Das Schweizer Bergdorf Brienz ist nach dem Erdrutsch von 2023 wieder von einer gewaltigen Gerölllawine bedroht. Erneut müssen sich die Menschen - wie schon im vorigen Jahr - auf eine Evakuierung vorbereiten. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich bis zu 1,2 Millionen Kubikmeter Felsschutt talwärts bewegen und die Siedlung erreichen, erklärte die Verwaltung der Ortschaft im östlichen Kanton Graubünden.
Lawine hat schon ein Tempo von 30 Zentimetern pro Tag
Per SMS waren die 84 Brienzerinnen und Brienzer am Samstagabend zu einer dringenden Infoveranstaltung gebeten worden. In der Turnhalle des Nachbardorfs gab es dann die schlechten Nachrichten von Stefan Schneider, dem Leiter des Frühwarndienstes.
Seit ein paar Wochen schon bewege sich eine enorme Schutthalde am Hang über dem Dorf - um zeitweise mehr als 30 Zentimeter pro Tag. Und diese Geschwindigkeit, so Schneider, könne sich plötzlich rasant erhöhen. "Man muss sich das vorstellen wie eine Steinlawine oder Schuttlawine, die mit einer sehr schnellen Geschwindigkeit ins Tal rutscht oder fließt. Und die kann Geschwindigkeiten von 80 oder sogar mehr km/h entwickeln.
Erdrutsch könnte das ganze Dorf erreichen
Zwar sei auch möglich, sogar wahrscheinlich, so der Geologe, dass sich die Rutschung wieder beruhige. Aber das Risiko sei enorm – und die Folgen gravierend. Komme es zu einem großen Felssturz, sei mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass das Dorf oder Teile des Dorfes erreicht werden.
Wann genau die Menschen Brienz verlassen müssen, wurde am Samstagabend noch nicht gesagt. Es könne aber schon in den kommenden Tagen so weit sein – warnte Pascal Porchet vom Amt für Zivilschutz und Militär des Kantons Graubünden: "Deshalb bitte ich Sie dringlich, sich vorzubereiten, dass Sie all das einpacken, was Geld oder Versicherung nicht ersetzen können."
Lawine verfehlt Brienz 2023 nur knapp
Im Mai 2023 war Brienz schon einmal geräumt worden. Im Juni donnerten dann tatsächlich mehr als eine Million Kubikmeter Geröll ins Tal und landeten glücklicherweise knapp neben dem Dorf (siehe Bild unten).
Nun also müssen die Dorfbewohner wahrscheinlich wieder ausziehen – laut Geologe Stefan Schneider im schlimmsten Fall für mehrere Monate.
Existenzielle Ängste und Beruhigungsversuche
Nach den Ankündigungen der Behörden zeigten sich die Menschen in der Dorfturnhalle schockiert und emotional erschüttert wegen ihrer ungewissen Zukunft. "Sicherheit heißt nicht nur überleben", sagte ein Bewohner mit zitternder Stimme. "Sicherheit heißt auch emotionale und existenzielle Sicherheit. Wenn mein Haus, in dem ein Teil meiner Altersvorsorge steckt, den Bach runter geht, dann habe ich keine existenzielle Sicherheit in der Zukunft."
Gemeindepräsident Daniel Albertin versuchte zu beruhigen. Er verwies unter anderem auf den Entwässerungsstollen, der gerade für 40 Millionen Franken unterhalb des bedrohten Dorfs gebaut wird – in der Hoffnung, dass so die Rutschungen gebremst werden können. Das Land und der Kanton versuche, die Heimat zu erhalten: "Ihr könnt auf unsere Solidarität und Unterstützung zählen", so der Gemeindepräsident. "Aber wir müssen auf euren Willen zählen können, um weiterhin an Brienz zu glauben."
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!