US-Präsident Joe Biden ließ am 4. Dezember 2023 einen eindringlichen Brief an den republikanischen Sprecher des Repräsentantenhauses, Mike Johnson, aufsetzen. Zwei Monate waren bereits vergangen, seitdem die letzten US-Waffenlieferungen an Kiew aus dem Staatshaushalt finanziert werden konnten.
Der Präsidentschaftswahlkampf warf bereits seine ersten Schatten voraus. Donald Trump hatte zu diesem Zeitpunkt schon den entscheidenden Einfluss auf das Abstimmungsverhalten der Republikaner auf dem Kapitol Hill. Einen außenpolitischen Erfolg Bidens, wie die weitere Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte aus dem US-Haushalt zu sichern, wollte Trump seinen Kontrahenten im Weißen Haus nicht gönnen. Folgsam gehorchte Mike Johnson, der nach innerrepublikanischen Querelen erst kurz zuvor ins Amt des Sprechers des Repräsentantenhauses gewählt worden war, dem Ex-Präsidenten.
"Wird die Ukraine auf dem Schlachtfeld in die Knie zwingen"
In dem Schreiben, das von der Chefin der nationalen Haushaltsbehörde der Biden-Regierung, Shalanda Young, verfasst wurde, ging es sehr rasch zur Sache: "Ich möchte klarstellen, dass wir ohne Maßnahmen des Kongresses bis zum Ende des Jahres keine Mittel mehr haben werden, um mehr Waffen und Ausrüstung für die Ukraine zu beschaffen und Ausrüstung aus US-Militärbeständen bereitzustellen." Es gebe keinen "magischen Topf mit Finanzmitteln". Kurzum: "Wir haben kein Geld mehr - und fast keine Zeit mehr."
Was dann Biden dem Kongress in dem Schreiben seiner Haushalts-Direktorin ausrichten ließ, sollte sich als eine präzise Prophezeiung dessen erweisen, was anschließend in der Ukraine geschehen sollte: "Die Unterbrechung der Lieferung von US-Waffen und Ausrüstung wird die Ukraine auf dem Schlachtfeld in die Knie zwingen und nicht nur die Errungenschaften der Ukraine gefährden, sondern auch die Wahrscheinlichkeit russischer militärischer Siege erhöhen."
Blockade der Republikaner dauert an
Das eindringliche Schreiben des Weißen Hauses an den "Dear Mr. Speaker" vom 4. Dezember hatte keine Wirkung. Wenige Tage später lehnten die Republikaner im US-Senat das Hilfspaket für die Ukraine (und für Israel) ab. Ohne höhere Ausgaben für den Grenzschutz im Süden der USA gebe es kein grünes Licht für die Unterstützung der Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland. Auch alle Appelle des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in der US-Hauptstadt stießen bei den Republikanern auf taube Ohren.
Am 12. Dezember traten Biden und Selenskyj um 17 Uhr Ortszeit im "Indian Treaty Room" in Washington gemeinsam vor die Presse. Der US-Präsident machte aus seiner Enttäuschung über die rein innenpolitisch bedingte Blockade der Republikaner keinen Hehl: "Die Finanzierung der Ukraine in Geiselhaft zu nehmen, um ein extremes republikanisches Parteiprogramm an der (amerikanischen) Grenze durchzusetzen", funktioniere nicht.
Biden: "So spricht ein Russe"
Russische Loyalisten hätten in Moskau das Nein der Republikaner gefeiert, sagte Biden und zitierte dann einen Moderator einer vom Kreml betriebenen Sendung: "Gut gemacht, Republikaner! Das ist gut für uns", wie Biden den russischen Moderator wiedergab. "Lassen Sie mich das noch einmal sagen. Der Moderator einer vom Kreml gesteuerten Sendung sagte: 'Gut gemacht, Republikaner! Das ist gut für uns.' So spricht ein Russe. Wenn Sie von russischen Propagandisten gefeiert werden, ist es vielleicht an der Zeit zu überdenken, was Sie tun."
Der Zorn des US-Präsidenten sollte so rasch nicht abklingen, doch es spiegelte sich darin die innenpolitische Ohnmacht Bidens. Da allein der US-Kongress laut amerikanischer Verfassung über das Haushaltsrecht verfügt, ließen die Republikaner unter dem dominierenden Einfluss Trumps den US-Präsidenten unverändert auflaufen. Die absehbar verheerenden Folgen für die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine nahmen die Republikaner mutwillig in Kauf.
Trump: "Seid nicht dumm!"
