Dieser #Faktenfuchs ist erstmals am 24. Januar 2023 auf BR24 erschienen. Die Frage, was mit abgelaufenen Covid-Impfdosen passiert, wird im Netz weiterhin häufig gestellt. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
Darum geht's:
- Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums sind allein bis Mitte Januar dieses Jahres bislang 29,4 Millionen abgelaufene Impfstoffdosen zur “fachgerechten Entsorgung” bereitgestellt worden.
- Wie viel die abgelaufenen Impfstoffdosen gekostet haben, teilt das Bundesgesundheitsministerium mit Verweis auf die “vertraglich vereinbarte Vertraulichkeit” nicht mit.
- Noch 134 Millionen weitere Impfstoffdosen werden zentral gelagert, sie laufen zwischen Januar 2023 und Februar 2024 ab.
Während es zu Beginn der Impfkampagne einen Mangel an Corona-Impfstoffdosen gab, laufen sie jetzt millionenfach ungenutzt ab. Das hat eine Anfrage des #Faktenfuchs an das Bundesgesundheitsministerium (BMG) ergeben.
Anlass für die Anfrage des #Faktenfuchs an das BMG waren zahlreiche Behauptungen in den sozialen Netzwerken. Darin heißt es etwa, Deutschland sitze auf einem "Müllberg" von Impfdosen. An anderer Stelle wird die Inszenierung einer Infektionswelle im Herbst angedeutet, um die weitere Vernichtung von abgelaufenen Impfstoffdosen zu vermeiden.
Doch stimmt das wirklich? Vernichtet die Bundesregierung tatsächlich kontinuierlich Corona-Impfstoffdosen? Und überhaupt: Wie kann so etwas passieren? Der #Faktenfuchs hat sich auf die Suche nach den Zahlen zu den Corona-Impfstoffdosen gemacht.
Wie viele Impfstoffdosen hat Deutschland bestellt?
Seit Beginn der Impfkampagne in Deutschland hat die Bundesregierung rund 680 Millionen Dosen Covid-19-Impfstoff (Stand 11.01.23) bestellt. Den größten Anteil mit circa 375 Millionen Dosen hat der Impfstoff von BioNTech/Pfizer, außerdem circa 140 Millionen Dosen des Moderna-Impfstoffs und 55 Millionen Dosen des Vakzins von Johnson & Johnson. Außerdem wurden Impfstoffdosen der Hersteller AstraZeneca (56 Mio.), Sanofi/GSK (19 Mio.), Valneva (1 Mio.) und Novavax (34 Mio.) geordert.
Zuvor hatte die Europäische Kommission als Teil der EU-Impfstoff-Strategie mit den Pharmaunternehmen Abnahmegarantien für Impfstoffdosen vereinbart, die sogenannten "Advance Purchase Agreements" (APAs). Dem haben die EU-Mitgliedstaaten, also auch Deutschland, zugestimmt. Mit diesen Vorabverträgen wurde unter anderem sichergestellt, dass die EU-Mitgliedstaaten schnell und sicher mit Corona-Impfstoff versorgt werden. Die EU-Länder konnten dadurch die anfangs dringend benötigten Vakzine zu einem "fairen Preis" bestellen, schreibt die Europäische Kommission auf Anfrage des #Faktenfuchs.
So haben sich die EU-Mitgliedstaaten beispielsweise mit einem Vertrag Ende 2020 gegenüber BioNTech/Pfizer zu einer Abnahme von 200 Millionen Dosen des Comirnaty-Impfstoffs verpflichtet, mit der Option, weitere 100 Millionen Impfstoffdosen nachzulegen. Dieser Vertrag wurde in der Zwischenzeit viermal aktualisiert. Allein im Jahr 2022 verpflichteten sich die EU-Mitgliedstaaten zusammen zu einer Abnahme von 650 Millionen Impfstoffdosen des Pharmaunternehmens BioNTech/Pfizer.
Wie viele Impfdosen letztendlich in den jeweiligen Ländern gelandet sind, haben die Staaten je nach Bedarf selbst mit den Impfstoffherstellern vereinbart. Bis Ende März 2023 werden noch von Moderna 1,9 Millionen und von Sanofi/GSK 11,5 Millionen Impfstoffdosen geliefert.
