Bei den Grünen gibt es deutliche Kritik an den Plänen für die Reform des EU-Asylrechts - und auch am Kurs des eigenen Spitzenpersonals in der Debatte. Am Montagabend soll ein von rund 730 Parteimitgliedern unterzeichnetes Schreiben unter anderem an Außenministerin Annalena Baerbock, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Familienministerin Lisa Paus (alle Grüne) versandt worden sein. Das berichtet der "Spiegel". In dem Brief beklagt die Parteibasis einen Kurs der "Abschreckung und Abschottung" und Pläne zu einer "massiven Beschneidung des Asylrechts".
Zu den Unterzeichnern des Schreibens gehören dem "Spiegel" zufolge die Hamburger Justizsenatorin Anna Gallina, der frühere Botschafter Deutschlands in Pakistan, Martin Kobler, und Grüne-Jugend-Co-Chef Timon Dzienus. Adressaten sind neben den grünen Bundesministern auch die Parteichefs Ricarda Lang und Omid Nouripour sowie die Grünen-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Katharina Dröge und Britta Haßelmann.
- Zum Artikel: "Verschärfter Streit um Asylpolitik der Ampelkoalition"
"Schwer nachvollziehbar": Grüne kritisieren deutsche Verhandlungsposition
Die Pläne der EU-Kommission zu einer Asylreform sind nach Ansicht der Unterzeichner nicht vom Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP gedeckt. Die "deutsche Verhandlungsposition" zu diesem Punkt sei "schwer nachvollziehbar", soll es in dem Schreiben heißen.
Berichte über die Prioritäten der Bundesregierung hätten sie "erschüttert", zitierte der "Spiegel" weiter aus dem Schreiben der Mitglieder: "Die Ausweitung sicherer Drittstaaten, schlechterer Rechtsschutz, verpflichtende Grenzverfahren in Haftlagern und eine massive Verschärfung des gescheiterten Dublin-Systems sind nur einige der Rechtsverschärfungen, die in der vorgeschlagenen Reform des Asylsystems angelegt sind."
Absender fordern mehr Selbstbewusstsein
Die Absender des Briefs fordern die Grünen in Regierung, Bundestag und an der Parteispitze zu mehr Selbstbewusstsein in der Asyldebatte auf. "Wir erwarten nicht, dass sich die schwierige Lage in der europäischen Asylpolitik von heute auf morgen ändert. Aber wir erwarten, dass ihr gemeinsam mit viel Rückenwind aus der Partei, Zivilgesellschaft und der Wissenschaft dazu beitragt, dass Populismus nicht in Gesetzesform gegossen wird und wir die Hegemonie in der Debatte zurückgewinnen", zitiert der "Spiegel" weiter.
Der "Neuen Osnabrücker Zeitung" hatte auch Grüne-Jugend-Chef Dzenius gesagt, Faesers Pläne seien "unmenschlich und eine rechte Nebelkerze". Er erwarte von den Bundesministern der Grünen, dass diese "sich klar gegen Außengrenzverfahren stellen".
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) verteidigte die Reformpläne der Parteispitze gegen die parteiinterne Kritik. "Selbst wenn ich selber Grenzverfahren nicht für die richtige Option halte, sind diese Gespräche über Grenzverfahren die einzige Möglichkeit, derzeit in einer sehr heterogenen Europäischen Union zu einer gerechten Verteilung von Geflüchteten zu kommen", sagte Baerbock am Rande ihrer Reise nach Brasilien in São Paulo auf eine Frage einer Journalistin.
Vorprüfungen an den EU-Außengrenzen? Innenminister beraten
Die EU-Innenminister beraten am Donnerstag in Luxemburg über die seit Jahren strittige Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems. Es geht unter anderem um die Frage, ob es Vorprüfungen von Asylanträgen schon an den EU-Außengrenzen geben soll. Die Bundesregierung hat sich dafür offen gezeigt, will aber durchsetzen, dass Minderjährige unter 18 und Familien mit Kindern diese Verfahren nicht durchlaufen müssen. Entsprechend hatten sich auch Baerbock und Habeck geäußert. Die Außenministerin sagte, Grenzverfahren seien hochproblematisch - der EU-Kommissionsvorschlag sei aber die einzige Chance, auf absehbare Zeit zu einem "geordneten und humanen Verteilungsverfahren" zu kommen.
Die FDP lehnt den Vorschlag von SPD und Grünen ab. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte dem "Tagesspiegel", solche Ausnahmen gefährdeten die Einigung in Europa. Unterstützung erhielt die FDP in diesem Zusammenhang von der Union.
Auch Amnesty wendet sich an Regierung
In der Debatte über eine gemeinsame Asylpolitik in der EU befürchtet Amnesty International eine Verletzung von Menschenrechten. Auch könne es zu völkerrechtswidrigen Abschiebungen kommen, erklärte die Organisation in Berlin. Sie forderte die Bundesregierung auf, am Donnerstag "keine Kompromisse auf Kosten des Flüchtlingsschutzes zu schließen und gegen die geplante Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) zu stimmen".
Amnesty kritisierte unter anderem, dass Betroffene nach einer möglichen Reform weder eine "angemessene Asylberatung" noch rechtlichen Beistand bekämen. "Besondere Sorge bereitet uns die deutsche Verhandlungsposition hinsichtlich der 'sicheren Drittstaaten'", erklärte die stellvertretende Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, Julia Duchrow. "Unterstützt die Ampel-Koalition den Vorschlag, die Anforderungen an diese Staaten zu senken, bricht sie ihr Versprechen, jedes Asylgesuch inhaltlich zu prüfen." Asylanträge könnten pauschal als unzulässig abgelehnt werden, so Duchrow.
Mit Informationen von dpa, AFP und KNA
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