Das Urteil kommt zu einem besonderen Zeitpunkt: Erst am Wochenende hatte sich die AfD auf ihrem Parteitag in Essen darum bemüht, sich als regierungsfähig zu präsentieren, Querelen und Skandale möglichst hinter sich zu lassen. Nur einen Tag später geht es am Verwaltungsgericht in München um die Frage, ob der bayerische Verfassungsschutz die gesamte Partei beobachten und darüber die Öffentlichkeit informieren darf.
Die Vertreter des bayerischen Landesvorstands, Tobias Teich und Georg Hock, geben sich unbeeindruckt. Alleine sitzen sie in der ersten Reihe im Verhandlungssaal. Die AfD-Anwälte sind gar nicht mehr erschienen. Man müsse auch nicht auf sie warten, lassen sie den Vorsitzenden Richter Michael Kumetz, wissen. Dabei hat das Urteil, das Kumetz gleich sprechen wird, mehrere Konsequenzen für AfD-Mitglieder.
Mehr als 50 volle Aktenordner mit Belegen
Der Vorsitzende Richter sagt: Die 30. Kammer des Verwaltungsgerichts München sehe tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass innerhalb der AfD verfassungsfeindliche Bestrebungen bestehen. Drei Tage hatte die mündliche Verhandlung zuvor gedauert. Es ging um tausende Seiten Belege in mehr als 50 Aktenordnern: öffentliche Äußerungen von Parteimitgliedern und Funktionsträgern, Posts in den sozialen Medien, Chatnachrichten.
Den "totalen Symstemwechsel" oder die "Wiedereinführung der Todesstrafe" haben AfD-Mitglieder zum Beispiel gefordert, ein Bild von einem Flüchtlingsboot gepostet und es als "Invasorentaxi" bezeichnet. Oder sie versahen Posts mit dem Hashtag "#Sellner" – spielten also auf den Kopf der als rechtsextremistisch eingestuften Identitären Bewegung an. Die Richter haben all diese Belege gesichtet und ausgewertet.
Richter weisen die Klage der AfD ab
Ihr Fazit: Äußerungen von Vertretern der AfD ließen erkennen, dass ein "Bedrohungs- und Schreckensszenario mit Blick auf Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen muslimischen Glaubens" aufgebaut werde. In anderen Äußerungen sah das Gericht ein "ethnisch-biologisches Volksverständnis", das darauf abziele, deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund auszugrenzen – und zwar auf eine Weise, die die Menschenwürde verletze. Und das Gericht urteilt: Manche Äußerungen gingen über das hinaus, was zulässige oppositionelle Kritik an der Regierung sei.
Das Ergebnis deswegen: Die Klage des bayerischen AfD-Landesverbands gegen den Freistaat Bayern, vertreten durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz, wird abgewiesen. Die Verfassungsschützer dürfen die AfD als Gesamtpartei beobachten und in sachlicher Weise darüber informieren. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Auswirkungen bei der Zuverlässigkeitsprüfung
Ein schlüssiges Urteil, sagen der Verfassungsrechtler Josef Franz Lindner von der Universität Augsburg und Mark Zöller, Geschäftsführer des Instituts für Digitalisierung und das Recht der Inneren Sicherheit an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Und ein Urteil, das direkte Konsequenzen für Mitglieder der AfD habe.
Bei allen Formen der Zuverlässigkeits- und Sicherheitsüberprüfung werde das Urteil Probleme bereiten, sagt Zöller, beispielsweise bei Waffen- und Pilotenlizenzen oder bei sicherheitsrelevanten Tätigkeiten. "Da muss man eine sogenannte Sicherheitserklärung angeben. Und dann gibt es einen Katalog von Dingen, die man da reinschreiben muss, unter anderem eben auch eine Verbindung zu bestimmten extremistischen Bestrebungen."
Im Einzelfall könnte das Urteil auch Konsequenzen für Beamte haben, sagt Josef Franz Lindner bei BR24live. Es gebe zwar keinen Automatismus. Aber: Der Dienstherr könne das Urteil und die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz zum Anlass nehmen, sich der Verfassungstreue des Beamten zu vergewissern. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagt dem BR dazu: Man müsse sorgfältig prüfen, was das Urteil für die Einstellung im öffentlichen Dienst zur Folge habe.
Kommen bald V-Leute?
Hinzu kommt: Der bayerische Verfassungsschutz wird die AfD nun wohl noch intensiver in den Fokus nehmen. Auch im Prozess betonte das Landesamt noch einmal, bis zum Vorliegen der Urteilsgründe darauf zu verzichten, nachrichtendienstliche Mittel einzusetzen. Das sind zum Beispiel Observationen, der Einsatz von V-Leuten und auch Abhörmaßnahmen. Was nach der Urteilsbegründung ist, ließ der Verfassungsschutz offen. In seiner Beobachtungserklärung hatte er aber schon vor zwei Jahren betont, die AfD auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten zu wollen.
