Wütende Bauern haben Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) in Schlüttsiel in Schleswig-Holstein am Verlassen einer Fähre gehindert. Sie blockierten am Donnerstag den Anleger, wie ein Polizeisprecher der Deutschen Presse-Agentur (dpa) sagte. Habeck, der auch Wirtschaftsminister ist, habe deshalb wieder auf die Hallig Hooge zurückkehren müssen, wo er zuvor Urlaub gemacht hatte.
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Etwa Hundert Bauern warteten am Fähranleger auf Habeck
In der Nacht gegen 01.55 Uhr konnte Habeck die Hallig dann verlassen und kam mit der Fähre sicher am Anleger in Schlüttsiel an. Weitere Passagiere – außer Personenschützer – waren nicht an Bord der Fähre. Zum Vorfall hatte sich Habeck anfangs nicht äußern wollen und verwies darauf, dass er auf einer privaten Reise sei und man das bitte respektieren solle.
Videos von dem Vorfall auf der Kurznachrichtenplattform X zeigten Tumulte. Protestierende versuchten offenbar, eine Polizeisperre an dem Anleger zu durchbrechen. Etwa einhundert Bauern hatten laut Polizei in Schlüttsiel auf Habeck gewartet, zuvor habe es einen Aufruf in sozialen Medien geben, Habeck dort abzufangen. Einige versuchten, die Fähre zu stürmen.
Die Polizei war mit etwa 30 Beamten im Einsatz, es kam zu einem Handgemenge mit der Polizei, die daraufhin Pfefferspray einsetzte. Der Minister musste sich in Sicherheit bringen und mit der Fähre zurück auf die Hallig fahren. Die Polizei nahm Personalien der Demonstranten auf. Sie müssen mit Anzeigen rechnen. Von Verletzten war nichts bekannt.
Sprecherin: Habeck war bereit für Gespräch
Eine Sprecherin Habecks sagte der dpa, der Minister sei gerne bereit gewesen, mit den Landwirten zu sprechen. "Leider ließ die Sicherheitslage ein Gespräch mit allen Landwirten nicht zu, das von Minister Habeck gemachte Gesprächsangebot mit einzelnen Landwirten wurde leider nicht angenommen."
Die Bauern sind empört wegen des von der Ampel-Koalition geplanten Abbaus von Subventionen. Am Donnerstag reagierte die Bundesregierung dann auf die massiven Bauernproteste: Die Koalition will auf die Abschaffung der Kfz-Steuerbefreiung für die Landwirtschaft verzichten. Die Abschaffung der Steuerbegünstigung beim Agrardiesel soll gestreckt und in mehreren Schritten vollzogen werden, wie der Sprecher der Bundesregierung in Berlin mitteilte. Der Deutsche Bauernverband hält die Maßnahmen aber für unzureichend – und hält an einer ab Montag geplanten Aktionswoche fest. In den sozialen Medien reagierten zahlreiche Politiker entsetzt auf den Vorfall um Habeck.
Bayerischer Bauernverband mahnt: Politiker nicht persönlich angehen
Der Präsident des Bayerischen Bauernverbandes, Günther Felßner, äußerte im Interview mit der Bayern2 Radiowelt Kritik an der Aktion. Man wolle nicht, dass Politiker persönlich angegangen werden. "Das ist eine ganz klare Aussage des Bauernverbandes. Dazu rufe ich alle Demonstrierenden auf", so Felßner. Das setze aber auch voraus, dass sich die Politik auch den Bürgern stelle, dass sie auch dialogbereit sei, betonte Felßner. "Wenn das nicht der Fall ist, dann passieren solche unschönen Szenen. Das wollen wir nicht. Aber ich rufe die Politik auf, auch sich den Bauern zu stellen."Deutscher Bauernpräsident: "Demonstrationen dieser Art sind ein No-Go"
Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, hat sich von der Blockade-Aktion ebenfalls distanziert. "Blockaden dieser Art sind ein No-Go", erklärte Rukwied am Donnerstag in Berlin. "Persönliche Angriffe, Beleidigungen, Bedrohungen, Nötigung oder Gewalt gehen gar nicht", erklärte der Verbands-Chef weiter. "Wir sind ein Verband, der die demokratischen Gepflogenheiten wahrt." Bei allem Unmut respektiere die Interessenvertretung der Landwirte "selbstverständlich die Privatsphäre von Politikern".