Eine Lieferung von Novavax mit 13,6 Millionen Impfstoffdosen wird zwischen Juli und September erwartet. "Die vertraglichen Beziehungen" mit diesen drei Impfstoffherstellern würden laut Aussage des Bundesgesundheitsministeriums "im Laufe dieses Jahres" enden. Der Liefervertrag mit BioNTech/Pfizer hingegen läuft erst im kommenden Jahr aus, bis dahin muss die Bundesregierung mindestens in diesem Jahr noch 92,4 Millionen Comirnaty-Impfstoffdosen annehmen.
Wie viele Impfdosen sind bereits abgelaufen?
Bisher sind 36,6 Millionen der vom Bund zentral gelagerten Impfstoffdosen abgelaufen, das teilte das Bundesgesundheitsministerium dem #Faktenfuchs auf Anfrage mit. Dabei sind allein in diesem Jahr bis zum 12. Januar 29,4 Millionen Impfstoffdosen "zur fachgerechten Entsorgung bereitgestellt" worden. Im gesamten vergangenen Jahr wurden 7,2 Millionen Impfstoffdosen vernichtet. Damit wurden bereits Anfang 2023 mehr als viermal so viele Impfstoffdosen vernichtet als 2022.
Wie viel Geld die Bundesregierung für die 36,6 Millionen abgelaufenen Impfdosen ausgegeben hat, gibt das BMG "aus Gründen der vertraglich vereinbarten Vertraulichkeit der Preise" nicht an. Bei den abgelaufenen Impfstoffdosen soll es sich nach Angaben des BMG um Impfstoff des Herstellers Moderna handeln.
Auf Anfrage des #Faktenfuchs teilt das Bundesgesundheitsministerium mit, dass jetzt noch circa 134 Millionen verimpfbare Covid-19-Impfstoffdosen zentral gelagert sind (23.01.23). Das heißt, ein Teil aller bestellten Impfstoffdosen wird durch "ein vom Bund beauftragtes Lagerdienstleister-Unternehmen” aufbewahrt, bis sie benötigt werden – oder aber verfallen, weil sie ihr Ablaufdatum erreicht haben.
Wann diese Impfstoffdosen vernichtet werden müssen, weil sie ihr Ablaufdatum überschreiten, sei von der Impfbereitschaft der Bevölkerung abhängig und nicht vorhersehbar, so das BMG. Je nach Hersteller und Impfstoff sollen sie unterschiedliche Haltbarkeiten zwischen Januar 2023 und Februar 2024 aufweisen.
Warum lagert Deutschland die Impfstoffe zentral?
Eine zentrale Beschaffung und Bevorratung von Vakzinen, wie es bei Corona-Impfstoffen gehandhabt wird, ist in Deutschland nicht die Regel. Außer den Corona-Schutzimpfungen werden nur Vakzine gegen das Affenpockenvirus und Pockenimpfstoff zentral gelagert.
Mit der zentralen Beschaffung und Lagerung wird die Versorgung der Bevölkerung mit Impfstoffen sichergestellt. Gleichzeitig besteht jedoch das Risiko, dass Impfstoffe ablaufen, wie Epidemiologe Hajo Zeeb zu Bedenken gibt. Auch aus diesem Grund rät er davon ab, die zentrale Lagerung von Corona-Impfstoffen dauerhaft einzuführen: "Ich glaube nicht, dass es auf lange Sicht sinnvoll ist, gerade recht schnell verfallende Impfstoffe auf Vorrat zu lagern".
Gerade weil das Infektionsgeschehen und das Coronavirus zu Beginn der Pandemie nur schwer einzuschätzen waren, sei für ihn eine Bestellung großer Impfstoffmengen nachvollziehbar. So verweist er auf die Kosten, die mit einer Corona-Infektion einhergehen und sagt: "Es sind teure Impfstoffe da, aber auch das Nichthaben von Impfstoffen ist eine teure Sache". Das Coronavirus habe gezeigt, wie kostenintensiv die Behandlung und Eindämmung der Infektionen sein können.
Keine Angaben zu Impfdosen aus Apotheken und Praxen
Ein anderer Teil der bestellten Impfstoffdosen wird nicht zentral bevorratet, sondern vom pharmazeutischen Großhandel angenommen und an die Apotheken und Ärzte verteilt. Über Impfstoffdosen, die in den Lieferketten und Impfstellen verfallen, kann das Bundesgesundheitsministerium keine Angaben machen.
