Darum geht's:
- In einem Artikel berichtete BR24, dass sich die Region Oberfranken zwei- bis dreimal so stark erwärme wie der Rest der Welt. Ein User kritisiert das als Falschbehauptung: Ähnliche Berichte gebe es auch für viele andere Regionen.
- Die Aussage ist trotzdem richtig – denn "der Rest der Welt" bezieht sich auf die globale Durchschnittstemperatur. Diese schließt auch Wasserflächen mit ein. Und Ozeane erwärmen sich langsamer als Landmassen.
- Neben den Wassermassen gibt es weitere Faktoren wie die Schneeschmelze, die Einfluss auf den Grad der Erwärmung haben.
Der Klimawandel hat Auswirkungen – heute schon und auch in Bayern. Er sorgt dafür, dass die Durchschnittstemperaturen steigen. Aber auch dafür, dass extreme Wetterereignisse wie Starkregen, Hitzewellen oder Dürreperioden häufiger werden. BR24 berichtete darüber, dass etwa Landwirte in Oberfranken sich auf immer häufigere Trockenperioden einstellen müssen.
In dem Artikel von April 2023 wurde auch der Bayreuther Mikrometeorologe Christoph Thomas zitiert: "Im weltweiten Schnitt wärmt sich Oberfranken zwei bis dreifach stärker auf als der Rest der Welt." Thomas ist Leiter der Mikrometeorologie-Gruppe an der Universität Bayreuth, die das Klima in Bayreuth genau untersucht.
Einige Leser werteten die Aussage jedoch nicht als Fakt, sondern als Falschnachricht. So postete ein User auf Twitter einen Screenshot von einer Zusammenstellung von Schlagzeilen, laut denen sich auch ganz Europa, die Arktis und der Nahe Osten um ein Vielfaches schneller erwärmten als der Rest der Welt. Er schrieb dazu: "Der alte 'doppelt-so-schnell'-Fake. Leute, lasst euch mal was Neues einfallen."
Grafik: Twitter-Post
Was stimmt nun? Sind die Berichte über all die verschiedenen Regionen, die sich im weltweiten Vergleich besonders schnell erwärmen, tatsächlich ein "Fake"? Oder gibt es dafür eine Erklärung?
Ozeane beeinflussen globale Temperaturveränderung
Die Erklärung gibt es und sie ist sogar relativ einfach, wie Andreas Brömser vom Deutschen Wetterdienst im Interview mit dem #Faktenfuchs erklärt. All die Schlagzeilen sind für sich genommen richtig. Denn sie setzen den lokalen Temperaturanstieg in der jeweiligen Region ins Verhältnis zum globalen Temperaturanstieg. Und der bezieht sich – wie der Name schon sagt – auf den ganzen Planeten, also auch auf Wassermassen. Dazu gleich mehr.
💡 Methodik: Was sind klimatologische Referenzperioden?
Klimaforscherinnen und -forscher nutzen sogenannte klimatologische Referenzperioden, um Klimaveränderungen zu erfassen. Will man etwa untersuchen, wie sich die Temperaturen in einer bestimmten Region innerhalb eines bestimmten Zeitraumes entwickelt haben, wird der Mittelwert der dort gemessenen Temperaturen über einen Zeitraum von meist 30 Jahren gebildet und dann mit dem Mittelwert einer späteren, meist ebenfalls 30-jährigen Periode oder einzelnen Jahren, Monaten oder Tagen verglichen. Verschiedene wissenschaftliche Institute arbeiten allerdings mit verschiedenen Referenzperioden, weshalb auch in diesem Text teilweise unterschiedliche Perioden miteinander verglichen werden.
2022 etwa lag die weltweite Durchschnittstemperatur knapp 0,9 Grad über dem Durchschnittswert der Referenzperiode 1951-1980. Dabei ist aber zu bedenken: Dieser durchschnittliche Anstieg bezieht sich nicht nur auf Temperaturen über Landmassen, sondern auch auf Temperaturen, die über Wasserflächen gemessen werden. Man könnte sogar sagen: Vor allem auf Temperaturen über Wasserflächen, denn mehr als 70 Prozent der Erde sind mit Wasser bedeckt.
Landmassen erwärmen sich schneller als Ozeane und Meere
Wasser erwärmt sich jedoch langsamer als Land, weil es viel mehr Energie benötigt, um sich aufzuheizen. Man kann sich das am Beispiel einer Herdplatte vorstellen: Obwohl die Herdplatte schnell warm wird, braucht das Wasser im Topf ziemlich lange, bis es kocht.
Daraus ergibt sich, dass sich auch die Temperaturen über Landmassen viel schneller erwärmen als die über Wassermassen. Im Vergleich zur klimatologischen Referenzperiode 1951-1980 war es über dem Land im Jahr 2022 im Durchschnitt etwa 1,3 Grad wärmer. Die Erwärmung über den Landflächen ist damit mehr als doppelt so stark wie über den Ozeanen, wo sie im Jahr 2022 "nur" 0,6 Grad betrug.
