Hoffnung – aber auch Trauer und Bestürzung: Dieses Wechselbad der Gefühle hat der Hofer Arzt Marwan Khoury erlebt. Zum ersten Mal seit Beginn des Bürgerkriegs vor 15 Jahren konnte er wieder in sein Geburtsland Syrien reisen.
Er kam als Präsident der "Syrischen Demokratischen Allianz" (SDA). Diese 2023 in Berlin gegründete Allianz sei wohl derzeit das größte demokratische Bündnis Syriens, bestehend aus rund 70 Parteien und Menschenrechtsorganisationen.
Menschen in Syrien feiern Freiheit
Die Stimmung in Syrien nach dem Sturz des Assad-Regimes sei gelöst, so der SDA-Präsident. Er habe tanzende Menschen auf den Straßen gesehen: "Überall herrscht Euphorie. Nach 50 Jahren Diktatur ist die Freude groß. Die Menschen haben keine Angst mehr."
Unter Assad habe schon ein kritisches Wort gereicht, um im Gefängnis zu landen und getötet zu werden. Khoury, der in der Opposition aktiv war und das Land in den 80er-Jahren verlassen hat, erinnert an die jetzt entdeckten Massengräber. Menschenrechtsorganisationen gehen von rund 200.000 Vermissten aus.
Schutthaufen kilometerlang
Genauso schockiert ist Khoury vom Zustand des Landes: "Wir sind kilometerlang an Schutthaufen vorbeigefahren. Häuser, Krankenhäuser, Straßen – so viel zerstört." Die Menschen hätten nur zwei Stunden Strom am Tag. Die Infrastruktur müsse komplett neu aufgebaut werden.
Bei seiner achttägigen Reise durch verschiedene Regionen habe er eine große Aufbruchstimmung gespürt. "Die Menschen wollen das Land wieder aufbauen. Nicht nur die Gebäude – ich habe auch Sehnsucht nach Demokratie gespürt." Seiner Meinung nach machen die Demokraten einen großen Teil der syrischen Bevölkerung aus. Als Präsident der neuen Allianz hat er in Damaskus ein Büro eröffnet, weitere sollen in anderen Städten folgen.
So wolle man noch mehr Menschen für die Ziele der SDA begeistern: Menschenwürde, Frauenrechte, ein Ende des Systems der Angst. Der Rechtsstaat solle für alle gelten. Die SDA wolle mithelfen, die tiefe Spaltung des Landes zu überwinden: "Egal ob Schiiten, Sunniten, Drusen, Christen, wir sind alle Syrer."
SDA-Übergangspräsident aus Franken
Khoury, der in Hof ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) mit rund 100 Mitarbeitenden betreibt, sieht sich selbst als Übergangspräsident der SDA und ist zuversichtlich, dass die Menschen im Land bald selbst die Leitung übernehmen. Er geht davon aus, dass in wenigen Monaten eine nationale Konferenz für eine Übergangsregierung einberufen wird, die dann in den nächsten zwei, drei Jahren die neue Verfassung erarbeite. Da werde sich die SDA einbringen.
Kontakt zu neuen syrischen Machthabern
Die SDA habe auch Kontakte zu den neuen Machthabern der islamistischen Gruppierung HTS, die Assad gestürzt hat. Man sei mit Beratern und Ministern des neuen Präsidenten Ahmed al-Sharaa im Gespräch. Die SDA habe ihn auch für ein Treffen mit Khoury angefragt, doch keine Antwort erhalten. Das sei aber nichts Ungewöhnliches in einer solchen Umbruchphase. Bislang gebe sich der HTS-Führer gemäßigt. Man sehe zum Beispiel auf den Straßen nach wie vor unverschleierte Frauen, so Khoury.
Eine Million Kinder waren nicht in der Schule
Eine Sorge treibt den 68-Jährigen besonders um: Viele Schulen sind zerstört. Rund eine Million Kinder und Jugendliche hätten wegen des Bürgerkriegs keine Bildung bekommen. Das sei eine große Herausforderung. Beim Wiederaufbau von Infrastruktur hofft die SDA auf Unterstützung westlicher Regierungen. Und die Syrer selbst würden mit Hand anlegen, egal ob sie im Land oder verstreut auf der Welt leben, sagt der Hofer Arzt. Er hat zu Beginn des Bürgerkriegs die Barada-Syrienhilfe gegründet, die weiterhin aktiv ist. Sie hat Schulen in Flüchtlingslagern aufgebaut, Milchpulver und medizinische Hilfsgüter etwa ins belagerte Aleppo gebracht.
Kraft für ehrenamtliches Engagement
Die Aktiven des Demokratie-Bündnisses SDA kümmern sich ehrenamtlich um den humanitären und politischen Wiederaufbau. "Wir haben lang gekämpft für die Demokratie in Syrien, wir wollen nicht, dass dies jetzt verloren geht, wo endlich eine Chance besteht", fasst Marwan Khoury die Stimmung in der Allianz zusammen. In sechs Wochen will er wieder nach Syrien reisen.
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