Salatanbau ohne Sonnenlicht und Erde (Symbolbild Vertical Farming und Indoor-Farming)
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Landwirtschaft unter künstlichen Bedingungen

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Indoor-Farming – ein Modell auch für Deutschland?

Ganzjährig hohe Erträge ohne Pestizideinsatz: Das verspricht vertikale Landwirtschaft, also der Anbau unter künstlichen Bedingungen. Aber in Deutschland sind hohe Energiekosten ein Problem. Und wie nachhaltig ist das Indoor-Farming wirklich?

Über dieses Thema berichtet: Notizbuch am .

Im Keller eines Forschungsgebäudes in Freising-Weihenstephan wächst Weizen unter künstlichen Bedingungen – also ohne Sonnenlicht und Erde. Es ist ein spezieller Weizen, gezüchtet von der NASA, der nur 50 Zentimeter hoch wird.

Das ist nicht nur praktisch für die Raumfahrt, sondern funktioniert auch im sogenannten "vertical farming", also dem landwirtschaftlichen Anbau auf mehreren Ebenen. Diese können vertikal angeordnet sein, im Gegensatz zum Anbau auf einer horizontalen Fläche. Geerntet wird der Nasa-Weizen nach 60 bis 70 Tagen. So lassen sich fünf bis sechs Ernten pro Jahr erreichen – und damit deutlich höhere Erträge.

Professor Senthold Asseng vom Lehrstuhl für Digital Agriculture spricht vom "Tausendfachen eines normalen Ackers". Auch, weil eine Ebene über die andere gestapelt werden kann. Es gibt allerdings ein großes Problem: Die hohen Energiekosten – wegen der vielen LEDs, die 24 Stunden laufen müssen, und der notwendigen Klimatechnik.

Kein Boden, keine Pestizide, wenig Wasser

An der TU München am Standort Freising-Weihenstephan wird an Lösungen für das Energieproblem geforscht. Denn im Moment sind die Energiekosten so hoch, dass ein Brot aus diesem Weizen für den Verbraucher unbezahlbar wäre, so Asseng. Dennoch bietet Indoor-Farming aus seiner Sicht viele Vorteile: Es werden keine Pestizide benötigt, die Systeme sparen Wasser, und sie könnten nach Einschätzung des Forschers die "normale" Landwirtschaft entlasten, die immer höhere Erträge erzielen soll – mit negativen Folgen für die Umwelt.

Kräuter und Gemüse aus dem Gewächsschrank

In den vergangenen Jahren wurden international, aber auch in Deutschland etliche Start-ups im Bereich Indoor-Farming gegründet. Hierzulande lag der Fokus vor allem auf der Produktion von Salaten und Kräutern. Maximilian Lössl aus München, der 2013 zusammen mit einem Freund die Firma "Agrilution" gründete, hatte eine etwas andere Idee: Die Technik, die meist für große Anlagen verwendet wird, zu Verbrauchern nach Hause zu bringen – in klein.

Er entwickelte ein Kühlschrank-ähnliches Gerät, das mit Substrat und integriertem Saatgut zu den Kunden kam, die dann Rucola, Radieschen oder ausgefallene Kräuter selbst ziehen konnten. Per App konnte man den Wachstumsfortschritt begleiten und neues Saatgut nachbestellen.

Wie nachhaltig ist Vertical Farming?

Die Firma, die 2018 an Miele verkauft wurde, gibt es nicht mehr, und Lössl hat sich neu orientiert. Er zweifelt inzwischen an der Nachhaltigkeit des Vertical Farming. Er sei nach der Auswertung von Studien zu dem Schluss gekommen, dass das Ganze nicht so nachhaltig ist, wie es dargestellt werde. Ein Problem seien unter anderem die vielen Elektronik-Komponenten, angefangen von den LED-Lampen bis hin zur Steuerungstechnik, und der Energie.

Selbst wenn man mit 100 Prozent Solarstrom rechne, "kommt man da auf keinen grünen Zweig, wenn man es vergleicht mit einem Gewächshaus, weil man in die Klimabilanz auch die Herstellung der Solarmodule mit reinrechnen muss", so Lössl. Das gelte für Deutschland – in den Emiraten könne das schon wieder anders aussehen.

Vertical Farming in Dubai und Singapur

Tatsächlich gibt es in den Golfstaaten schon riesige Hallen, in denen im großen Stil Salate und Kräuter angebaut werden. In nur sechs Monaten wurde in Dubai die weltgrößte vertikale Farm aus dem Wüstensand gestampft. Rund 1.200 Kilo an Salaten und Gemüse werden dort täglich geerntet und gehen an Supermärkte in der Region.

Tatsächlich sehen auch viele Wissenschaftler große Chancen für das Vertical Farming vor allem in den Regionen, in denen die traditionelle Landwirtschaft Probleme hat. Sei es wegen Trockenheit, wie etwa in Nordafrika, oder wegen Flächenknappheit, wie zum Beispiel in Singapur. Auch dort forscht die TUM zum Anbau von Soja. Singapur hat nur 900 Hektar Agrarfläche, 90 Prozent der Nahrungsmittel müssen importiert werden. Da sind Indoor-Anlagen, bei denen die Pflanzen übereinandergestapelt wachsen und hohe Erträge liefern, eine mögliche Lösung, um Importe zu reduzieren und CO₂ einzusparen.

Keine Konkurrenz zum Acker

Solange die Energiekosten in Deutschland so hoch sind, wird Vertical Farming hierzulande wohl keine nennenswerte Rolle spielen – außerhalb der Wissenschaft. Aber auch abgesehen davon sollte es nicht als Bedrohung für die Landwirte gesehen werden, sondern als Chance, findet Professor Asseng: Die neuen Systeme könnten "Druck herunternehmen vom Acker" und zu einem Geschäftsmodell gerade für Landwirte werden.

Gerade sie hätten das Know-how, verstünden Pflanzen, seien Business-Leute und produzierten oft viel Energie direkt am Hof – durch Photovoltaik- oder Biogasanlagen. Assengs Fazit in Sachen Vertical Farming lautet deshalb: "Das müssten in der Zukunft die Landwirte machen." Noch ist es allerdings – zumindest beim Weizen – nicht so weit: Fünf bis zehn Jahre Forschungsarbeit werden da noch nötig sein.

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