Sahra Wagenknecht auf einer Kundgebung Ende Februar 2023 in Berlin.
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Sahra Wagenknecht auf einer Kundgebung Ende Februar 2023 in Berlin.

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Analyse: Welche Chancen hätte eine Wagenknecht-Partei?

Analyse: Welche Chancen hätte eine Wagenknecht-Partei?

Sahra Wagenknecht nabelt sich von der Linken ab. Nun wird spekuliert, ob sie eine neue, linkspopulistische Partei mit nationaler Grundierung gründet. Welche Chancen hätte eine solche Organisation? Wie sind die Folgen für AfD und Linke einzuschätzen?

Über dieses Thema berichtet: Politik und Hintergrund am .

Noch hat Sahra Wagenknecht nicht verkündet, wohin ihre politische Reise geht. Für "Die Linke" will sie nicht mehr kandidieren, wie ihr Büro vergangene Woche auf BR24-Anfrage bestätigte. Der letzte Schritt vor dem Parteiaustritt? Und was kommt danach? Gründet sie womöglich eine linkspopulistische Partei – die im Erfolgsfall sowohl der Linken, als auch der AfD das Wasser abgräbt und sich einen bequemen Platz dazwischen sucht?

Günstige Gelegenheit Europawahl

Auf die Frage, ob sie eine Partei gründen wolle, antwortete sie der Zeitung Rheinpfalz nebulös: "Darüber wird an vielen Stellen diskutiert." Und sie will eine Marktlücke erkannt haben: Es sei nach ihrer Beobachtung ein Problem, dass sich viele Menschen im aktuellen Parteienspektrum von niemandem mehr wirklich vertreten fühlten.

Der Politikwissenschaftler Frank Decker von der Universität Bonn rechnet damit, dass Wagenknecht die Gründung versucht, um die besondere Gelegenheit der Europawahl 2024 zu nutzen. Dort gibt es keine Sperrklausel, so dass sie bereits mit einem Prozent im Europaparlament vertreten wäre. "Damit hätte Wagenknecht weiterhin eine Plattform, um in die deutsche Innenpolitik hinein zu wirken", sagt Decker gegenüber BR24. "Dafür gibt es Vorbilder: sowohl Marine Le Pen auch Nigel Farage haben das Europaparlament als Bühne genutzt."

Vor kurzem sorgte eine Umfrage für Aufsehen, die einer Wagenknecht-Partei ein Wählerpotenzial von 19 Prozent zuschreibt. Besonders hoch: Der Anteil bei AfD- (60 Prozent) und bei Linken-Wählern (50 Prozent). Ob der Zuspruch tatsächlich solche Ausmaße erreichen würde, ist fraglich. Es gibt diese Partei noch nicht, und deshalb auch keine konkrete Agenda ihrer Positionen. Zudem lädt die eher unverbindliche Fragestellung ("Können Sie sich vorstellen…?") zu großzügigen Antworten ein.

Experte: Potenzial von 10 bis 15 Prozent

Der Populismus- und Wahlforscher Kai Arzheimer von der Universität Mainz sieht zwei Wählerquellen für eine Wagenknecht-Partei. Zum einen AfD-Wähler, die sich an der "in Teilen immer noch wirtschaftsliberalen Programmatik" stören. Diese Gruppe, sagt Arzheimer gegenüber BR24, "dürfte extrem überschaubar sein: empirisch spielen Verteilungsfragen für die Anhängerschaft der AfD kaum eine Rolle."

Auch eine Zuwanderung von den linken Parteien her sei eher gering. Wer sich an deren "woken" Positionen reibe, sei "vermutlich bereits vor langer Zeit abgewandert". In Rechnung zu stellen wäre allerdings ein möglicher Zustrom aus dem Nichtwählerlager. Insgesamt veranschlagt Arzheimer das Potenzial einer Wagenknecht-Partei auf auf maximal 10 bis 15 Prozent. Ob sie dieses Potenzial dann auch ausschöpfen würde, bleibt offen.

Mit ihrer alten Partei hat Wagenknecht gebrochen. Die Unterschiede zwischen ihr und dem Linken-Vorstand seien "mittlerweile so groß, dass die Vorstellung, wie das noch einmal zusammenfinden soll, meine Fantasie überfordert", verkündet sie dem Tagesspiegel. "Reisende soll man nicht aufhalten", sagt Vizeparteichefin Katina Schubert. Nach Versöhnung und Kompromiss klingt das auf beiden Seiten nicht.

Die Entfremdung zwischen Wagenknecht und den Linken schreitet seit Jahren voran. Vor der Bundestagswahl 2021 rechnete Wagenknecht in ihrem innerparteilich scharf angegriffenen Buch "Die Selbstgerechten" mit den, wie sie es nannte, "Lifestyle-Linken" in der Partei ab. Mit einem Plädoyer für "nationale Identität" setzte sie sich dem Vorwurf einer mangelnden Abgrenzung "nach rechts" aus.

Gefahr für Die Linke

Katina Schuberts Gelassenheit zum Trotz geht in der Linken die Sorge um, die mögliche Abspaltung könne der Partei den Todesstoß versetzen. In ihren ostdeutschen Stammländern ist "Die Linke" auf die ohnehin schrumpfende Kernwählerschaft zurechtgestutzt worden, während ein Gutteil des flüchtigen Protestpotenzials schon vor Jahren bei der AfD landete. In den Bundestag schaffte es "Die Linke" 2021 nur mit Ach und Krach. Wagenknecht, derzeit prominenteste Politikerin der Partei, hat gerade in der Fraktion Anhänger. Würde dieses Lager austreten, verlöre Die Linke ihren Fraktionsstatus.

