Aus den türkischen Erdbebengebieten gibt es Berichte, nach denen Menschen von der Polizei gefoltert werden.
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Aus den türkischen Erdbebengebieten gibt es Berichte, nach denen Menschen unter anderem von der Polizei gefoltert wurden.

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Aktivistin beklagt "schreckliche Folterbilder" in Erdbebengebiet

Aktivistin beklagt "schreckliche Folterbilder" in Erdbebengebiet

Sie werden geschlagen und getreten - in sozialen Medien sind Videos aus der türkischen Erdbebenregion zu sehen, in denen angebliche Plünderer misshandelt werden. Die Menschenrechtsaktivistin Eren Keskin spricht von "schrecklichen Folterbildern".

Über dieses Thema berichtet: Nachrichten am .

Die türkische Menschenrechtsaktivistin Eren Keskin hat in der türkischen Erdbebenregion Folter beklagt. "Wir sehen schreckliche Folterbilder. Folter und Rassismus sind Verbrechen", schrieb die Anwältin und Aktivistin, die 2004 den Aachener Friedenspreis bekommen hat, auf Twitter.

Keskin verlinkte die Erklärung eines türkischen Anwaltsvereins, in der darüber berichtet wird, dass angebliche Kriminelle, Türken aber auch Syrer, nach Festnahmen misshandelt werden. Die Menschen würden geschlagen, müssten sich teilweise ausziehen. Die Anwaltsvereinigung erinnerte daran, dass Folter verboten sei.

Videos über Misshandlungen in den sozialen Medien

In den sozialen Medien sind seit mehreren Tagen Videos von angeblichen Plünderern zu sehen, die misshandelt werden. Die Videos sind teilweise schwer zu ertragen - es sind Bilder brutaler Gewalt.

Ein Video etwa zeigt drei Männer, die am Boden kauern und von mehreren Männern, die eine Polizeiuniform tragen, mit Schlagstöcken geschlagen werden. Einer der Schläger kommentiert das Ganze mit den Worten: "Sollen ihre Hände brechen, damit sie nicht wieder plündern können!" Der andere antwortet darauf: "Ich werde meine Wut nicht los, Chef!" und meint damit offenbar, er müsse noch härter zuschlagen, um sich beruhigen zu können.

In einem anderem Video verprügelt ein Mann mit einer Sturmmaske, auf dessen Hemd "Polis" (Polizei) steht, drei Männer, die nur noch Unterwäsche tragen, mit einem Schlauch oder Gürtel. In einem dritten Video, das bis Montagabend knapp 300.000 Mal angesehen wurde, sind vier Leichen zu sehen. Dem Tweet zufolge sind es Männer, die infolge von Plünderungsvorwürfen auf offener Straße gelyncht wurden.

Auch in türkischen Medien finden sich Berichte über derartige Vorwürfe. Die Tagesszeitung "Birgün" berichtete, zwei Männer aus Hatay hätten angegeben, von Sicherheitskräften geschlagen worden zu sein, nachdem sie fälschlicherweise für Plünderer gehalten wurden. Sie hätten aber lediglich Medikamente für ihre Familien besorgen wollen. Das Online-Medium "Diken" berichtete, in Adiyaman seien fünf freiwillige Helfer misshandelt worden.

Echtheit der Videos ist nicht bestätigt

Die Videos sind bisher nicht eindeutig verifiziert. Bei Bilderrückwärtssuchen mit Screenshots aus zwei der Videos konnte das #Faktenfuchs-Team zumindest keine älteren Versionen davon finden. Das könnte darauf hindeuten, dass die Videos aktuell sind. Sicher ist das aber nicht. Es ist auch denkbar, dass sie aus anderen, früheren Kontexten stammen, aber bisher nicht online hochgeladen wurden - und nun in diesem Zusammenhang verbreitet werden.

In zumindest einem Fall scheint ein Video verbreitet worden zu sein, das nichts mit dem aktuellen Kontext zu tun hat. Darauf war zu sehen, wie einem angeblichen Plünderer ein Ohr abgeschnitten wird. Der türkische Innenminister Süleyman Soylu twitterte später, das Video stamme aus dem Ausland und habe nichts mit der aktuellen Situation in der Türkei zu tun.

Wie schwierig es selbst für Menschenrechtsorganisationen vor Ort ist, die Videos zu überprüfen, bestätigt Emma Sinclair-Webb, die die Menschenrechtslage in der Türkei für die Organisation Human Rights Watch beobachtet und seit Jahren in der Türkei lebt. Sie hat selbst in den letzten Tagen versucht, einige der Videos zu überprüfen. Es sei aber sehr schwierig zu verifizieren, wo etwas passiert ist, wer es tut und aus welchem Grund.

Sinclair-Webb gibt auch den Kontext zu bedenken: Nach einem derart großen Erdbeben seien die Behörden vor Ort völlig überfordert. In solchen Situation komme es nicht selten zu einem Zusammenbruch von Recht und Ordnung. Polizei und Sicherheitsbehörden seien vielerorts nicht mehr in der Lage, Diebstahl und Plündereien zu verhindern. Angesichts der Verzweiflung der Menschen vor Ort sei es vorstellbar, dass einige das Recht selbst in die Hand nähmen und sich eine Art Lynchstimmung ausbreite.