Diese Informationslücke könne auch der pharmazeutische Großhandel nicht abdecken, nachdem die Apotheken entsprechende Zahlen nicht zurückmelden würden. Das erklärt Christian Splett, Pressesprecher der Bundesapothekerkammer gegenüber dem #Faktenfuchs. Dass überhaupt Vakzine in Apotheken ablaufen, hält Splett darüber hinaus für unwahrscheinlich: "Hier kann wöchentlich der Bedarf geordert werden, um eben den Verfall zu vermeiden. Verfallener Covid-19-Impfstoff sollte in der Apotheke also nicht vorkommen."
Auch der Bundesärztekammer liegen auf Anfrage des #Faktenfuchs keine Informationen über eine Meldepflicht abgelaufener Impfstoffdosen bei impfenden Ärzten vor.
Warum laufen so viele Impfstoffdosen ab?
Bei der Bestellung der Corona-Impfstoffdosen galt zunächst die Prämisse, "allen Bürgerinnen und Bürgern schnell ein Impfangebot gegen Covid-19 unterbreiten zu können", schreibt das BMG auf Anfrage des #Faktenfuchs. Für die weiteren Bestellungen seien verschiedene Faktoren regelmäßig neu bewertet worden: zum Beispiel die Entwicklung des Infektionsgeschehens, die Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) oder die Impfbereitschaft der Bevölkerung . Das Bundesgesundheitsministerium schreibt, dass die Prognose der benötigten Impfstoffdosen "aufgrund der dynamischen Lage des Pandemiegeschehens" mit großen Unsicherheiten verbunden ist.
Gesundheitsökonomin Katharina Blankart von der Universität Duisburg-Essen ordnet die Impfstoffbestellungen im Gespräch mit dem #Faktenfuchs ein: "Nach der anfänglichen Impfstoffknappheit wollte man sichergehen, dass genug da ist. Dann hat sich herausgestellt, dass sich viele nicht impfen lassen wollen, oder wenn dann nur mit bestimmten Impfstoffen."
Eine genaue Kalkulation für die Bestellung der Impfstoffe sei aus ihrer Sicht deswegen sehr schwierig, wobei es in der Planung der Bereitstellung der Impfdosen Verbesserungspotenzial gebe. Dennoch sagt sie: "Die schlimmere Konsequenz wäre gewesen, nicht genug gehabt zu haben, wenn wir Personen nicht impfen könnten."
Obwohl die Corona-Infektionszahlen aktuell sinken, beschreibt Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS) das Infektionsgeschehen nach wie vor als stabil – auch, weil die Infektionen aktuell nicht wellenartig auftreten. Die ersten drei Impfungen seien deswegen aus seiner Sicht notwendig: "Denn Corona, das ist jetzt klar, wird weiterhin da sein." Ob man sich für eine vierte Impfung entscheide, hängt seiner Meinung nach von mehreren Faktoren wie dem Alter, körperlicher Fitness und den Vorerkrankungen ab. Auch die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt Menschen über 60 Jahren und vulnerablen Gruppen eine vierte Impfung.
Im Vergleich zum vergangenen Jahr ist die Zahl der verabreichten Impfdosen gesunken. Insgesamt wurden in Deutschland seit dem 27.12.2020 circa 191,8 Millionen Impfstoffdosen verabreicht. Etwa 76 Prozent der deutschen Bevölkerung wurde mindestens zweimal gegen Covid-19 geimpft. Mit jeder Auffrischungsimpfung sinkt diese Zahl: Etwa 62 Prozent der Bürger haben eine dritte und nur 15 Prozent eine vierte Impfung in Anspruch genommen. Rund 22 Prozent der Bevölkerung sind nicht geimpft.
Was passiert mit abgelaufenen Impfstoffen?
Grundsätzlich gilt, dass abgelaufene Arzneimittel nicht mehr in den Verkehr gebracht und verwendet werden dürfen. So schreibt es das Arzneimittelgesetz vor. Verfallene Corona-Impfstoffdosen werden laut Bundesgesundheitsministerium "sachgerecht und gemäß den nationalen Vorgaben" vernichtet. Impfstoffdosen, die in einem absehbaren Zeitraum ablaufen und nicht verimpft werden, können jedoch gespendet werden.
Die Impfstoffinitative COVAX setzt sich beispielsweise dafür ein, dass Impfstoffe zur Bekämpfung des Coronavirus gerecht aufgeteilt werden – vor allem in einkommensschwachen Ländern. Hauptsächlich über diese Initiative hat die Bundesregierung seit Pandemiebeginn 120,3 Millionen Impfstoffdosen gespendet und ausgeliefert. Das schreibt das BMG auf #Faktenfuchs-Anfrage. Weitere Abgaben seien zudem geplant, so das Ministerium.
