In der ersten Runde der Wahlen des französischen Parlaments liegt der extrem rechte Rassemblement National vorne.
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Marine Le Pen (M), Vorsitzende der rechtsextremen Partei Rassemblement National (RN).

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Frankreich: Das richtige Pokerspiel beginnt

In der ersten Runde der Wahlen des französischen Parlaments liegt der extrem rechte Rassemblement National vorne. Allerdings weiß noch niemand, wie die Nationalversammlung nach den Stichwahlen am Sonntag aussehen wird. Eine Analyse.

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Frankreich hat gewählt und eigentlich… sind die meisten so schlau wie vorher. Der "extrem rechte" (offizielle Bezeichnung des obersten Verwaltungsgerichtshofs Conseil d’État) Rassemblement National steht mit rund 33 Prozent der Stimmen landesweit unangefochten an der Spitze. Darin sind auch die Stimmen für die Kandidaten des Noch-Vorsitzenden der konservativen Republikaner Éric Ciotti enthalten, der eine Allianz mit dem RN geschlossen und damit seine Partei gespalten hatte.

Auf dem zweiten Platz, mit rund 28 Prozent, liegt das Linksbündnis Nouveau Front Populaire. Abgeschlagen auf dem dritten Platz, jedoch ein wenig besser als in Umfragen erwartet, kommt der Zentrumsblock Ensemble ins Ziel, der in den vergangenen sieben Jahren regierte.

Mit 65,8 Prozent lag die Wahlbeteiligung mehr als 18 Prozentpunkte über der vor zwei Jahren und fast auf dem Niveau von 1997.

RN legt in fast jeder Wählerkategorie zu

Staatspräsident Emmanuel Macron hatte vor drei Wochen nach einer herben Schlappe bei der Europawahl das Parlament aufgelöst und dessen Neuwahl ausgerufen. Er selbst steht nicht zur Wahl. Seine Amtszeit endet im Jahr 2027 und er darf nach zwei Mandaten in Folge nicht erneut antreten. Viele aus dem linken, dem republikanischen und sogar seinem eigenen Lager kritisierten seine Entscheidung. Er setze ohne Not die Zukunft Frankreichs aufs Spiel und baue dem Rassemblement National quasi eine Autobahn nach Matignon, wie der Amtssitz des Premierministers genannt wird. Macron selbst argumentierte, ihm sei nach der Europawahl keine andere Option geblieben, als die Franzosen um eine Klarstellung zu bitten.

Der Trend des Ergebnisses der Europawahl setzte sich auch bei der Wahl der Nationalversammlung fort. Der Spitzenkandidat des RN, der 28-jährige Parteivorsitzende Jordan Bardella, findet großen Anklang. Nahezu genauso viele Frauen wie Männer wählen die Partei. Der RN ist weit vorne bei Arbeitern (57 Prozent) und Angestellten (44 Prozent), wie aus den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Ipsos hervorgeht.

Mittlerweile genießt der Rassemblement National aber auch große Zustimmung in Milieus, die ihm früher immer versperrt waren. So hat die Partei den Spitzenplatz bei Rentnerinnen und Rentnern (31 Prozent) erobert. Bei den Führungskräften liegen zwar das Linksbündnis Nouveau Front Populaire und Ensemble noch vor ihm, doch selbst in dieser Kategorie stimmten 21 Prozent für den RN. Die Erzählung, die extrem rechte Partei gründe ihren Erfolg auf den Stimmen der Enttäuschten und Abgehängten, reicht nicht aus, um das Ergebnis zu erklären. Mehr als 10,5 Millionen Französinnen und Franzosen wählten ihre Kandidaten. Fast drei Millionen mehr als noch vor drei Wochen bei der Europawahl, sechs Millionen mehr als vor zwei Jahren.

Auch nicht das Land-Stadt-Gefälle erklärt den Erfolg des RN

Die Hochburgen des Rassemblement National sind weiterhin im unter der Deindustrialisierung leidenden Norden und in der Provence, wo die Themen Sicherheit und Migration traditionell hohe Bedeutung haben. Der RN bleibt abgeschlagen im Großraum Paris, entweder hinter Kandidaten des Nouveau Front Populaire oder des bisherigen Regierungsbündnisses Ensemble. Dennoch ist es nicht so, wie oft vereinfacht beschrieben, dass die ruralen Gegenden extrem rechts wählen, die Städte wiederum nicht.

Ja, in den Städten und Dörfern mit weniger als 2.000 Einwohnern holt der Rassemblement National im Schnitt 40 Prozent. Doch bei Städten bis zu 200.000 Einwohnern liegt die Partei auch vor allen anderen (34 Prozent). Im Wahlkreis, in dem Straßburg liegt, die Stadt des Europäischen Parlaments und Symbol der deutsch-französischen Aussöhnung am Rhein, holte die RN-Kandidatin Virginie Joron 21,2 Prozent der Stimmen. In Marseille, vom Rapper Soprano einst als "Cosmopolitanie" beschrieben, liegt die extreme Rechte in fünf von sieben Wahlkreisen vorne. Noch deutlicher ist das Bild in Nizza. Auch in reichen Gegenden wie dem Burgund, bekannt für den Weinbau, oder Cognac, führt der Rassemblement National. Und das, obwohl diese Regionen massiv vom Export und den Hilfen der Europäischen Union abhängig sind.

Was die Demoskopen auch klarmachen: Bei der Wahlentscheidung ging es den Wählern nicht nur darum, gegen jemanden zu sein. Viele wählten aus Überzeugung, egal wessen Anhänger sie waren.

