Trump-Anhänger, die das Kapitol in Washington stürmen, Sicherheitskräfte, die versuchen, dagegenzuhalten - die Bilder gingen um die Welt. Dabei geriet aber auch etwas durcheinander. So wurde ein Foto immer wieder falsch eingeordnet, um die aktuellen Geschehnisse am Kapitol mit den Black-Lives-Matter-Demonstrationen im Sommer gleichzusetzen - und falsche Grundlagen können zu einem letztlich irreführenden Vergleich führen. Im vergangenen Jahr habe die Nationalgarde BLM-Protestanten vom Kapitol ferngehalten. Die Abwehr der Angreifer aus dem Trump-Lager sei nun nicht so entschieden gewesen. Den Hintergrund für diese Behauptungen bildet die Debatte um Rassismus in den USA. Es gibt zahlreiche Belege, dass der Staat Schwarze stärker kriminalisiert und ihnen mehr Gewalt entgegensetzt als Weißen.
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Die irreführende Behauptung, die "National Guard" habe im vergangenen Sommer - anders als am Mittwoch - vor dem Kapitol gestanden, wurde in etlichen Tweets aufgestellt. Sie verbreiteten sich stark und wurden mit dem falsch verorteten Bild vermeintlich untermauert - auch in Deutschland. Es geht um dieses Foto, das aus dem Juni vergangenen Jahres stammt - aus der Zeit der Black-Lives-Matter-Demonstrationen in den USA:
Das Foto zeigt die Nationalgarde des Distrikts Columbia, in dem die US-Hauptstadt Washington liegt. Die Mitglieder der "National Guard" standen am 2. Juni auf den Treppenstufen des Lincoln Memorials. Das Bild erregte damals viel Aufmerksamkeit - viele sahen in der Positionierung der Nationalgarde an diesem Ort ein Symbol für die Militarisierung Washingtons, der Regierung und des Landes. Ein Sprecher der "D.C. National Guard" sagte im Juni, die Truppen seien entsandt worden, nachdem dem Denkmal ein "kleiner Schaden" zugefügt worden sei und potenzielle weitere Gefahren bestanden hätten.
Eben dieses schon einmal viral gegangene Foto kursiert nun wieder, nachdem am 6. Januar in Washington Trump-Anhänger ins Kapitol, dem Sitz des US-Kongresses, eindringen konnten - und diesmal wurde das Bild fälschlicherweise dort verortet statt an seinem tatsächlichen Ursprung, dem Lincoln Memorial.
Unbestritten ist also, dass die "National Guard" im Juni 2020 bei den BLM-Protesten in Washington im Einsatz war. Die aktuellen und weit verbreiteten Tweets zum Bild von damals suggerieren aber fälschlicherweise, dass sie vor dem Kapitol stehen. Damit ist eine der Grundlagen falsch, auf denen die Reaktionen der Sicherheitskräfte auf die Proteste miteinander verglichen werden. Dieser Vergleich ist möglich, solange man die Faktoren präzise und richtig benennt. Falschinformationen sind nicht in jedem Fall bewusst gestreute Desinformation.
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In den USA twitterte zum Beispiel der Moderator Al Roker das Foto mit dem Text: "So sah das Kapitol unserer Nation während der Black-Lives-Matter-Proteste aus. Seht ihr einen Unterschied?" Auch andere stellten diesen Zusammenhang her - korrigierten später aber den Ort.
Auch in Deutschland zogen einige Journalisten und andere Twitter-User wie der Autor Max Czollek durch Retweets oder eigenen Text den irreführenden Vergleich, vor schwarzen Demonstranten habe die Nationalgarde das Kapitol geschützt - nicht aber vor den weißen gewalttätigen Demonstranten.
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Fazit
Tweets, die behaupten, die Nationalgarde habe das US-Kapitol zwar vor schwarzen Demonstranten geschützt, aber nicht vor Trump-Anhängern, sind irreführend. Das Bild, das dabei meist verwendet wird, zeigt nicht das Kapitol - den Sitz des Kongresses, der am Mittwoch von Trump-Anhängern gestürmt worden war. Vielmehr entstand das Originalbild im Juni 2020 vor dem Lincoln Memorial in der US-Hauptstadt.
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08.01.2021, 10.55h: Wir haben im ersten und zweiten Absatz einige sprachliche Änderungen und Ergänzungen vorgenommen, um unsere Aussagen präziser zu machen und um zu begründen, warum wir Details wie die richtige Verortung von Fotos als Thema behandeln. Eingefügt haben wir außerdem den 5. Absatz zur weiteren Erläuterung.
Es geht bei diesem Faktencheck nicht um Bewertung der verschiedenen Einsätze der US-Sicherheitskräfte bei Demonstrationen oder um eine Bedeutungshierarchie der Orte, sondern um die richtige Ortszuschreibung - als korrekte Grundlage für Argumente. Viele Kommentatoren auf Twitter korrigierten die falsche Zuordnung - doch auch durch die vielen Retweets verbreitete sich die Falschinformation schneller und weiter als die Korrekturen.
08.01.2021, 11.59h: Wir haben im ersten Absatz Belege für den strukturellen Rassismus gebenüber people of coulour eingefügt und den entsprechenden Satz angepasst.