Um das Grauen irgendwie greifbar zu machen, nutzten Ex-Häftlinge für das Militärgefängnis Saidnaya in Syrien bald einen besonderen Spitznamen: "Schlachthaus". Wie wohl kein anderes Gebäude im Land ist es zum Symbol geworden für den blanken Horror aus Zeiten der nun gestürzten Regierung von Baschar al-Assad. Auf "industriellem Maßstab" sollen Assads Offiziere hier und in anderen Gefängnissen gefoltert und getötet haben.
Nach der Blitzoffensive der Aufständischen, angeführt von der Islamistengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS), kommen aus Saidnaya jetzt Tausende Menschen frei. Die Zivilschützer von den Weißhelmen schätzen, dass 20.000 bis 50.000 Häftlinge an nur einem Tag aus dem Gebäudekomplex nördlich der Hauptstadt Damaskus gerettet wurden. Laut dem Leiter der Weißhelme, Raid al-Saleh, sollen insgesamt rund 150.000 Menschen in dem Gefängnis inhaftiert gewesen sein, darunter viele unschuldige Zivilisten.
Mit der Befreiung kommen neue Details ans Licht zu den Zuständen in Saidnaya, wo nach Schätzungen der Weißhelme wohl jeden Tag 50 bis 100 Menschen hingerichtet und dann in Öfen verbrannt wurden.
Suche nach Angehörigen in befreitem Militärgefängnis
Für die Angehörigen beginnt nun eine fieberhafte Suche nach Hinweisen zu inhaftierten oder verschwunden Verwandten, von denen sie Jahre oder Jahrzehnte nichts gehört haben. Mohammed Abel Asis, der aus Aleppo nach Damaskus gekommen ist, suchte in Saidnaya etwa nach seinem Vater. Als die Sicherheitskräfte diesen im Jahr 2000 verhafteten, war Mohammed sieben Jahre alt. "Wir haben nach einem Funken Hoffnung gesucht", sagt er, vergeblich.
Viele Menschen hielten es für denkbar, dass einige Häftlinge noch immer in verschlossenen Zellen und Geheimräumen festsaßen. Mithilfe von Spürhunden und Insidern, die mit dem Gefängnis vertraut seien, durchkämmten fünf Teams den gesamten Komplex, so die Weißhelme. Weitere Bereiche wurden nicht gefunden, die Suche nach den vermissten Opfern des Machtapparats gehe dennoch weiter, hieß es.
Einige, die mit leeren Händen vom Gefängnis heimkehren, halten danach symbolische Beerdigungen und Trauerfeiern ab, für ihre wohl für immer verlorenen Angehörigen, wie Augenzeugen berichten.
Grausame Foltermethoden in Saidnaya
Die Methoden der Offiziere von Armee und Sicherheitsbehörden müssen so brutal gewesen sein, dass der Jurist und frühere UN-Chefankläger David Crane, der Folterbilder des syrischen Überläufers "Caesar" sichtete, sie mit der Nazi-Herrschaft verglich. 2014 sprach er von "Tötungen auf industriellem Maßstab".
Der Organisation Amnesty International zufolge gab es in Saidnaya einen Raum mit 30 Schlingen, um Häftlinge zu erhängen, und nach Angaben der US-Regierung ein Krematorium neben dem Hauptgebäude, um Leichen zu verbrennen. Auch Weißhelme-Leiter Raid al-Saleh sagt, er und sein Team hätten Leichen in Öfen entdeckt.
Zehntausende Menschen hingerichtet
Überlebende und frühere Aufseher berichteten Amnesty International von einer Menschenpresse, bekannt als "fliegender Teppich", und der "Reifen"-Methode, in der Opfer mit dem Kopf zwischen den Knien in einen Autoreifen gezwängt und dann geschlagen wurden. Häftlinge seien vergewaltigt und geprügelt worden, andere in Psychosen verfallen und in ihrer Zelle verstorben.
Die Assad-Regierung hatte die Vorwürfe als "haltlos" und falsch bezeichnet. Menschenrechtler schätzten dennoch, dass allein zwischen 2011 und 2018 mehr als 30.000 Häftlinge allein in Saidnaya entweder hingerichtet wurden oder nach Folter, Verweigerung von ärztlicher Versorgung oder an der Folge von Hunger starben.
Im Video: Wie sehen Syrer in Bayern die Lage in ihrer Heimat?
Mit Informationen von dpa
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