Im Prinzip ist alles klar aufgeschrieben. Im Koalitionsvertrag der Ampel steht unzweideutig auf Seite 114: "Wir werden im ersten Jahr der neuen Bundesregierung eine umfassende Nationale Sicherheitsstrategie vorlegen." Umfassend und transparent. Darauf legt vor allem Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) großen Wert.
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Der Weg zur Strategie: Transparent aber kompliziert
Daher ist sie im Sommer von Bremen bis Ravensburg durch die Republik getourt – die Fragestellung bei sieben Bürgerdialogen unter anderem in Hof und München an Bürgerinnen und Bürger lautete stets: "Was brauchen Sie, um sich sicher zu fühlen, in diesen Zeiten?" In Zeiten, in denen Geheimdienste mit Cyber-Attacken kämpfen, in denen die Bundeswehr aufgerüstet wird, in denen die Nato durch den Krieg in der Ukraine eine hoch aktuelle Bedeutung erlangt.
"Die Sicherheit der Freiheit unseres Lebens" ist laut Baerbock der Kern der nationalen Sicherheitsstrategie. Bislang hat die Bundesrepublik so etwas noch nicht. Was auch an der komplizierten föderalen Konstruktion liegt. Bei innerer Sicherheit etwa haben die Bundesländer die meisten Kompetenzen, so beim Katastrophenschutz.
Gefahr für die Sicherheit aus dem Cyber-Raum
Der Grünen-Politiker Konstantin von Notz, der auch dem Parlamentarischen Kontrollgremium vorsitzt, das die Geheimdienste beaufsichtigt, ist der Meinung, dass die föderale Struktur zeitgemäß interpretiert werden muss, vor allem bei der Cybersicherheit. Jedem leuchte ein, dass die Cyber-Abwehr von beispielsweise Bremen allein genommen nicht so effektiv sein könne, als wenn man das zusammen denke und eine nationale Strategie entwickele, sagt von Notz BR24.
Ob chinesische Ballone oder Hackerangriffe, die Gefahren im Cyber-Zeitalter nehmen kontinuierlich zu. Die Kompetenz-Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern sind in diesem Bereich offenbar nicht mehr so ausgeprägt.
Gerangel um Kompetenz zwischen Baerbock und Scholz
Umso weniger Verständnis hat von Notz für das Gerangel zwischen Kanzleramt und Auswärtigem Amt. Annalena Baerbock und Olaf Scholz (SPD) verfolgen eine sehr unterschiedliche Strategie. Während Baerbock klar dafür wirbt, Position zu beziehen und sich auch in Wirtschaftsfragen deutlich zu positionieren, agiert Scholz sehr viel vorsichtiger.
Auch, was die Sicherheitsstrategie betrifft, zu der auch der künftige Umgang mit China gehört. Strittig auch die Frage: Wo wäre ein Nationaler Sicherheitsrat angesiedelt, der alle Kompetenzen bündelt und steuert? Und: Wie viel Geld aus dem Haushalt wird dafür veranschlagt?
Opposition vermisst kohärente Strategie
Von der Opposition bekommt vor allem Baerbock zunächst einmal Lob. Die Analyse sei richtig, sagt Johann Wadephul (CDU) zu BR24, man stehe vor ganz neuen Herausforderungen, bei der Landes- und Bündnisverteidigung durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Der Krieg könne auch die Nato bedrohen, daher brauche es hier auch Antworten.
Wadephul bedauert, dass es seiner Meinung nach keine kohärente Strategie zwischen Kanzleramt und Außenministerium gibt – er erwartet, dass sich die Bundesregierung zusammenrauft, die Opposition sei zu einem konstruktiven Dialog zu jeder Zeit bereit. Einen Blankoscheck werde die Union jedoch nicht ausstellen. Wobei sich Wadephul bei der Frage, ob die Bundeswehr künftig flexibler eingesetzt werden könne, durchaus Veränderungen vorstellen kann.
Zum ersten Mal Antworten aus einem Guss
Innere Sicherheit und äußere Sicherheit verschränken, das ist ein Grundpfeiler der Strategie. Nicht nur Terrorismus-Abwehr, sondern auch die Frage: Braucht Deutschland Löschflugzeuge, wenn es großflächig brennt? Mehr Waffen zur Selbstverteidigung?
Was wiederum die Bundeswehr ins Spiel bringt. Sicherheit im Weltraum ist genauso ein Punkt wie Widerstandskraft. Der SPD-Außenexperte Nils Schmid spricht von sehr weitreichenden Fragenstellungen, die bislang in Deutschland noch nie aus einem Guss beantwortet worden seien. Schmid geht jedoch davon aus, dass sich das Resultat sicher sehen lassen kann.
Keine Mammut-Strategie: "50 Seiten reichen aus"
Das Kompetenzgerangel zwischen Außen- und Kanzleramt hält der SPD-Politiker für aufgebauscht und marginal. Er sagt aber auch, dass der Kanzler bei den großen außenpolitischen Fragen gerade in diesen Zeiten sehr stark prägend wirke, sei wenig überraschend. In Richtung Grüne schiebt er nach, es gebe genügend außenpolitische Felder in der Welt, wo das Außenministerium glänzen könne.
Zumindest im SPD-Kosmos sind die Stellen von Koch und Kellnerin klar verteilt. Schmid rechnet damit, dass die Nationale Sicherheitsstrategie bis zur Sommerpause fertiggestellt ist. Ein Mammutwerk ist im Übrigen seiner Meinung nach nicht zu erwarten: "Alles, was über 50 Seiten ist, ist von Übel", er sei glücklich, wenn er nicht mehr als 50 Seiten lesen dürfe.
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