Demokratie sei die Fähigkeit, Kompromisse zu schließen, warb US-Präsident Joe Biden wochen- und buchstäblich monatelang. Im Senat versuchten Demokraten und Republikaner, in verschiedenen Fassungen die unerlässliche US-Unterstützung für die Ukraine in Gesetzesform zu gießen. Als Anfang Februar ein weiteres Kompromisspaket im Kongress eingereicht wurde, das die Forderungen der Republikaner nach höheren Ausgaben für den Schutz der US-Grenze zu Mexiko sehr offensichtlich berücksichtigte, schaltete sich Ex-Präsident Donald Trump auf seiner "Truth Social" Plattform erneut ein: "Seid nicht dumm", schrieb Trump. Das Kompromisspaket sei "ein großes Geschenk für die Demokraten und Todeswunsch für die Republikanische Partei".
Tags darauf scheiterte im US-Senat das 118 Milliarden Dollar Gesetzespaket. Benötigt wurden mindestens 60 Ja-Stimmen im 100 Sitze umfassenden Senat. Alle 49 republikanischen Senatoren votierten mit Nein. Die 61 Milliarden Dollar für die Ukraine, von denen nach Angaben des Weißen Hauses zwei Drittel in die USA für die eigene Rüstungsindustrie ausgegeben werden sollten, blieben also weiterhin gesperrt.
Späte US-Lieferungen in "schwieriger Zeit"
Als US-Außenminister Anthony Blinken am Dienstagmorgen in Kiew eintraf, war dies der erste Besuch eines hochrangigen US-Regierungsmitglieds seit der Freigabe der 61 Milliarden Dollar Hilfe für die Ukraine am 20. April durch den US-Kongress. Blinken hatte, genauso wie US-Präsident Biden, ein genaues Bild von den militärischen Rückschlägen der ukrainischen Streitkräfte, die Amerikas zerstrittene Innenpolitik verursacht hatte. "Wir wissen, dass dies eine schwierige Zeit ist", sagte Blinken in Kiew, wohl wissend, dass diese Formulierung die jüngsten russischen Geländegewinne nördlich von Charkiw und im Donbass verharmlosen würde.
Die Hilfe sei "in naher Zukunft auf dem Weg", ein Teil davon sei bereits eingetroffen und weitere würden folgen, so Blinken aufmunternd weiter. Diese Lieferungen "werden einen echten Unterschied gegen die anhaltende russische Aggression auf dem Schlachtfeld machen". Es dürften unter anderem die detaillierten Geheimdienst-Briefings über die militärischen Auswirkungen der republikanischen Blockade zulasten der Ukraine gewesen seien, die das Weiße Haus dem Sprecher des Repräsentantenhauses, Mike Johnson, im März und bis zur Abstimmung am 20. April im Kongress hatte zuteilwerden lassen, die das Umdenken Johnsons ausgelöst haben dürfte.
Der republikanische "Speaker of the House" beriet sich daraufhin mit Donald Trump auf dessen Anwesen in Florida und erhielt grünes Licht dafür, die Militärhilfe für die Ukraine zur Abstimmung im Kongress freizugeben. Vermutlich dürfte Johnson mit dem Argument bei Trump erfolgreich gewesen sein, dass sich Trump im Falle eines Wahlsiegs im November einer Lage in der Ukraine gegenübersehen würde, die er sich bei einem weiteren Nein zu US-Waffenlieferungen nicht herbeiwünschen sollte: Das Resultat wäre eine deutlich geschwächte Ukraine, die weitere Geländegewinne der russischen Invasionstruppen würde hinnehmen müssen. Die strategische Ausgangssituation für Trump bei einem möglichen Wiedereinzug ins Weiße Haus wäre daher erheblich schlechter, falls Amerika die Militärunterstützung dauerhaft einstellen würde.
Blick nach vorne
Dass die Republikaner unter Trump die Ukraine in den sechs Monaten der Blockade sehr geschwächt und Putins Position gestärkt haben, wird nunmehr von der US-Regierung pragmatisch zu den Akten gelegt. Bidens Nationaler Sicherheitsberater, Jake Sullivan, kündigte am Montag dieser Woche an, dass Washington versuchen werde, "das Tempo der Waffenlieferungen" an die Ukraine zu beschleunigen, um dem Land zu helfen, seinen Nachteil zu überwinden. Sullivan wörtlich: "Die Verzögerung hat die Ukraine in ein Loch gestürzt, und wir versuchen, ihr dabei zu helfen, so schnell wie möglich aus diesem Loch herauszukommen".
Im Video: Blinken in Kiew
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