Breite Kritik von Regierungsseite an Aktion
Dies sei "beschämend und verstößt gegen die Regeln des demokratischen Miteinanders", erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Donnerstagabend im Onlinedienst X, vormals Twitter.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock äußerte sich ebenfalls kritisch. "Demokratie lebt von harter inhaltlicher Auseinandersetzung. Dort, wo Worte durch Gepöbel und Argumente durch Gewalt ersetzt werden, ist eine demokratische Grenze überschritten", schrieb Baerbock auf X.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir schrieb, es gebe einen weitgehenden Konsens in der Gesellschaft, dass man zivilisiert miteinander umgehe und streite. "Ich messe da immer mit gleichem Maß, ob bei Klimaklebern oder bei den Bauern am Fährhafen: Gewalt und Nötigung sind verachtenswert und schaden auch dem Anliegen".
Faeser: "Hat mit legitimem demokratischem Protest nichts zu tun"
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verurteilte die Aktion der Bauern auf der Kurznachrichtenplattform X. "Das hat mit legitimem demokratischem Protest und harter politischer Auseinandersetzung nichts mehr zu tun. Immer mehr verbale Aufrüstung und Hass führt zu solchen Grenzüberschreitungen. Danke an die Polizei für das Einschreiten!"
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) äußerte ebenfalls Unverständnis. "Dass man auch mal wütend ist: geschenkt. Aber klar ist: Gewalt gegen Menschen oder Sachen hat in der politischen Auseinandersetzung nichts verloren! Das diskreditiert das Anliegen vieler Landwirte, die friedlich demonstrieren", so Buschmann auf X.
Auch Grünen-Umweltministerin Steffi Lemke kritisierte die Aktion und forderte eine Distanzierung des Bauernverbands: "Das ist das Gegenteil von dem, was ich heute in der durch Hochwasser gebeutelten Region Mansfeld-Südharz erlebte - Solidarität, Zusammenhalt, Respekt, Zusammenarbeit unterschiedlichster Gruppen für den Schutz der Bevölkerung. Ich erwarte eine klare Distanz durch @Bauern_Verband", schrieb Lemke auf X.
Grünen-Politiker entsetzt von Bauern-Aktion gegen Habeck
Die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Britta Haßelmann schrieb auf X: "Erschreckend, eine völlige Grenzüberschreitung und ein Angriff auf die Privatsphäre von Robert #Habeck! Das hat nichts mit friedlichem Protest in einer lebendigen Demokratie zu tun." Sie erwarte nun eine Distanzierung des Bauernverbands von solchen Aktionen.
Die finanzpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Katharina Beck, wies darauf hin, dass die Regierung am Donnerstag auf die Forderungen aus der Landwirtschaft eingegangen sei. "Wenige Stunden später wird einer derjenigen, der sich am meisten dafür eingesetzt hat, von einer Gruppe derjenigen, für die er das getan hat, wie von einer Art Mob an einem Fähranleger angefallen?", so Beck auf X.
"Wer AfD-Narrative benutzt, der bereitet den Boden für diese Bilder"
Doch nicht nur die Bundesregierung und zahlreiche Grünen-Politiker kritisierten die Blockade der Bauern. Der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke schrieb auf X: "Wenn ein stellvertretender bayerischer Ministerpräsident erklärt, man müsse sich die Demokratie zurückholen u die Grünen hätten den Arsch auf, dann wundert einen nix mehr. Wer die AfD Narrative benutzt, der bereitet den Boden für diese Bilder."
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Paul Ziemiak rief zur Solidarität mit Habeck auf: "Bei allem Verständnis für berechtigten Anliegen: Hier wird eine Grenze überschritten! Regeln des Anstands derart zu verletzen, schadet eigenem Ziel. Wer die Ampel inhaltlich laut kritisiert, darf jetzt nicht schweigen. Das geht so nicht!" Auch der CDU-Politiker Ruprecht Polenz kritisierte den aus dem Ruder gelaufenen Protest: "Das Schaffen von Feindbildern zeigt Wirkung. Allerhöchste Zeit, die politische Auseinandersetzung wieder zu zivilisieren. Auch der Bauernverband und seine Kreisverbände sind jetzt gefordert."
Der Vorsitzende der Bayern-SPD, Florian von Brunn, sieht die Grenzen des Demonstrationsrechts überschritten. "Manche Unions-Politiker und Freie Wähler sollten sich gut überlegen, ob sie sich weiter kritiklos hinter den #Bauernprotest stellen!", so von Brunn auf X.
Im Video: BR-Landwirtschaftsexperte Tobias Betz zu Teil-Rückzieher der Ampel bei den Agrar-Kürzungen
Mit Informationen von dpa und epd.
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