Gemeinsam mit ihren Eltern hat Clara (Name geändert) entschieden, dass ein Aufenthalt in der psychosomatischen Schön Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee der beste Weg ist. Seit über einem halben Jahr wird die 16-Jährige dort wegen einer Depression und Essstörung behandelt. Bereits der erste Lockdown hat sie belastet, sagt sie im Interview mit dem BR-Politikmagazin Kontrovers:
"Bei mir war es ein extremer Rückzug von Freunden und Familie. Auch einfach dieses Überforderungsgefühl von allem. Also egal, was war, es war irgendwie überfordernd. Soziale Kontakte haben gefehlt und die Stimmung war einfach schlecht." Clara, Klinikpatientin (Name geändert)
Belastend im Lockdown: Fehlende Alltagsroutinen
So wie Clara geht es auch vielen anderen Kindern und Jugendlichen. Der Lockdown kann ihren den Alltag zur seelischen Zerreißprobe werden lassen. Dr. Silke Naab ist Chefärztin an der Schön Klinik Roseneck am Chiemsee. Sie sieht das Problem darin, dass jetzt im Lockdown die übliche Alltagsroutinen wegfallen. Da die Schule ausfällt hätten die Kinder und Jugendlichen weniger Freundschaften, sie seien zu Hause, könnten dort ihren Sport nicht mehr machen und würden unter Druck geraten, weil sie sehr viel alleine sind. So brechen dann Themen oder Probleme auf, die sie ansonsten über den Alltag kompensieren konnten.
Studie belegt: mehr Ängste, Depressionen, Essstörungen
Eine Studie von Medizinern aus Hamburg belegt die seelische Belastung von Kindern nun auch mit Zahlen: Etwa jedes dritte Kind zeigt demnach Auffälligkeiten. Das ist das Ergebnis der zweiten Befragung der sogenannten COPSY-Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). Allerdings dürften Auffälligkeiten nicht mit psychischen Störungen oder Krankheiten verwechselt werden, betonten die Forscher. Vor der Pandemie war jedes fünfte Kind psychisch belastet.
Gründe für eine Verschlechterung des psychischen Wohlbefindens seien laut der Studie auch eine ungesündere Ernährung und deutlich weniger Bewegung. Bis zu 40 Prozent der Befragten seien nicht mehr sportlich aktiv, weil Angebote der Sportvereine und Freizeitaktivitäten fehlen. 36 Prozent der Kinder haben Bauchschmerzen, 46 Prozent leiden unter Kopfschmerzen und 43 Prozent von ihnen fühlen sich niedergeschlagen.
Eltern oft hilflos - Beratungsbedarf hoch
Auch Clara hatte Probleme mit der Ernährung und entwickelte eine Essstörung - für die Familie eine schwierige Situation: "Meine Eltern wollten sich das auch nicht mehr so mit ankucken, weil es für die auch schwierig war, zu sehen, dass es mir nicht gut geht."
Barbara Schielein vom Beratungs- und Therapiezentrum Tal19 am Harras in München kennt die Sorgen von hilflosen Eltern. Bei der Sozialpädagogin kommen jede Woche viele teils verzweifelte Hilferufe von Eltern an. Die Anfragen haben sich seit dem Lockdown verdoppelt. Sie berichten von ihren Kindern, die sich abschotten, sehr häufig und lange Medien konsumieren und von veränderten Verhaltensweisen. Barbara Schielein berät diese Eltern per E-Mail und im Chat. Wichtig sei es, mit dem Kind im Gespräch zu bleiben, auf das Positive einzugehen, was das Kind macht. Schielein rät: "Keine Vorwürfe, sondern sich für diese Lebenswelten des Kindes interessieren und zu sagen: Zeig mal was du da anschaust, was findest du toll daran? Und zu überlegen, was gibt es, was wir zusammen machen können".
Psychische Probleme bei Jugendlichen erkennen
Schwieriger wird es für Eltern in der Phase der Pubertät. Wenn Jugendliche sich dann zurückziehen, ist es oft nicht leicht zu erkennen, wann das eigene Kind Hilfe bräuchte. Dr. Silke Naab von der Schön Klinik Roseneck rät Eltern das Verhalten ihrer Kinder zu beobachten und darauf zu achten, ob der Jugendliche sich vermehrt zurückzieht, an Mahlzeiten teilnimmt, oder gegebenenfalls aggressiver wird. In dem Fall sollten Eltern ganz konkret nachfragen und Hilfe anbieten.
Knappe Klinikplätze für Kinder und Jugendliche
Die Schön Klinik in Prien am Chiemsee ist völlig ausgelastet, 250 Kinder und Jugendliche befinden sich auf der Warteliste. Das entspricht einem Zuwachs von 60 Prozent, wie die Chefärztin Silke Naab dem BR-Politikmagazin Kontrovers sagt: "Gerade seit letztem Frühjahr und im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie sind die Wartelisten nahezu explodiert. Das bringt uns sehr unter Druck, weil wir konfrontiert sind mit der Notwendigkeit der Behandlung und auch mit Angehörigen die nachvollziehbarer Weise verzweifelt sind, dass sie für ihre Kinder keine adäquate, keine kurzfristige adäquate Therapie erhalten."
Clara ist froh einen Klinikplatz zu haben und hofft, dass der Aufenthalt ihr langfristig hilft mit ihrer Krankheit umzugehen, damit sie ihr Leben wieder genießen kann.
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