Grafik: Abweichung der jährlichen Durchschnittstemperaturen
Verschiedene Erdregionen erwärmen sich unterschiedlich stark
Die globale Verteilung von Wasser und Land hat auch Auswirkungen darauf, wie sehr die Temperatur in bestimmten Regionen steigt: Dort, wo besonders viel Wasser vorhanden ist, steigen die Temperaturen langsamer. Dort, wo mehr Landmassen zu finden sind, steigen sie schneller.
In Deutschland war das Jahr 2022 das sonnenreichste seit Beginn der Aufzeichnungen 1951 und dadurch auch besonders warm. Der Vergleich der Werte des Deutschen Wetterdienstes (DWD) ergibt, dass es 2022 sogar mehr als 2,3 Grad wärmer war als durchschnittlich zwischen 1951 und 1980.
Um solche "Ausreißer-Jahre" nicht zu stark zu gewichten, sei es wichtig, die langfristigen Erwärmungstrends für die Einschätzung des Klimawandels zu betrachten, erklärt Andreas Brömser vom DWD. Die nachfolgende Grafik vergleicht deshalb die Durchschnittstemperatur der zwei jüngeren Klima-Referenzperioden von 1961-1990 und 1991-2020 miteinander. Diese beiden Perioden werden von Klimaforschern aktuell häufig herangezogen, um aktuelle Klimaentwicklungen zu messen. Die Grafik basiert auf Oberflächentemperatur-Daten von Messstationen und Meeresgebieten.
Grafik: Veränderung der Durchschnittstemperatur (1991-2020)
Und hier wird deutlich: Nicht nur Landmassen insgesamt - sondern auch bestimmte Regionen der Erde erwärmen sich deutlich schneller als andere. Drei Beispiele:
Nordhalbkugel: Zum Beispiel fällt auf, dass sich die Nordhalbkugel – die aus viel Landmasse besteht – insgesamt bereits deutlich stärker erwärmt hat als die Südhalbkugel, auf der es mehr Wasser gibt. So war das Jahr 2022 auf der Nordhalbkugel, auf der auch Deutschland liegt, rund 1,2 Grad wärmer als die Durchschnittstemperatur der Referenzperiode 1951-1980 – auf der Südhalbkugel waren es "nur" 0,6 Grad.
Neben der Wasser-Land-Verteilung trage auch noch ein anderer Effekt dazu bei, erklärt Georg Feulner, Experte für Erdsysteme am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK): Rings um die Antarktis etwa (die Landmasse am Südpol) verliefen ozeanische und atmosphärische Strömungen, die den Kontinent ein Stück weit vom Rest des Planeten "abkoppelten". Sie sorgen dafür, dass sich die Antarktis nicht so stark erwärmt wie etwa die Arktis (die Region rund um den Nordpol) – was wiederum auch Einfluss auf den durchschnittlichen Anstieg der Temperaturen auf der ganzen Südhalbkugel hat.
Arktis und nördliches Nordamerika: Besonders schnell steigen die Temperaturen hingegen rund um den Nordpol, im nördlichen Nordamerika und auf Grönland. Georg Feulner vom PIK erklärt das unter anderem mit der sogenannten Eis-Albedo-Rückkopplung: Früher habe das Eis der Arktis viel Sonnenlicht ins All reflektiert. Seit das Eis aufgrund der höheren Temperaturen schmilzt, wird auch weniger Sonnenlicht reflektiert. Der dunkle Boden bzw. das dunkle Meer, das darunter zum Vorschein kommt, verschluckt mehr Sonnenlicht und wärmt sich stärker auf als zuvor. Da die Region vorher besonders kalt war, ist nun auch der Unterschied besonders groß. Dieser Effekt ist als "arktische Verstärkung" bekannt. Je nachdem, welche Zeiträume man miteinander vergleicht, sind die Temperaturen hier drei- oder sogar viermal so stark gestiegen wie im Rest der Welt.
Gebirgsregionen: Ein ähnlicher Effekt sei generell auch in Gebirgsregionen in anderen Teilen der Welt zu beobachten, sagt Feulner. Wenn weniger Schnee fällt und/oder Gletscher abschmelzen, dann werde weniger Sonnenlicht zurück ins All reflektiert. Der dunklere Boden komme zum Vorschein und wärme die Region schneller auf als das tiefer gelegene Flachland. Diese Entwicklung lässt sich zum Beispiel in den Alpen beobachten, aber auch in Tibet und anderen Gebirgsregionen.
