Darum geht's:
- US-Präsident Donald Trump warf dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor, ein "Diktator ohne Wahlen" zu sein. Seine Zustimmungswerte in der Ukraine lägen bei 4 Prozent.
- Das ist falsch. Laut einer Umfrage vom Februar 2025 befürworten 63 Prozent der Ukrainer Wolodymyr Selenskyj als aktuellen Präsidenten.
- Wegen des Kriegsrechts sind die Wahlen bis Ende des Krieges ausgesetzt. Das wurde in einer Resolution Ende Februar durch das ukrainische Parlament einstimmig bestätigt.
In den sozialen Medien und während einer Pressekonferenz in Mar-a-Lago teilte Donald Trump noch vor dem mittlerweile berüchtigten Treffen im Oval Office gegen den ukrainischen Präsidenten aus. Selenskyj sei ein "Diktator ohne Wahlen", schrieb Trump auf "Truth Social". Seine Umfragewerte lägen bei 4 Prozent; Wahlen würde er absichtlich zurückhalten.
"Das ist ein rhetorisches Zeichen dafür, dass Trump sich Putin annähert", sagt Petra Stykow, Professorin für den Vergleich politischer Systeme Osteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Die Frage ist, ob sich das durch die neuen Entwicklungen geändert hat." Die USA und die Ukraine hatten sich am 11. März auf einen Vorschlag für eine 30-tägige Waffenruhe geeinigt. Zuvor aber machte sich Trump mehrfach das Narrativ zu eigen, das Putin bereits vor dem Krieg propagierte: Wolodymyr Selenskyj als illegitimer Präsident, der gar nicht das Recht habe, Verhandlungen zu führen.
Die Tatsachen hingegen ergeben ein anderes Bild.
Falschbehauptung 1: Selenskyj sei ein Diktator
Wolodymyr Selenskyj wurde 2019 mit einer Mehrheit von 74,96 Prozent zum Präsidenten gewählt. Mit seiner Partei "Diener des Volkes" setzte er sich im zweiten Wahlgang gegen den damaligen Amtsinhaber Petro Poroshenko durch. Nach der in der ukrainischen Verfassung festgelegten regulären Amtszeit von fünf Jahren hätte Selenskyjs (erste) Legislaturperiode am 20. Mai 2024 geendet; Wahlen hätten planmäßig im März 2024 stattgefunden. Das wäre zumindest der Fall gewesen, wäre die Ukraine nicht seit nunmehr drei Jahren in einen durch Russland ausgelösten Angriffskrieg verwickelt.
Seit dem 24.02.2022 gilt in der Ukraine das Kriegsrecht. Das Kriegsrecht ist ein Mechanismus, der von Staatsgewalten in einem Ausnahmezustand, beispielsweise im Verteidigungsfall gegen einen äußeren Angriff ausgerufen wird. In Deutschland beispielsweise würde in einem Verteidigungsfall die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte auf den Bundeskanzler übergehen.
In der Ukraine wird der Präsident zum obersten Befehlshaber über das Militär. Laut ukrainischem Kriegsrecht sind Parlaments- und Präsidentschaftswahlen während eines andauernden Ausnahmezustands ausgeschlossen. "Rechtlich ist die Sache sauber", sagt Petra Stykow. "Das Kriegsrecht wird vom Präsidenten verhängt und vom Parlament bestätigt und muss alle 90 Tage verlängert werden. Das Parlament macht das bisher."
Eine ähnliche Regelung gibt es auch in Deutschland. Selbst nach Ablauf einer regulären Legislaturperiode bleiben Präsident und Parteien im Amt, bis das Kriegsrecht aufgehoben ist. Verfassungsgemäß bildet sich das ukrainische Parlament in der ersten Sitzung nach Beendigung des Kriegsrechts neu; der Präsident bleibt im Amt, bis anschließend ein neuer ordentlich gewählt ist. Im Vergleich dazu: In Deutschland hat das Parlament sechs Monate Zeit, sich neu zu bilden, der Bundeskanzler dürfte noch neun Monate im Amt bleiben – selbst wenn die reguläre Amtszeit während des Verteidigungsfalles abgelaufen ist.