Auf der Website des BMG ist hingegen von 146 Millionen gespendeten Impfstoffdosen die Rede, 136 Millionen davon an Covax, rund zehn Millionen "bilateral an sechs Länder." Auf Anfrage des #Faktenfuchs teilt die "Impfallianz" Gavi, Teil von Covax, mit, es seien 112,2 Millionen aus Deutschland gespendet und ausgeliefert worden.
Ist Spenden eine Möglichkeit?
Ob die gespendeten Impfstoffdosen allerdings tatsächlich noch verimpft werden können, ist fraglich. "Das globale Impfstoffangebot übersteigt inzwischen die weltweite Anfrage", antwortete die Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Unionsfraktion Mitte Mai 2022. Aus diesem Grund nehme COVAX bereits ungefähr seit März oder April 2022 nur noch kurzfristig geringe Mengen an Impfstoffspenden an.
Eine Pressesprecherin der Impfallianz Gavi erklärte auf Anfrage des #Faktenfuchs: Die Annahme gespendeter Impfstoffdosen sei von der Nachfrage der Empfängerländer abhängig. Grundsätzlich werden aber noch Spenden, je nach Bedarf, angenommen. Insgesamt 43 Länder wurden bisher mit den Spenden aus Deutschland mit den dringend benötigten Vakzinen unterstützt. Gavi beschreibt Deutschland als einen "soliden Partner, der sich flexibel an die Nachfrage der Empfängerländer anpassen kann".
Wie reagiert die Bundesregierung auf die abgelaufenen Impfstoffdosen?
Trotz aller Bereitschaft zu Spenden laufen in Deutschland zentral gelagerte Impfstoffdosen ab. "Die nationalen Bestände sind hoch und der Bedarf an COVID-19-Impfstoff ist drastisch gesunken", erklärt das Bundesgesundheitsministerium auf #Faktenfuchs-Anfrage. Aus diesem Grund verhandle die Europäische Kommission mit den Impfstoffherstellern über die Änderung der Impfstoff-Mengen, die Deutschland eigentlich noch abnehmen müsste.
Fazit
Im vergangenen und laufenden Jahr sind bislang 36,6 Millionen Impfstoffdosen, die von der Bundesregierung zentral gelagert wurden, "zur fachgerechten Entsorgung bereitgestellt worden." Sie haben ungenutzt ihr Ablaufdatum erreicht. Aktuell sind noch 134 Millionen Impfstoffdosen zentral gelagert, die zwischen Januar 2023 und Februar 2024 ablaufen.
Wichtig ist, zwischen den zentral gelagerten Impfstoffdosen und den vom pharmazeutischen Großhandel an Apotheken oder Ärzte verteilten Impfstoffdosen zu unterscheiden. Wie viele Impfstoffdosen bei Ärzten, Apotheken oder in den Lieferketten verfallen sind, ist nicht bekannt.
Nach Einschätzung von Expertinnen und Experten war die Bestellung der Impfstoffdosen aufgrund der unsicheren Lage gerade zu Beginn der Pandemie nur schwer kalkulierbar. Für zukünftige Liefermengen an Corona-Impfstoffdosen gebe es aus Sicht der Expertinnen und Experten Verbesserungspotenzial.
Für das Jahr 2023 muss Deutschland von verschiedenen Impfstoffherstellern mehrere Millionen Impfstoffdosen abnehmen. Weil aber der Bedarf an Impfungen in Deutschland gesunken ist, versucht die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission nun, die Liefermengen an Impfstoffdosen zu reduzieren oder sogar zu stornieren.
Disclaimer: Der Artikel wurde am 25. Januar 2023 um Angaben des BMG zu den Kosten sowie zum Hersteller der abgelaufenen Impfdosen ergänzt. Außerdem wurde ein Satz über die Menge der an Deutschland gelieferten Impfdosen entfernt. Die in dem Satz genannte Zahl von 223 Mio. Impfdosen bezog sich nicht, wie es im Text hieß, auf die Gesamtliefermenge von Impfdosen an den Bund, sondern lediglich auf die ausgelieferten Impfstoffdosen an Impfzentren, Arztpraxen, Betriebsärzte und Apotheken. Die Aufzählung vor Beginn des Textes wurde ebenfalls angepasst.
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