Nun geht das Taktieren los

Trotz allem ist noch nicht absehbar, welche Gestalt das neue Parlament annehmen wird. Zwar haben schon 76 Kandidaten eine absolute Mehrheit in ihrem Wahlkreis errungen (RN: 39, NFP: 31) und dürfen damit schon Büromaterial für ihren Arbeitsplatz bestellen, doch in den restlichen 501 Wahlkreisen finden noch Stichwahlen statt. Nun ist die Frage, welche Bündnisse geschmiedet werden. Denn in rund 300 Wahlkreisen könnte es zu sogenannten "triangulaires"kommen, sprich zu Stichwahlen mit drei Bewerbern.

Vor einigen Jahren, als die großen Parteien links und rechts der Mitte (Sozialisten und Gaullisten) die stärksten Kräfte der Republik waren, zogen die jeweils schlechter platzierten Parteien ihren Kandidaten zurück, um zu verhindern, dass der Front National (später Rassemblement National) mehr Abgeordnete in die Nationalversammlung entsenden kann. Diese Zweckbündnisse wurden auch front oder barrage républicain genannt.

Der Gründer der linkspopulistischen Partei La France Insoumise (Unbeugsames Frankreich), Jean-Luc Mélenchon, kündigte an, obwohl kein Parteiamt mehr inne, dass sich seine Kandidaten zurückziehen werden, falls sie in einem Wahlkreis auf dem dritten Platz liegen und einen RN-Abgeordneten so verhindern können: "Keine einzige Stimme mehr für den RN", sagte der mehrfache Präsidentschaftskandidat. Auch die anderen linken Parteien, die dem Nouveau Front Populaire angehören (Sozialisten, Grüne und Kommunisten) riefen ihre Kandidaten zu diesem Schritt auf.

Unterschiedliche Signale aus dem Macron-Lager

Im bisherigen Regierungslager, vereinfacht gesagt dem Zentrumsblock, ist die Lage nicht so eindeutig. Problematisch wäre nicht, sozialistische und grüne Vertreter zu unterstützen, sondern Mitglieder von La France Insoumise. Nicht nur Mandatsträger, sondern auch rund die Hälfte der Bevölkerung sieht in Mélenchon und seinen Unbeugsamen eine Gefahr für die Demokratie. LFI-Abgeordnete machten in den vergangenen zwei Jahren durch mehrere Eklats auf sich aufmerksam. Einige ihrer Abgeordneten werden mit Antisemitismusvorwürfen konfrontiert, darunter auch Mélenchon selbst. Dem Gründer der Partei wird außerdem häufig unterstellt, er wolle einen wirklichen Umsturz der Republik anzetteln. Diese These teilen nicht nur politische Gegner, sondern auch Politikjournalisten und Wissenschaftler.

Die konservativen Republikaner, die sich gegen die Allianz mit dem RN wehrten, wollen allgemein keine Wahlempfehlungen aussprechen. Die Zentrumspartei MoDem und die vom ehemaligen Premierminister Édouard Philippe gegründete Partei Horizons möchten die "republikanischen" Kräfte im Land unterstützen. Damit sind Vertreter der Sozialisten, Grünen und Republikaner gemeint, jedoch nicht von La France Insoumise. Premierminister Gabriel Attal aus Macrons Partei Renaissance öffnete einen größeren Spielraum. Er stellte seinen Kandidaten frei, ob sie sich zurückziehen wollen oder nicht. Oberstes Ziel sei es, den Rassemblement National daran zu hindern, das Land zu regieren. Im Département Somme etwa rief die Ensemble-Kandidatin dazu auf, in der Stichwahl den LFI-Kandidaten François Ruffin zu wählen. Ruffin ist allerdings einer der wenigen Gegner Mélenchons in dessen Partei und bezeichnete diesen sogar einmal als "Sektenführer".

Macron im Abseits

Unklar ist außerdem, wie erfolgreich derlei Wahlaufrufe sein werden. Bei der vergangenen Parlamentswahl funktionierte der barrage républicain jedenfalls nicht mehr, wie der Ifop-Demoskop Jérôme Fourquet erklärte. Bei 110 Duellen zwischen RN- und Ensemble-Kandidaten setzte sich 55 Mal die extreme Rechte durch. Viele linke Wähler sind dermaßen von Macron und dessen Regierung enttäuscht, dass sie sich nicht dazu überwinden können, deren Vertreter zum Sieg zu verhelfen. Umgekehrt gilt dasselbe für Anhänger des Präsidenten, die ihre Stimme niemals einem linken Vertreter geben wollen.

Präsident Macron selbst schrieb in einem Brief, es müsse nun "zu einem breiten, klar demokratischen und republikanischen Zusammenschluss" gegen den Rassemblement National kommen. Zwar rätselten einige darüber, wen dieser einschließt und wen nicht. Allerdings war bemerkenswert, dass so wenig über die Wortmeldung des Präsidenten diskutiert wurde. Macron scheint im Abseits der politischen Debatte zu stehen.

Die erste Runde der Parlamentswahlen haben klar die Rechtsnationalen gewonnen.
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Die erste Runde der Parlamentswahlen haben klar die Rechtsnationalen gewonnen.

Im Audio: Rechtsruck in Frankreich – Baerbock: "Kann keinen kaltlassen"

Wahlschlappe für die liberale Ensemble-Gruppierung von Präsident Emmanuel Macron.
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Wahlschlappe für die liberale Ensemble-Gruppierung von Präsident Emmanuel Macron.

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