"CSU endlich dahoam" nennt sich der Instagram-Account, auf dem am Dienstagvormittag ein Video zu finden war, das zunächst für Verwirrung sorgte. In der Anmutung eines CSU-Wahlwerbespots werden erst Bilder von Menschen in Tracht in den Bergen gezeigt, dann von Bundesinnenminister Horst Seehofer: in einer Menschenmenge, in nachdenklicher Pose.
Zu hören ist eine Stimme, die der Seehofers in Tonart und Sprechduktus stark ähnelt. "Die Flüchtlingspolitik in Deutschland ist seit 2015 ein Streitthema in der Politik, der Gesellschaft", sagt die Stimme. Und weiter: "Sie kennen meine Haltung diesbezüglich. Unsere deutsche Leitkultur muss weiterhin Maßstab für die Integration bleiben."
Bilder von Flüchtlingskindern
Im weiteren Verlauf des gut zweieinhalb Minuten dauernden Videos sagt die Stimme: "Wissen Sie, was mich an der Sache tief im Herzen schmerzt? Der Anblick von Kindern und Jugendlichen in den Flüchtlingslagern." Zu sehen sind nun Szenen aus einem Flüchtlingslager, ein schreiendes Baby, kleine Buben, die auf einer Decke im Freien schlafen. Die Stimme fährt fort: Diese Kinder bräuchten eine neue Heimat, Bildung, "eine echte Zukunft".
Es wird ein Schriftzug eingeblendet. "Eine gemeinsame Lösung" steht da weiß auf CSU-blauem Grund; das Logo der Partei ist rechts oben eingeblendet.
CSU bestätigt: “Kein offizieller Auftritt” der Partei
Allerdings: Das Video und eine dazugehörige Webseite stammen nicht von der CSU. Das bestätigt die Partei auf Anfrage des #Faktenfuchs. Der Pressesprecher der CSU-Landesleitung schreibt: “Diese Webseite und dieser Account sind keine offiziellen Auftritte der CSU.” Da dies aber vorgegeben werde, würden “Schritte dagegen” geprüft.
Auch der Sprecher von Bundesinnenminister Seehofer, Steve Alter, schreibt auf Twitter: "Achtung Fake! Die Internetseite (...) ist kein durch das Bundesinnenministerium oder den Bundesinnenminister veröffentlichter Auftritt."
Angeblich sollen Bundesländer Befugnisse bekommen
Überschrieben ist der gut zwei Minuten lange Film mit der Zeile: “Seehofer lebt christliche Werte & startet #EndlichDahoam für Schutzsuchende.” Es wird impliziert, der Bundesinnenminister bringe mit dem Video und einer dazugehörigen Internetseite eine angebliche Kampagne auf den Weg. Denn im weiteren Verlauf des Videos sagt die Stimme: “Ab sofort sollen die Bundesländer, die bereits signalisiert haben, genug Aufnahmekapazitäten zu haben, die Erlaubnis erhalten, Menschen aufzunehmen und wenn rechtens Aufenthaltsgenehmigungen auszustellen.”
Tatsächlich haben sich bereits vor einiger Zeit zahlreiche Städte und Kommunen in der Aktion "Seebrücke - Sichere Häfen" zusammengeschlossen, die Menschen in Not aufnehmen würden. Allerdings liegt die Entscheidung darüber nicht in deren Befugnis - die liegt beim Bundesinnenministerium, das Horst Seehofer leitet. Zwar hatte Seehofer in den letzten Monaten immer wieder - gemeinsam mit anderen europäischen Ländern - Geflüchtete etwa aus den Lagern auf den griechischen Inseln nach Deutschland geholt. Den Ländern die Befugnis zu erteilen, dies selbstständig zu tun, hat Seehofer bislang abgelehnt.
Video wirkt zunächst realistisch
So gesehen rührt dieses professionell gemachte und realistisch wirkende Video ein "heißes Eisen" an. Erste Reaktionen auf Twitter am Dienstag signalisieren Aufnahmebereitschaft: Von einer "tollen Initiative" spricht zunächst etwa ein Politiker aus Ennepe-Ruhr - sein Kreis sei "Sicherer Hafen" und "bereit, mit anzupacken". Die Seenotrettungs- und Flüchtlingshilfsorganisation "Mission Lifeline" reagiert auf Twitter: "Danke, Horst Seehofer & CSU für die Initiative!"
Manche Twitter-User vermuten daher, "Mission Lifeline" stecke hinter der Aktion, diese dementiert aber auf Twitter: "Von uns ist das nicht, aber eine solche CSU-Initiative kann man nur unterstützen."
Auch zahlreiche User bei Instagram scheinen das Video zunächst als echt anzusehen. Viele schimpfen, es handele sich um "Heuchelei". "Erst jahrelang Menschen ertrinken lassen und in Lagern unter menschenunwürdigen Bedingungen gegen ihren Willen festhalten und jetzt im Wahlkampf sowas???", schreibt ein Nutzer. Eine andere Userin formuliert in den Kommentaren: "Das sollte selbstverständlich sein und nicht so kurz vor der Bundestagswahl erst möglich." Die Seebrücke Berlin kommentiert dagegen nur: "Zu schön, um wahr zu sein."
Künstler-Gruppe bekennt sich zu Video
Am Mittwoch, einen Tag nach Veröffentlichung des Videos, bekannte sich eine Künstler-Gruppe zu dem Video und der Webseite "CSU Endlich Dahoam". "Unsere Kunstaktion war der Versuch, so viele Menschen wie möglich darauf aufmerksam zu machen, dass es Horst Seehofer höchstpersönlich ist, der der Evakuierung der Menschen aus den elenden Lagern im Wege steht", heißt es in dem Bekennerschreiben der Gruppe "Creative Sisters United", das der "Volksverpetzer" veröffentlichte. Wer genau hinter der Aktion und der Gruppe steckt, blieb aber weiterhin unklar. Auf der Website der Aktion wird das Video nun als Kunst gekennzeichnet, wo außerdem ein offener Brief an die Bundesregierung veröffentlicht wurde, den unter anderem Aktivisten und Politiker unterzeichnet haben.
Die Aktion auf dem Instagram-Kanal wurde offenbar von längerer Hand vorbereitet: Der erste Post trägt das Datum 30. April 2021; seitdem wurden in regelmäßigen Abständen sogenannte SharePics veröffentlicht, die mit CSU-Logo versehen tatsächliche Botschaften der CSU beinhalten: "Seehofer verbietet Hisbollah-Spendenvereine" lautet etwa eines; oder ein Zitat der bayerischen Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber zum Weltbauerntag.
Fazit
Das Video und die Website, die unter dem Hashtag #EndlichDahoam den Anschein erwecken, eine Kampagne der CSU und von Horst Seehofer zu sein, sind Fakes. Ein Sprecher der CSU hat dem #Faktenfuchs mitgeteilt, dass es sich dabei nicht um Auftritte der CSU handelt. Einen Tag nach der Veröffentlichung bekannte sich ein Künstlerkollektiv zu der Aktion.
Update II: Nachdem sich ein Künstlerkollektiv zu der Aktion bekannt hat, haben wir unseren Artikel, insbesondere den vorletzten Absatz, am 30.06.2021 um 15:10 aktualisiert.
Update: Nach Veröffentlichung des Artikels hat sich auch der Sprecher des Bundesinnenministeriums auf Twitter geäußert, diese Passage im Text haben wir am 29.06.2021 um 15:36 ergänzt.
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