Eine Abspaltung von der Linken hätte laut Arzheimer zweischneidige Folgen. Falls Wagenknecht die Linke verlasse, "würde das einerseits zu einer Beruhigung in der Partei führen". Andererseits sei "die elektorale Unterstützung in den meisten Ländern und bundesweit so prekär, dass schon eine relative geringe Wählerbewegung von der Linken zu einer neuen Partei der Anfang vom Ende sein könnte". Die innerparteiliche Sorge hat also manifeste Gründe.

AfD mit Startvorteil

Und die AfD? Müsste sie eine Konkurrenz durch eine national orientierte Wagenknecht-Partei fürchten? Die AfD hätte Wagenknecht einiges voraus – sozusagen einen Startvorteil. Arzheimer verweist darauf, dass die AfD trotz aller inneren Konflikte recht solide aufgestellt sei: "Sie hat hunderte von Mandatsträgern, einen professionellen Apparat und eine bundesweit recht stabile Unterstützung im Korridor zwischen 10 und 15 Prozent."

Um der AfD dauerhaft zu schaden, müsste es Wagenknecht gelingen, eine professionelle Partei aufzubauen." Aber völlig harmlos gegenüber der AfD wäre eine Wagenknecht-Partei wohl nicht. Frank Decker geht davon aus, dass für Wagenknecht gerade in Ostdeutschland an Wählerstimmen "mehr zu holen" sei als bei der Linken.

"AfD light"

Mit welchen politischen Positionen könnte eine Wagenknecht-Partei aufwarten? "Wenn man das ernst nimmt, was Wagenknecht sagt", so Arzheimer, "wäre eine solche Partei tatsächlich ,links-autoritär‘ oder ,nationalpopulistisch‘, das heißt, auf stärkere Umverteilung und eine Beschränkung der Zuwanderung ausgerichtet, außerdem pro-russisch bzw. gegen eine Unterstützung der Ukraine". Er glaubt aber auch, dass neben den Inhalten eine Ausrichtung auf die Person Sahra Wagenknecht eine wichtige Rolle spielen würde.

Decker spricht von einer "AfD light": "Migrations- und gesellschaftspolitisch, also auf der kulturellen Konfliktlinie, wäre eine Wagenknecht-Partei eher rechtspopulistisch. Sozioökonomisch wäre sie eher linkspopulistisch, das heißt protektionistisch und anti-neoliberal." Je weiter sich die AfD vom Wirtschaftsliberalismus entferne, werde es "für eine Wagenknecht-Partei schwieriger, eine programmatische Nische zu finden".

Wettstreit um Nationalismus?

Allerdings: Eine Wagenknecht-Partei kann sich nicht auf einen Überbietungswettbewerb beim Nationalismus einlassen. Sie wird kaum ein einflussreiches völkisches Lager ausbilden wie die AfD. Damit wird sie einen wesentlichen Teil der AfD-Wählerschaft voraussichtlich nicht gewinnen können. Eine Bertelsmann-Studie vom Januar 2021 ermittelte, dass der "Anteil manifest rechtsextremer Wähler und Wählerinnen bei der AfD mit 29 Prozent fast viermal so hoch (ist) wie im Durchschnitt aller Wahlberechtigten (8 Prozent). Fast jede/r dritte Wähler/in der AfD vertritt damit ein geschlossen rechtsextremes Weltbild."

Wagenknecht war bereits vor einigen Jahren gescheitert, mit dem Projekt "Aufstehen" eine linkspopulistische Bewegung zu inszenieren. Das Vorhaben konnte mit der eher zaghaften populistischen Ansprache im Gründungsaufruf, "Freizügigkeit und Zuwanderung" verschärften die "Konkurrenz um schlecht bezahlte Arbeitsplätze", gegenüber dem Angebot der AfD nicht stechen, das die nationale Karte viel unverblümter zog.

Zwischen links und rechts

Welche Marktlücke könnte eine Wagenknecht-Partei füllen? Arzheimer stellt fest: "Es gibt momentan keine relevante Partei, die bei wirtschaftlichen und Verteilungsthemen links und bei gesellschaftspolitischen Themen rechts steht." Trotzdem sei nicht klar, ob es gelingen könne, eine solche Partei zu etablieren. "Das hängt zum einen vom potentiellen Personal, zum anderen von der Nachfrage nach einer solchen Partei ab."

Fazit: Eine Wagenknecht-Partei würde es – von der Popularität ihrer Gründerin abgesehen – schwer haben, sich zu behaupten. Vieles spricht dafür, dass sie in eher moderatem Maße Wähler von AfD und der Linken erobern würde – Verluste, die weniger für die AfD, aber für die Linke gefährlich werden können.

Wie denkt die Linke über eine Wagenknecht-Partei? Ein Interview mit Lorenz Gösta Beutin

Lorenz Gösta Beutin
Bildrechte: picture alliance / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt/Geisler-Fotopres
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Lorenz Gösta Beutin (im Juni 2021)

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