Zudem hatte Selenskyj als Antwort auf Trumps Vorwurf seinen Rücktritt im Gegenzug für einen Beitritt des Landes zur NATO angeboten. "Wenn es um Frieden für die Ukraine geht, dann bin ich bereit (meinen Posten zu verlassen)", sagte Selenskyj bei einer Pressekonferenz in Kiew.
Falschbehauptung 2: Selenskyj weigere sich, Wahlen abzuhalten
Dass in der Ukraine 2024 nicht gewählt wurde, liegt also nicht daran, dass Selenskyj sich Wahlen verweigert. Dazu kommt: Wahlen wären derzeit kaum umzusetzen.
Das UNHCR hat berechnet, dass etwa ein Viertel der ukrainischen Bevölkerung fliehen musste. 3,7 Millionen Ukrainer gelten als Binnenflüchtlinge – also Personen, die innerhalb der Ukraine auf der Flucht sind und ihren Meldeort verlassen haben. Knapp 6,9 Millionen Menschen sind derweil ins Ausland geflohen. Zusätzlich kämpfen aktuell rund 620.000 Soldaten in der Ukraine an den Frontlinien. Wahlen, an denen jeder Bürger teilnehmen kann, sind so kaum umzusetzen, argumentieren zivilgesellschaftliche NGOs in der Ukraine.
Dazu kommt: 18 Prozent der ukrainischen Landmasse befindet sich derzeit unter russischer Kontrolle. In den besetzten Gebieten Donezk, Luhansk, Cherson, Saporischschja und der Krim werden den vor Ort lebenden ukrainischen Bürgern russische Staatsbürgerschaften aufgezwungen. Wer sich weigert, dem droht die Festnahme als "illegaler Bürger". Russischen Medienberichten zufolge hat der Kreml bis dato 3,5 Millionen ukrainische Reisepässe durch russische ausgetauscht. Schon allein aufgrund der dokumentierten Vorgeschichte an Wahlmanipulation in Russland sind freie und geheime Wahlen in den besetzten Gebieten wohl ausgeschlossen.
Es gebe "eine riesige Masse von Problemen, die eigentlich nicht zu lösen sind", sagt Politikwissenschaftlerin Stykow. Würde man trotzdem Wahlen in der Ukraine durchführen, könne jeder bestreiten, dass sie legitim sind.
Da eine Resolution des ukrainischen Parlaments, der Verkhovna Rada, zur Bestätigung der ausgesetzten Wahlen bis zum Kriegsende am 24.02.2025 durch die Abwesenheit von 54 Abgeordneten durchfiel, häuften sich im Netz Stimmen, die eine Illegitimität Wolodymyr Selenskyjs behaupteten. Dabei handelt es sich jedoch um Falschbehauptungen.
Bereits am Folgetag beschloss die Verkhovna Rada, Wahlen erst dann "abzuhalten, nachdem ein umfassender, gerechter und dauerhafter Frieden gesichert ist". 268 Abgeordnete stimmten dafür; 12 haben nicht abgestimmt. Dass Wolodymyr Selenskyj als "Diktator" regiere und Wahlen mutwillig verhindere, bestätigt sich demnach nicht.
Zwar gibt es in der Ukraine vereinzelt Kritiker, die behaupten, das Aussetzen von Wahlen während des ausgerufenen Kriegsrechts sei verfassungswidrig – jedoch stufen laut dem ukrainischen Medium Kyiv Independent Verfassungsrechtler das Aussetzen der Wahlen als verfassungsgemäß ein. Einer Umfrage vom Februar 2024 zufolge sprechen sich 69 Prozent der Ukrainer für ein weiteres Aussetzen der Wahlen bis nach dem Ende des Krieges aus. Selbst unter jenen, die angaben, wenig bis kein Vertrauen in Wolodymyr Selenskyj zu haben, möchten 38 Prozent derzeit keine neuen Wahlen.