  • Zum Artikel: Bleiben oder gehen? Erdbeben-Betroffene stehen vor dem Nichts

Ein Mann starb in Gendarmerie-Gewahrsam nach Plünder-Vorwürfen

Auch Folter und Misshandlungen durch Polizei, Gendarmerie oder Militär hält Sinclair-Webb nicht für ausgeschlossen. In mindestens einem Fall sieht Human Rights Watch solche Vorwürfe sogar als bestätigt an. Am Samstag, den 11. Februar, seien zwei Brüder aus ihrem Haus in der Provinz Hatay abgeholt und wegen des Vorwurfs der Plünderei auf die Gendarmerie-Station in Antakya gebracht worden sein. Einer der beiden Brüder sei offenbar in Gewahrsam zu Tode geprügelt worden. Human Rights Watch liegt der Autopsiebericht vor. "Das verstärkt unsere Befürchtungen, dass Sicherheitskräfte und Polizei in Misshandlungen, Folter und sogar Todesfälle in Gewahrsam involviert sein könnten", so Sinclair-Webb. Es sei Aufgabe der türkischen Behörden, diese Fälle nun aufzuklären. Die Behörden vor Ort ermitteln inzwischen in dem Fall.

Menschenrechtsorganisation verurteilen Misshandlungen

Auch der türkische Menschenrechtsverein IHD äußerte sich zu den Videos, die in sozialen Netzwerken kursieren. Auf Twitter schrieb die Organisation: "Folter ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, dieses Verbrechen verjährt nicht." Behörden und Staatsanwälte müssten handeln und klar machen, dass Folter verboten sei.

Von Amnesty International war zunächst keine Stellungnahme zu bekommen. Pro Asyl erklärte auf Anfrage von BR24, man habe aus "verschiedenen Quellen ähnliche Berichte wahrgenommen", könne die einzelnen Bilder und Videos aber nicht bewerten.

"Unfassbare Dinge passieren in den Erbebengebieten"

Auch Ali Ertan Toprak von der Kurdischen Gemeinde in Deutschland hat ähnliche, teils grausame Videos zugespielt bekommen. "Unfassbare Dinge passieren in den Erdbebengebieten. Angebliche Plünderer und Diebe werden gelyncht und gefoltert. Und die Menschen feiern das in den sozialen Medien", sagte Toprak BR24. Es sei nicht immer klar, von wem die Gewalt ausgehe, teilweise seien die Angreifer auch in zivil. Es könnten Sicherheitskräfte in zivil oder auch Zivilpersonen sein, die Selbstjustiz übten.

Toprak berichtet zudem von einem jungen Mädchen, das Parfüm gestohlen haben soll und mit Fäusten geschlagen wurde. Auch ein Mann, der Hilfslieferungen in die Region gebracht haben soll, soll als Dieb beschuldigt und angegriffen worden sein. "Die Wut der Menschen wird auf die kleinen Diebe gelenkt und somit vom eigentlichen großen Räuber abgelenkt", sagte Toprak.

Die Regierung von Recep Tayyip Erdogan sieht sich mit Vorwürfen konfrontiert, dass zum Beispiel die Erdbebensteuer, die für den Umbau und Bau erdbebensicherer Gebäude verwendet werden sollte, für Straßen und Landwirtschaft ausgegeben wurde. Umgerechnet viele Millionen US-Dollar soll Ankara türkischen Berichten zufolge mit der Steuer eingenommen haben. In den sozialen Medien stellten viele Menschen nun die Frage: "Wo ist die Erdbebensteuer?"

Festnahmen wegen mutmaßlichen Plünderungen

In den Erdbebengebieten spitzt sich die Lage zu. Die Verzweiflung der Überlebenden schlägt teilweise in Wut um. In dem riesigen Katastrophengebiet ist noch nicht überall Hilfe angekommen. Berichten zufolge kommt es zu Plünderungen und Diebstählen. Die türkischen Behörden nahmen mindestens 48 Menschen wegen mutmaßlicher Plünderungen fest. Allein in der Provinz Hatay seien 42 Verdächtige festgenommen worden, bei denen größere Geldsummen, Schmuck, Bankkarten, Computer, Handys sowie Waffen gefunden worden seien, berichtete die amtliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu am Samstag unter Berufung auf Sicherheitsvertreter.

  • Zum Artikel: "Wut auf das System" - Erdbeben belastet Erdogan vor Türkei-Wahl

Notstandsregelung in der Erdbebenregion

Laut einem ebenfalls am Samstag im Amtsblatt veröffentlichten Erlass können Staatsanwälte in den zehn Erdbebenprovinzen im Rahmen des von Präsident Erdogan ausgerufenen Notstands mutmaßliche Plünderer sieben Tage lang in Gewahrsam nehmen. Bisher waren es vier Tage.

Erdogan hatte zuvor ein hartes Vorgehen gegen Plünderer angekündigt. "Alle, die in Plünderungen oder Entführungen verwickelt sind, sollten sich von nun an bewusst sein, dass der Staat sie fest im Visier hat", sagte Erdogan bei seinem Besuch in der Provinz Diyarbakir und verwies dabei ausdrücklich auf die Notstandsregelungen.

Mit Informationen von AFP und dpa.

Retter bergen Verschüttete im Erdbebengebiet.
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Retter bergen Verschüttete im Erdbebengebiet.

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