Die Belege, die der Verfassungsschutz weiter sammeln wird, werden sicherlich auch in der politischen Diskussion über den Umgang mit der AfD eine Rolle spielen. Die Grünen-Fraktionschefin im Landtag, Katharina Schulze, fordert, ein Parteiverbot zu prüfen. Die Sprecherin im Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus der SPD-Landtagsfraktion, Anna Rasehorn, sagt: Ein Verbot der AfD müsse weiter forciert werden. Bayerns Innenminister Herrmann hält das noch für verfrüht.
AfD beklagt Einschränkung der politischen Meinungsfreiheit
Und was sagt die AfD? Nur kurz nach der Urteilsverkündung äußert sich der bayerische Landesvorsitzende Stephan Protschka in einer Pressemitteilung: "Diese Entscheidung stellt aus unserer Sicht eine Einschränkung der politischen Meinungsfreiheit dar." Man werde sich "gegen jede Form der Diskriminierung" wehren.
Ansonsten sieht Protschka einen Teilerfolg. Denn der Verfassungsschutz müsse eine Pressemitteilung entschärfen, "da die sich darin befindenden Aussagen nicht der Tatsache entsprechen". Und: Das Verwaltungsgericht habe entschieden, dass die AfD Bayern "weder antisemitisch noch queerfeindlich ist". Allerdings: Zu beiden Aspekten hat das Verwaltungsgericht gar nicht entschieden. Verfassungsschutz und AfD hatten sich bereits während des Verfahrens darauf geeinigt, den Streit über die Pressemitteilung für erledigt zu erklären. Die Richter mussten also gar nicht mehr inhaltlich entscheiden. Und die Frage nach Antisemitismus und Queerfeindlichkeit spielte während des Verfahrens keine Rolle.
AfD spricht von Einzelmeinungen
Auch der stellvertretende Vorsitzende der bayerischen AfD, Tobias Teich, ging nach der Urteilsverkündung kaum auf einzelne Vorwürfe ein: Ein ethnisch-biologischer Volksbegriff? "Ich kann das nur aufs Schärfste von uns weisen." Denn in der AfD gebe es Exil-Iraner, Menschen aus Kirgistan, dem Vietnam, manche hätten ausländische Ehepartner.
Und die Äußerungen, die der Verfassungsschutz als Belege anführt? Jeweils "eine Einzelmeinung".
Dass das Gericht sagt, es handele sich nicht nur um "einzelne verbale Entgleisungen"? Dass das Gericht es nicht für glaubwürdig hält, wie sich die AfD von den Äußerungen distanziert? "Ich kann nur weiterhin betonen: Sofern wir Kenntnis über irgendeinen Vorfall erhalten, können wir uns der Sache annehmen und gegebenenfalls Schritte einleiten."
Profitiert die AfD am Ende?
Wer sich innerhalb der AfD umhört, vernimmt vor allem eines zu dem Urteil: Es mache keinen Unterschied. Den Wählern sei es schon längst egal, ob der Verfassungsschutz die AfD beobachte oder nicht, sie wollten eine andere Politik. Andere gehen sogar so weit, dass sie sagen: Die AfD profitiere von der Beobachtung.
Tatsächlich hat die AfD in den jüngsten Wahlen stets zugelegt - auch, wenn sie bei der Europawahl hinter ihren Erwartungen zurückgeblieben ist. Bei rund 20 Prozent stand die Partei in Umfragen zu Beginn des Jahres. Am Ende wurden es bundesweit rund 16 Prozent bei der Europawahl, in Bayern knapp 13. Ob die Beobachtung durch den Verfassungsschutz dabei eine Rolle gespielt hat: unklar. Aber laut dem Forschungsinstitut Infratest dimap geben 82 Prozent der AfD-Anhänger an: Es sei ihnen egal, dass Teile der AfD als rechtsextrem gelten.
Während der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht war die Partei dennoch auffallend ruhig, zog ihre mehr als 400 angekündigten Beweisanträge zurück. Die öffentliche Diskussion über Belege hat sie auf diese Weise abgekürzt.
AfD will die nächsten rechtlichen Schritte prüfen
In den nächsten Wochen wird das Gericht die schriftliche Urteilsbegründung verschicken. Dann können die Parteien ihre nächsten Schritte besprechen. Der bayerische AfD-Landesverband kündigte heute bereits an, in Berufung gehen zu wollen. Über deren Zulassung müsste dann der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entscheiden.
Im Video: Das BR24live zur Gerichtsentscheidung über die Beobachtung der AfD
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