Falschbehauptung 3: Selenskyjs Zustimmungswerte lägen bei 4 Prozent
Das Vertrauen in Präsident Selenskyj ist nach wie vor groß. Trumps Behauptung, die Umfragewerte des ukrainischen Präsidenten lägen bei 4 Prozent, ist falsch.
Das Kyiv International Institute of Sociology arbeitet auch während des Krieges daran, anhand von zufälligen Telefonumfragen in den ukrainisch gehaltenen Gebieten die Zustimmungswerte repräsentativ abzubilden. Laut einer Umfrage vom Februar 2025 befürworten 63 Prozent der Ukrainer Wolodymyr Selenskyjs Handeln als Präsident. Zwar ist dieser Wert geringer als noch zu Beginn des Krieges im Juli 2022 (78 Prozent), allerdings wieder höher als im Mai 2024 (56 Prozent).
Eine ähnliche Tendenz zeigt sich auch bei der Frage des Vertrauens: Vor dem Treffen im Weißen Haus gaben 57 Prozent der befragten Bevölkerung an, ihrem Präsidenten zu vertrauen, die Tendenz ist seit letztem Dezember steigend (52 Prozent). Kurz nach dem Eklat stieg dieser Wert sogar auf 68 Prozent.
Über zwei Drittel der ukrainischen Bevölkerung wollen Selenskyj bis Kriegsende im Amt behalten, selbst Oppositionelle wie Ex-Präsident Petro Poroshenko sprechen sich gegen Neuwahlen aus. Dem Kyiv Independent zufolge ist Wolodymyr Selenskyj der einzige ukrainische Präsident in der Geschichte, der auch nach fünf Jahren noch Zustimmungsraten von über 50 Prozent hatte. Auf welchen Quellen die Behauptungen Trumps basieren, ist unklar.
Bei zukünftigen Wahlen könnte Wolodymyr Selenskyj dennoch ernsthafte Konkurrenz bekommen: Wie der Spiegel berichtete, sei der aktuelle Amtsträger bei einer Umfrage zu den Wahlabsichten der Ukrainer mit 16 Prozent nur auf den zweiten Platz gekommen. 27 Prozent gaben an, den Ex-Armeechef Walerij Saluschny wählen zu wollen. Auch in einer Stichwahl im zweiten Wahlgang würden der Umfrage zufolge deutlich mehr Ukrainerinnen und Ukrainer für Saluschny als für Selenskyj stimmen.
Fazit
Trumps Behauptungen, Selenskyj sei ein illegitimer Diktator und weigere sich, Wahlen abzuhalten, sind falsch. Dass Wahlen im Kriegszustand ausgesetzt werden, ist von der ukrainischen Verfassung gestützt und in Demokratien üblich; in aktuellen Umfragen befürworten 69 Prozent der Ukrainer diesen Mechanismus. Auch liegen Selenskyjs Umfragewerte nicht bei den von Trump genannten 4 Prozent, sondern laut einer Studie von Anfang März 2025 bei 68 Prozent.
Quellen:
CNN: Trump’s slam of Zelensky is a remarkable moment in US foreign policy
DW Fact check: Fact check: Trump's false claims on Zelenskyy, Ukraine aid
European Platform for Democratic Elections: Legal information on the impossibility of holding elections under conditions of martial law – Civil Network Opora
FactCheck.org: Trump’s False and Misleading Ukraine Claims
Kyiv Independent: Putin claims Zelensky doesn't have a right to sign any potential peace deal
Kyiv Independent: Zelensky’s term has expired, but he’s staying. Russia wants to use it.
Novaya Gazeta: Ukrainian parliament extends Zelensky’s mandate as president until end of martial law
The Independent: If Trump forces Zelensky out who could be the next Ukraine president?
Ukraine: Not sacrificing democracy: why Ukraine cannot hold elections under the martial law
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