Besonders starker Anstieg in den vergangenen 60 Jahren
Und wie sieht es aus in Oberfranken, das den Anlass zu diesem Faktencheck gegeben hat? Stimmt es, dass die Temperaturen dort zwei- bis dreimal so stark stiegen wie im Rest der Welt? In Oberfranken treffen gleich mehrere dieser geographischen Einflussfaktoren zu. "Oberfranken hat weder große Wasserflächen, noch liegt es nahe am Meer", schreibt Christoph Thomas, der Professor für Mikrometerologie an der Universität Bayreuth, dessen Aussage die Diskussion ausgelöst hatte, dem #Faktenfuchs per Mail .
Thomas bezieht sich bei seiner Aussage auf die Entwicklung der bodennahen Temperaturen in den vergangenen 60 Jahren am Standort Bayreuth: "Bayreuth steht hier für Städte in Tal-Lagen, in denen viele Menschen in Oberfranken wohnen." Der Forscher hat bewusst diesen Zeitraum gewählt, da sich die Erwärmung ab Anfang der 1960er-Jahre stark beschleunigt hat. Im Vergleich zur mittleren Jahrestemperatur zu Beginn der 1960er Jahre (1958-1962) stieg die Temperatur in Bayreuth bislang um 2,46 Grad.
Thomas erklärt, wie er zu seiner Aussage kommt: Die "Erwärmungsrate" - also wie sehr sich eine bestimmte Region in einem bestimmten Zeitraum erwärmt - wird von Forschenden in Grad Celsius pro 100 Jahre angegeben. Um diese Rate für Bayreuth zu berechnen, werden die 2,46 Grad durch 60 Jahre geteilt und mit 100 Jahren multipliziert. Das Ergebnis: Bayreuth erwärmte sich in den vergangenen 60 Jahren mit einer mittleren Erwärmungsrate von 4,1 Grad pro 100 Jahre – im Vergleich zu 1,6 Grad pro 100 Jahre im weltweiten Durchschnitt. Demnach erwärmt sich Bayreuth 2,6 Mal so schnell wie der Rest der Welt.
Erwärmung in ganz Deutschland ähnlich
"Wie Sie aber auch sehen, sind wir in Oberfranken damit nicht allein", schreibt Thomas weiter. "Auch der Standort Hohenpeißenberg in Oberbayern [...] zeigt dieselbe Erwärmungsrate in Grad Celsius pro 100 Jahre. Mein Kollege in Bamberg sieht ähnliche Zahlen." Auch Andreas Brömser vom Deutschen Wetterdienst (DWD) versichert dem #Faktenfuchs im Gespräch: Oberfranken unterscheide sich bezüglich seiner Erwärmung nicht wesentlich vom Rest Deutschlands.
Das wird auch auf der folgenden Deutschland-Karte deutlich. Dafür wurden die Durchschnittstemperaturen der beiden Referenzperioden 1961-1990 und 1991-2020 miteinander verglichen. Innerhalb von Deutschland unterscheidet sich die Erwärmung kaum. Besonders dunkle oder helle Flecken kommen laut DWD-Experte Brömser in den meisten Fällen dadurch zustande, dass der Deutsche Wetterdienst neue Messstationen eingerichtet oder alte verlegt hat. Die Berechnung der Werte sei zudem in gebirgigem Gelände schwieriger. Deshalb seien die Flecken im flachen Norddeutschland weniger stark ausgeprägt.
Grafik: Veränderung der Durchschnittstemperatur (1991-2020)
Experte: Vergleich trotzdem sinnvoll
Doch wenn es so viele Regionen auf der Welt gibt, die sich schneller erwärmen als der sogenannte Rest der Welt – wie aussagekräftig sind dann solche Aussagen überhaupt? Georg Feulner vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hält sie durchaus für sinnvoll: Weil viele Menschen eine bestimmte Erhöhung der globalen Mitteltemperatur "automatisch in eine entsprechende Erwärmung an Ihrem Wohnort" übersetzen würden. Eben dies sei aber "potentiell verharmlosend". Denn die meisten Menschen lebten auf großen Landmassen, über denen die Temperaturen deutlich stärker gestiegen seien als das globale Mittel vermuten lässt. Es sei allerdings wichtig, vergleichende Aussagen anhand von Hintergrundinformationen richtig einzuordnen.
Fazit: Tatsächlich erwärmt sich Bayreuth, stellvertretend für Oberfranken, etwa zwei- bis dreimal so schnell wie der Rest der Welt. Die Grundlage für diese Aussage ist die sogenannte Erwärmungsrate, die den Temperaturanstieg auf 100 Jahre hochrechnet. Dieser fällt im Rest der Welt vor allem deshalb deutlich geringer aus, weil "der Rest der Welt" auch viele Wassermassen beinhaltet. Und Wasser erwärmt sich wesentlich langsamer als Land. Die Aussage ist also richtig – trifft aber auch für viele andere vergleichbar gelegene deutsche Städte zu.
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