurden, drückte das Bundesgesundheitsministerium aufs Tempo. Das damals CDU-geführte Haus wendete ein besonderes Verfahren an, um möglichst schnell an möglichst viele Schutzmasken zu kommen. Dabei kamen Lieferverträge mit Festpreisen zustande – ohne weitere Verhandlungen. Später beglich das Ministerium jedoch zum Teil die Rechnungen nicht und begründete das mit Qualitätsmängeln. Daraufhin reichten Händler und Lieferanten Klagen ein.
Corona-Masken: Klagen von Händlern und Lieferanten
Rund 100 solcher Fälle sind aktuell anhängig – mit einem Streitwert von insgesamt rund 2,3 Milliarden Euro. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine FDP-Anfrage hervor, die BR24 vorliegt. Zahlreiche Verfahren wurden bereits beendet, die meisten mit einem Vergleich. Acht Verfahren hat der Bund gewonnen, zwei Verfahren verloren. Nach jetzigem Stand ist also schwer abzuschätzen, wie die noch anhängigen Verfahren ausgehen und welcher Schaden am Ende entsteht.
Die damalige schwarz-rote Bundesregierung nahm jedenfalls erhebliche Summen in die Hand, um das Land zu Beginn der Pandemie mit Corona-Masken zu versorgen. Der Bundesrechnungshof kommt auf 5,7 Milliarden Schutzmasken im Wert von 5,9 Milliarden Euro. Die Rechnungsprüfer kritisieren, dass mehr als zwei Drittel der Masken nie verwendet worden seien. Und mehr als die Hälfte der Masken sei bereits vernichtet worden oder soll noch entsorgt werden.
Auch Bundesrechnungshof sieht Fehler bei Maskenbeschaffung
Wie die FDP spricht auch der Bundesrechnungshof von einer "Überbeschaffung", weil früh absehbar gewesen sei, dass so viele Masken gar nicht benötigt würden. Zudem sind durch diese Art der Beschaffung den Rechnungsprüfern zufolge Folgekosten entstanden: für Lagerung, Logistik, Qualitätsprüfung und Beratung von außen. Das alles habe bis Ende vergangenen Jahres 460 Millionen Euro gekostet. Der Rechnungshof fordert deshalb, Fehler bei der Maskenbeschaffung kritisch aufzuarbeiten.
Die Chancen dafür steigen. Der Haushaltsausschuss des Bundestags hat sich schon mit der Sache beschäftigt, und nach dieser aktuellen Stunde im Bundestag steht ein weiterer Termin an: Nächste Woche soll der Gesundheitsausschuss zu einer Sondersitzung zusammenkommen.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!