Nach Einschätzung von Beobachtern ist nicht zu erwarten, dass der Tod des iranischen Präsidenten das Land in eine neue Krise stürzen wird. Insofern dürfte vieles beim Alten bleiben. Ebrahim Raisi war zuletzt als Nachfolger des alternden obersten religiösen Führers Ali Khamenei gehandelt worden. Bis das als zunehmend wahrscheinlich galt, gab es im Iran bereits Interessen-Rangeleien. Vor einigen Jahren war der frühere Präsident Hassan Rouhani als möglicher Nachfolger Khameneis im Gespräch.
Raisis Tod schafft Raum für andere Hardliner
Doch Rouhani galt vielen in den Führungszirkeln als zu gemäßigt. Um seinen Namen im Gespräch zu halten, behaupteten Reformer, Khameneis Sohn Mojtaba solle installiert werden. Die mächtige Revolutionsgarde des Iran unterstützte stattdessen Raisi. Der wurde immer wieder als schwacher Präsident beschrieben - trotz seiner Rolle bei Massenhinrichtungen Ende der 1980er Jahre. Im Kalkül der mächtigen Revolutionsgarde wäre Raisi wohl eine Art Oberster Führer von Gnaden der Garde geworden. Nun könnte es doch auf Khameneis Sohn Mojtaba hinauslaufen.
Allerdings könnte er an mangelnder Regierungserfahrung scheitern. Das schafft Raum für andere Hardliner, wie auch Raisi einer war. Durchsetzungsstärkere als er könnten nun ihre Chance wittern. Eigentlich war ein solches Szenario in der Zeit verortet, in der ein Nachfolger Khameneis gefunden werden muss. Dass es jetzt zunächst um einen neuen Präsidenten geht, könnte eine Art Generalprobe für den zu erwartenden Machtkampf um das oberste Amt im Iran werden.
Alles hängt vom Ali Khamenei ab
Dafür, dass die Nachfolge Raisis als Präsident reibungslos ablaufen wird, dürfte sich wahrscheinlich Ajatollah Khamenei persönlich einsetzen. Der geistliche Führer weiß nur zu gut, dass die innenpolitische Situation seines Landes alles andere als stabil ist, und die Mehrheit der iranischen Bevölkerung - wenn sie es denn könnte - die Islamische Republik abschaffen würde.
Das zeigten nicht zuletzt die langanhaltenden landesweiten Proteste infolge des Todes der Kurdin Jina Mahsa Amini seit September 2022. Proteste, die das Regime mit allen Mitteln niederzuknüppeln versuchte.
Die innenpolitische Situation ist wackelig
Erst einmal könnte nun Parlamentspräsident Mohammed Bagher Ghalibaf neuer Präsident werden - vorausgesetzt, Khamenei will das. Gahlibaf jedenfalls hat schon lange Ambitionen. Gewählt werden soll in ein paar Wochen. Es ist wahrscheinlich, dass der oberste religiöse Führer Khamenei Kandidaturen, die ihm nicht passen, verhindert.
Auch der neue Außenminister dürfte für eine gewisse Kontinuität stehen. Zwar hat der nun ums Leben gekommene Hussein Amirabdollahian seit Ausbruch des Gazakriegs in einigen arabischen Ländern Gesprächsfäden geknüpft oder weitergesponnen. Aber sein vorläufiger Nachfolger, der bisherige Vizeaußenminister Ali Bagheri, war Chefunterhändler bei den Gesprächen über das Atomprogramm des Iran. Angeblich gehen sie derzeit mit den USA geheim und indirekt über arabische Vermittler weiter. Bagheri könnte die Arbeit Amirabdollahians also nahtlos fortsetzen.
Raisi galt als brutal und rücksichtslos
Ebrahim Raisi, der wie Ajatollah Ali Khamenei aus der ostiranischen Stadt Maschad kam und auch deshalb dem geistlichen Führer sehr nahestand, dürfte mit allen Ehren der Islamischen Republik offiziell betrauert und zu Grabe getragen werden. Und dennoch: Der Großteil der iranischen Bevölkerung, der seiner Wahl zum Präsidenten vor drei Jahren ohnehin ferngeblieben war, wird dem 63-Jährigen wohl keine Träne nachweinen.
Dafür klebte an seinen Händen zu viel Blut. Denn Raisi, der zuerst Generalstaatsanwalt Teherans, später Vize-Justizchef und schließlich Generalstaatsanwalt des Iran war, galt als rücksichtslos, wenn es um die Sache der Islamische Republik ging, und war für den Tod ungezählter Regimegegner verantwortlich.
Nachfolge des geistlichen Führers im Blick
Entscheidender als die Frage, wer neuer iranischer Präsident wird, ist jetzt allerdings die Nachfolge des geistlichen Führers. Der 85-jährige Ajatollah Khamenei gilt nämlich als gesundheitlich angeschlagen, und Raisi wurde als einer von zwei möglichen Nachfolgern gehandelt.
Der andere ist Khameneis Sohn Mojtaba. Er zählt - wie Raisi - zu den Hardlinern und ist Schüler des ultrakonservativen Ajatollah Mohammad Mesbah-Yazdi. Zudem soll er über eine gewisse Brutalität verfügen. Während Raisis Machtbasis die Justiz sowie die mächtige Imam-Reza-Stiftung war, stützt sich der 55-jährige Mojtaba Khamenei auf die Geheimdienste und den Propagandaapparat.
Tritt Mojtaba Khamenei stärker in die Öffentlichkeit?
Auch wenn Mojtaba Khamenei ein starkes Machtstreben nachgesagt wird, agierte er bislang eher im Hintergrund. Dafür dürfte möglicherweise auch sein Vater gesorgt haben. Denn auch wenn Ali Khamenei es vielleicht gerne sähe, wenn die Führung der Islamischen Republik in der eigenen Familie bliebe, gilt der Versuch einer Erbnachfolge von Vater zu Sohn als riskant.
Allerdings könnte es sein, dass der Name Mojtaba jetzt öfter fallen und der Sohn des geistlichen Führers sich häufiger in der Öffentlichkeit zeigen wird. Zudem dürften die Revolutionswächter, die bei der Niederschlagung sämtlicher Proteste der vergangenen Jahre eine Schlüsselrolle innehatten, ein wichtiges Wort mitreden, wenn es um die Zukunft der Islamischen Republik geht. Die innenpolitische Situation im Iran wird also so schnell nicht zur Ruhe kommen.
"Die Säulen des Regimes bleiben die gleichen"
Ein Mann auf den Straßen Teherans fasst die neue Situation so zusammen: "Die Säulen des Regimes bleiben die gleichen - es gibt nur andere Ausführende." Das Regime wird sich durch den Tod Raisis und Amirabdollahians nicht ändern. Auch wenn es zu einem heftigen Machtkampf kommt: Die potenziell und tatsächlich Mächtigen im Iran sind sich in den grundlegenden innen- und außenpolitischen Linien ohnehin einig. Es kommen bekannte Gesichter in neue Ämter - ansonsten dürfte im Iran alles beim Alten bleiben.
Zum Hören: Fünftägige Staatstrauer im Iran hat begonnen
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