Anna Maria Adämmer mag ihren Beruf sehr. Und doch gibt es für die 65-jährige Pflegefachkraft im Sigmund-Faber-Heim in Hersbruck Momente, in denen sie bis ans Limit geht. So wie heute, als die Bewohnerinnen und Bewohner ihrer Station alle auf einmal von einem Ausflug zurückkehren, und das auch noch kurz vor dem Mittagessen. Dann muss Anna Maria Adämmer eigentlich überall zugleich sein: Ein Mann muss auf Toilette, eine Frau möchte etwas zu trinken und eine warme Jacke, ein Dritter braucht seine Insulinspritze. Tabletten müssen verteilt und Urinbeutel gewechselt werden. Und dann sind da noch die dementen Bewohner, die gerade nach so einem Ausflug die Orientierung verlieren. "Hallo Schwester" rufen sie dann voller Angst und brauchen dringend Zuwendung. "Die fühlen sich dann verloren, wenn sie nicht gleich die Sicherheit haben: Ah, jetzt ist das dran", so die Erfahrung der Pflegerin.
Pflegekräfte wünschen sich zusätzliches Personal zu den Stoßzeiten
Für jede und jeden hat Anna Maria Adämmer ein freundliches Wort. Mit einem warmen Lächeln begrüßt sie die Rückkehrer und redet mit jedem ein paar Worte. Doch mehr ist nicht drin. Denn Anna Maria Adämmer ist, zusammen mit einer Kollegin, während ihrer Schicht für 28 Bewohner zuständig. Eine Herausforderung, sagt sie. Zusätzliches Personal gerade zu den Stoßzeiten wie dem Mittag- oder dem Abendessen, das wäre für sie eine große Erleichterung. Wenn Unvorhergesehenes passiert, ruft Anna Maria Adämmer zwar Kollegen von anderen Stationen zu Hilfe. "Aber die haben ja in ihrem Bereich, auf ihrer Station dasselbe in grün."
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Ehrenamtliche Helferin unterstützt beim Essen
Auch beim Mittagessen selbst fehlt den Pflegekräften Zeit für die Bewohner. Lätzchen anlegen, Essen austeilen, Getränke einschenken – Jessica Steger und ihre beiden Kolleginnen haben in einem der Speisesäle des Sigmund-Faber-Heims alle Hände voll zu tun. Einige der 17 Menschen bräuchten eigentlich Unterstützung beim Essen, doch die Pflegerinnen können das nicht leisten. Dorothea Heger ist deshalb als ehrenamtliche Helferin bei fast jeder Mahlzeit dabei. Seit über 15 Jahren unterstützt sie immer einen Bewohner beim Essen. "Die Schwestern haben ja nicht so viel Zeit, die müssen da schauen und da schauen, und so können sie nicht drüberbleiben. Und das find ich ganz notwendig, dass ich das mache." Als ihre Mutter hier im Heim war, kam Dorothea Heger auch schon häufig und half ihr beim Essen. Nach ihrem Tod ist die heute 80-Jährige dabeigeblieben.
Stationsleiterin wünscht sich mehr Zeit für die Bewohner
Stationsleiterin Jessica Steger ist sehr glücklich über diese Unterstützung. Wenigstens ein bisschen Entlastung im stressigen Alltag, den die Pflegekräfte "irgendwie versuchen hinzudeichseln", wie es Jessica Steger nennt. Auch heute hatte sie wieder so eine Situation, die sie an die Grenzen gebracht hat. Eine Frau hatte sich an der Suppe verschluckt und einen Hustenanfall bekommen. Sofort musste die Stationsleiterin eingreifen und die Bewohnerin in ihr Zimmer bringen. Was sie sich wünscht?
"Wir wünschen uns mehr Personal und mehr Zeit für die Bewohner, ganz klar. Wenn man sich nicht einmal fünf Minuten unterhalten kann, das ist schon schwer, und das ist auch traurig.“ Jessica Steger, Stationsleitung Sigmund-Faber-Heim Hersbruck
Im Moment ist das Sigmund-Faber-Heim in Hersbruck in einer glücklichen Lage: Alle Planstellen sind besetzt. Stephan Abt erlebt das in seinen 20 Jahren als Heimleiter zum ersten Mal. In den vergangenen Jahren habe sich einiges zum Besseren entwickelt, sagt Abt. Betreuungsassistenten und Spahn-Stellen, benannt nach dem derzeitigen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, hätten Entlastung gebracht. Und trotzdem haben Stephan Abts Pflegekräfte nach wie vor nicht genug Zeit, fühlen sich gestresst und unter Druck.
Zusatzangebote für Heimbewohner nur mit Ehrenamtlichen
Ohne die Hilfe vieler ehrenamtlich engagierten Menschen wäre es noch schwieriger. Denn die Pflegerinnen und Pfleger schaffen während ihrer Schicht gerade mal die Basisarbeiten. "Alles, was darüber hinaus ist, schaffen wir nur mit Ehrenamtlichen", berichtet Heimleiter Stephan Abt. Auch Angebote wie Wellness am Nachmittag im Garten des Heims, mit Fußbad, Nagelpflege und Gesichtsmassage, ist in Hersbruck nur dank ehrenamtlicher Helfer möglich – für eine ganze Reihe von Bewohnerinnen der Höhepunkt der Woche.
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Diakoneo fordert: Pflegekräfte brauchen dringend Entlastung
Es ist ein Dilemma: Die Pflegeheime in Deutschland brauchen Bewohner mit einem hohen Pflegegrad, sonst gibt es zu wenig Geld aus der Pflegekasse. Bewohner mit einem hohen Pflegegrad aber brauchen viel Unterstützung und machen den Arbeitsalltag der Pflegekräfte schwer und körperlich belastend. Für Manuela Füller, geschäftsführende Leiterin der Dienste für Senioren beim Heimträger Diakoneo aus Neuendettelsau, ist klar: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Pflegeheimen brauchen dringend mehr Entlastung, wenn sie den Bewohnerinnen und Bewohnern gerecht werden wollen.
"Pflege muss ein Beruf sein, der sich lohnt, ihn auszuüben, denn er ist schwer, auch körperlich. Pflege ist nicht mehr unzufrieden mit dem Gehalt. Pflege ist aber unzufrieden mit hoher Arbeitsbelastung und hoher Arbeitszeit." Manuela Füller, Geschäftsführerin Dienste für Senioren bei Diakoneo
Vorschlag: Kürzere Arbeitszeiten für Pflegekräfte
Eine Idee sei, die Nachtwachen in den Heimen nicht in den allgemeinen Personalschlüssel einzurechnen, nach dem die notwendigen Planstellen berechnet werden. Auch solle darüber nachgedacht werden, die Arbeitszeit zu verkürzen – in der Pflege ist nach wie vor die 40-Stunden-Woche üblich. Der Heimträger Diakoneo selbst versucht, mit gutem Beispiel voranzugehen: Für das besonders belastende Corona-Jahr 2020 gab es für die Pflegekräfte einen Sonderbonus von 250 Euro.
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